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Wie geht es 30 Jahre nach Beijing weiter?

189 UN-Mitgliedstaaten verabschiedeten im Jahr 1995 auf der vierten Weltfrauenkonferenz in Beijing das umfassendste Konzept zur Förderung der Gleichstellung von Frauen und Mädchen: die Erklärung und Aktionsplattform von Beijing. Mit Blick auf die Gleichstellung und Chancengerechtigkeit braucht es 30 Jahre später neue Antworten.

30 Jahre nach der Vierten Weltfrauenkonferenz in Beijing, auf der die Erklärung und Aktionsplattform zur Förderung der Gleichstellung von Frauen und Mädchen verabschiedet wurde, fand im November 2024 im Konferenzzentrum der UN in Bangkok, Thailand, eine Konferenz zur Überprüfung der Fortschritte in der Asien-Pazifik-Region statt. UN Women/Ploy Phutpheng

In diesem Jahr jährt sich die Beijinger UN-Weltfrauenkonferenz zum 30. Mal. Das Programm, das verabschiedet wurde, stellt bis heute das umfassendste Konzept zur Förderung der Gleichstellung der Geschlechter und der Stärkung von Frauen und Mädchen dar: die Erklärung und Aktionsplattform von Beijing.[1] 17 000 Menschen, darunter 6000 Regierungsvertreter der UN-Mitgliedstaaten, 4000 akkreditierte Delegierte von nichtstaatlichen Organisationen (NGOs) sowie zahlreiche Medien, nahmen an der Konferenz teil. Es war ein Wendepunkt für feministische Frauenbewegungen weltweit, denn diese Weltfrauenkonferenz verkörpert bis heute die beharrliche Forderung der Frauenbewegungen aus dem Globalen Süden und Norden nach Gerechtigkeit, Teilhabe, Demokratie, Frieden und Menschenrechten und ist eine Absage an alle Arten von Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Die Aktionsplattform hat zwar keine verpflichtende Wirkung, dennoch ist sie von großem moralischen und politischen Wert und war visionär und revolutionär.

Die Urheberinnen der Erklärung von Beijing handelten strategisch vorausschauend und organisierten sich, um die Ziele aus der Erklärung rechtlich abzusichern. So forderten sie die Ratifizierung eines völkerrechtlich verbindlichen Abkommens ein: das bereits im Jahr 1979 von der UN-Generalversammlung verabschiedete Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women – CEDAW) und sein Fakultativprotokoll. Diese Maßnahme ermöglicht es Einzelpersonen, Verstöße direkt an den Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau zu melden. Dadurch konnte politischer Druck auf die Regierungen ausgeübt werden, um gegen Gewalt gegen Frauen und Mädchen vorzugehen.[2] In den Folgejahren wurde die Beijinger Aktionsplattform mit weiteren internationalen Rahmendokumenten inhaltlich verzahnt, um die Umsetzung ihrer Ziele voranzutreiben: mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und ab dem Jahr 2015 mit den Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals – SDGs).[3]

Sicherheit als feministisches Anliegen

In den nachfolgenden Jahren entstanden weitere politische Rahmendokumente, die Geschlechtergerechtigkeit als zentrales Ziel teilen und deren Umsetzung beschleunigen sollten: Im Jahr 2000 wurde die erste Resolution des UN-Sicherheitsrats zur Agenda für Frauen, Frieden und Sicherheit verabschiedet.[4] Die Resolution sollte »einen Umkehrschub auslösen in dem Sinne, dass die Außen- und Sicherheitspolitik nicht weiter fast ausschließlich von Männern bestimmt wird, dass in Nachkriegssituationen auch Frauen die Chance erhalten, in Führungspositionen und in Friedensverhandlungen repräsentiert zu sein«.[5]

Ausgelöst durch die internationale Dynamik entstanden auf regionaler Ebene Rahmenwerke zur Förderung gleichstellungspolitischer Ziele. Schon ein Jahr vor der Konferenz in Beijing wurde das Interamerikanische Übereinkommen über die Verhütung, Bestrafung und Beseitigung der Gewalt gegen Frauen (Inter-American Convention on the Prevention, Punishment and Eradication of Violence Against Women – Convention of Belém do Pará) verabschiedet.[6] Es war das weltweit erste Dokument, das geschlechtsspezifische Gewalt als Menschenrechtsverletzung verstand und unterzeichnende Staaten aufrief, Maßnahmen zur Prävention und Unterstützung Betroffener zu unternehmen. Das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Council of Europe Convention on Preventing and Combating Violence against Women and Domestic Violence – Istanbul Convention), das eineinhalb Jahrzehnte später als Istanbul-Konvention in Europa verabschiedet wurde, fordert ebenfalls einen besseren Schutz vor geschlechtsbasierter Gewalt.[7] In Afrika entstand mit dem Protokoll zu der Afrikanischen Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker über die Rechte der Frauen in Afrika (Protocol to the African Charter on Human and Peoples’ Rights on the Rights of Women in Africa – Maputo Protocol) ein Dokument, das als eines der umfassendsten Instrumente zur Umsetzung der Menschenrechte für Frauen gilt.[8] Während alle drei regionalen Übereinkommen mit der Unterzeichnung rechtlich bindend und ein starkes Instrument für Gleichstellung sind, macht der Druck antidemokratischer Akteurinnen und Akteure vor ihnen nicht halt. So ist die Türkei im Jahr 2022 wieder aus der Istanbul-Konvention ausgetreten, und Artikel 14 des Maputo-Protokolls, der reproduktive Rechte und den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen in bestimmten Fällen sichern soll, ist rechtsmotivierten, fundamentalistisch-religiösen Bewegungen ein Dorn im Auge.

Gleichberechtigung bleibt ein uneingelöstes Versprechen

Seit dem Jahr 1995 wurden in vielen Staaten bedeutende Fortschritte erzielt. Der Zugang zu Bildung für Mädchen hat sich verbessert, und die Einschulungsraten sind laut dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (United Nations Development Programme – UNDP) global gestiegen.[9] Dies führte zu besserer Bildung und mehr wirtschaftlicher Teilhabe. Initiativen wie Mikrokredite und Schulungsprogramme haben zudem vielen Frauen geholfen, wirtschaftliche Unabhängigkeit zu erlangen und sich durch diese Selbstbestimmung vor Gewalt zu schützen.

Diese Fortschritte sind den gleichstellungspolitischen Instrumenten und dem unermüdlichen Einsatz zahlreicher Aktivistinnen zu verdanken. Sie forderten den Ausbau grundlegender Dienste wie Notunterkünfte, Rechtsbeistand, medizinische Versorgung und Beratungsstellen. Vor dem Jahr 1995 gab es nur 19 institutionelle Mechanismen gegen häusliche Gewalt; mehr als 95 Prozent dieser Mechanismen wurden nach der Verabschiedung der Beijinger Erklärung und Aktionsplattform geschaffen.

Auch mit Blick auf die Rechte von Mädchen war die Erklärung von Beijing wegweisend. Sie thematisierte als erstes frauenpolitisches Dokument die Rechte von Mädchen. Die Erklärung forderte die Regierungen auf, das Übereinkommen über die Rechte des Kindes (Convention on the Rights of the Child – CRC) zu ratifizieren, die Geburtenregistrierung und die nationale Identität von Mädchen zu gewährleisten und den Zugang von Mädchen zu naturwissenschaftlicher, technischer, ingenieurwissenschaftlicher und mathematischer Bildung und Ausbildung zu fördern. Zudem legte die Erklärung wichtige Maßnahmen gegen geschlechtsspezifische Gewalt fest, darunter Kinderheirat, weibliche Genitalverstümmelung und Schwangerschaften im Teenageralter.

Diese Fortschritte sind unter anderem dem unermüdlichen Einsatz zahlreicher Aktivistinnen zu verdanken.

Trotz dieser Fortschritte sind die Herausforderungen enorm: In keinem Land ist Geschlechtergerechtigkeit vollständig erreicht und rechtliche Rahmenbedingungen reichen noch immer nicht aus, um Frauen vor häuslicher Gewalt zu schützen. Frauen ohne Privilegien wie eigenes Einkommen oder Bildung kennen häufig weder ihre Rechte noch Wege, diese durchzusetzen, um gewaltvolle Lebensrealitäten zu verlassen. Sie sind auf Beratungsstellen sowie einen konsequenten Umsetzungswillen bei staatlichen Stellen wie Justiz, Polizei und Politik angewiesen. Darüber hinaus besteht in sogenannten entwickelten Staaten, den Industrieländern, Nachholbedarf: Allein in Deutschland fehlen rund 21 000 Frauenhausplätze, um gewaltbetroffenen Frauen und ihren Kindern ausreichend Schutz vor gewalttätigen Partnern und drohenden Femiziden zu bieten.[10]

Hinzu kommen globale Rückschritte

In über 60 Staaten führen NGO-Verbote dazu, dass Beratungsstellen schließen müssen oder kaum Fördergelder erhalten. 2,4 Milliarden Menschen leben in Regionen, in denen staatliche und nichtstaatliche Akteure Andersdenkende routinemäßig inhaftieren, verletzen oder töten.[11] Internationale Übereinkommen sind daher unerlässlich, um Regierungen an ihre rechtlichen Verpflichtungen zu erinnern. Gegen tief verwurzelte Ungleichheiten in Gesellschaft und Wirtschaft, gegen eine politische Kultur, die Dominanz belohnt und Barrieren beim Zugang zu politischen Entscheidungsprozessen aufbaut, können diese Instrumente jedoch wenig ausrichten. Ohne diese verbrieften Rechte gäbe es keinen Hebel, um Menschenrechte für Frauen und Minderheiten durchzusetzen. Um die Beijinger Aktionsplattform in den nächsten 30 Jahren umzusetzen, braucht es zusätzlich einen starken politischen Willen in internationalen Organisationen und bei Regierungen selbst. Die globalen Probleme erfordern dies, denn neue Herausforderungen wie der Klimawandel und die Digitalisierung verschärfen bestehende Probleme. Alte nicht gelöste Herausforderungen treffen auf einen zögerlichen, mancherorts gar negierenden Umgang mit der Klimakrise und neue Reproduktions- und Gentechnologien werfen neue ethische Fragen zum Recht auf Selbstbestimmung auf. Sexualisierte Belästigung im Internet und diskriminierende Algorithmen sind Beispiele dafür, wie Gewalt gegen Frauen und Mädchen in neue Räume verlagert wird. Diese Themen, die vor 30 Jahren noch keine Rolle spielten, bedürfen nun neuer Ansätze in der Gleichstellungspolitik.

Zu dieser Gemengelage ist in den vergangenen 15 Jahren ein gefährlicher neuer Trend hinzugekommen, der nicht nur die Errungenschaften globaler Frauenbewegungen bedroht, sondern direkt ganze Demokratien, die auf dem Selbstverständnis einer offenen Gesellschaft gründen. Transnationale und finanzstarke Netzwerke rechtsreaktionärer und fundamentalistischer Kräfte, die von US-amerikanischen Evangelikalen über kremlnahe Oligarchen bis in die Europäische Union (EU) reichen, haben es sich zur Aufgabe gemacht, das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Zum einen propagieren sie überkommen geglaubte Geschlechterrollen und zielen darauf ab, die rechtliche Gleichstellung der Geschlechter und die Chancengerechtigkeit für sexuelle und ethnische Minderheiten langfristig auszuhöhlen. In der sogenannten Mitte der Gesellschaft werden sie immer anschlussfähiger und münden, wie etwa in Ungarn, in nationale Gesetzgebungen – dies vor allem mithilfe von Desinformation über die sozialen Medien und der Einschränkung der Pressefreiheit. Das Perfide ist, dass diese Akteure für ihre ›Anti-Gender‹-Propaganda einen Hebel nutzen, der in jeder Gesellschaft anschlussfähig ist: den Hass auf homo- und transsexuelle Menschen.

Und Deutschland?

Auch vor Deutschland machen diese Entwicklungen nicht halt. Zwar herrscht trotz aller bedrohlichen Entwicklungen noch eine grundsätzliche Zuversicht, denn es gibt einen Rechtsstaat, eine funktionierende Demokratie, darüber hinaus Frauenrechte und Schutz für Minderheiten, die im Grundgesetz fest verankert sind. Aber diese Gewissheit lässt stark nach und sorgt dafür, dass antidemokratische Meinungen sichtbar mehr Raum bekommen und dann in Recht und Gesetz gegossen werden können, zum Beispiel bei der De-facto-Abschaffung des EU-Asylrechts, das sehr viele Frauen und Kinder auf der Flucht betreffen wird, oder bei der Behinderung des Zugangs zu Schwangerschaftsabbrüchen.

Hinzu kommt, dass die Abnahme von Grund- und Menschenrechten der jungen Generation – darunter die Hälfte weiblich – direkt mit der Klimakrise zusammenhängt. Das Bundesverfassungsgericht beschreibt die Lage wie folgt: »Von diesen künftigen Emissionsminderungspflichten ist praktisch jegliche Freiheit potenziell betroffen, weil noch nahezu alle Bereiche menschlichen Lebens mit der Emission von Treibhausgasen verbunden und damit nach 2030 von drastischen Einschränkungen bedroht sind.«[12] Die Klimakrise überschneidet sich ganz drastisch mit dem Thema der Ungleichheit, multipliziert und beschleunigt die Krisen, in denen wir uns befinden.

Mobilisierung gegen die Rückschläge

Es macht Mut, dass wir gleichzeitig große und sichtbare Mobilisierungsinitiativen von und durch marginalisierte Gruppen erleben, die sich den antidemokratischen Haltungen und somit dem Frauenhass entschlossen entgegenstellen, etwa die ›Ni Una Menos‹- die ›#Blacklivesmatter‹- oder ›#MeToo‹-Bewegung. Sie stehen an der Spitze vieler Proteste für Demokratie und Menschenrechte in Afghanistan, Chile, Irak, Sudan oder Taiwan. Und sie bilden den harten Kern der Proteste gegen US-Präsident Donald Trump, den Vorsitzenden der polnischen PiS-Partei Jarosław Kaczyński oder den türkischen Präsidenten Recep Erdoğan. Mit der Zuspitzung der Klimakrise sind es vor allem junge Frauen, die sich bei den Bewegungen ›Fridays for Future‹ oder ›Extinction Rebellion‹ engagieren und selbstbewusst medial vertreten sind. Sie versuchen nicht nur für ihre eigenen Rechte zu kämpfen, sondern handeln im Sinne eines feministischen Geistes, der von Solidarität und Empathie getragen wird, um die gesellschaftlichen und politischen Realitäten für alle positiv zu verändern. Die neuen Bewegungen sind daher heterogener, vielfältiger und durch die sozialen Medien gleichzeitig global sichtbarer als frühere feministische Bewegungen.

Dies hat zur Sichtbarwerdung und der öffentlichen Einmischung von Gruppen geführt, die aufgrund der allgegenwärtigen rassistischen Ausgrenzung in Politik und Medien sonst keinen Raum für ihre Lebensrealitäten und Forderungen bekommen hätten. Feministinnen aus dem Globalen Süden und Gruppen von Schwarzen, Indigenen sowie farbigen Frauen (BIWoC) im Globalen Norden fordern diese Auseinandersetzung mit intersektionaler Diskriminierung und kolonialen Kontinuitäten innerhalb feministischer Bewegungen zunehmend lauter ein. Das hat zu einer verstärkten Auseinandersetzung mit diesen Themen, aber auch zu Konflikten innerhalb der Bewegungen geführt. Obwohl Intersektionalität als Schlagwort in der feministischen breiten Masse angekommen zu sein scheint, spiegeln politische Forderungen und Gleichstellungspolitiken dies oft nicht wider – auch nicht NGOs. Trotz allem sind diese Diskussionen Teil einer demokratischen Aushandlung von Macht. Gleichzeitig steht die Frage im Raum, wie die frühen Aktivistinnen und Aktivisten der Erklärung und Aktionsplattform von Beijing gemeinsam mit den jungen Aktivistinnen und Aktivisten Wege zueinander finden, um aus den jahrzehntelangen Erfahrungen im Kampf um Frauen- und Minderheitenrechte neue Strategien für neue Herausforderungen zu schmieden, die bereits am Horizont auf alle warten.

Die Forderung nach Intersektionalität

Dabei ist dies keine neue Kritik: Ein zentrales Diskussionsthema im Jahr 1995 in Beijing war, ob alle Rechte der Frauen Menschenrechte seien und ob die Universalität der Menschenrechte den Frauen aller Kulturen die gleiche Behandlung garantierte. Nicht alle Regierungen hatten darin übereingestimmt, dass die Menschenrechte universeller Natur sind. Letztendlich wurden mehrere Erklärungen darüber verabschiedet, dass die Menschenrechte und Grundrechte universell sind.[13] Kritik an der Aktionsplattform kam von indigenen Frauengruppen mehrerer Kontinente, die ihre kulturellen Ansprüche auf das Land ihrer Vorfahren und den Schutz der Biodiversität nicht in angemessener Weise in den Abschlussdokumenten wiedergefunden hatten.[14]

Die Auseinandersetzung mit intersektionaler Diskriminierung und kolonialen Kontinuitäten wird zunehmend gefordert.

Intersektionalität und multiple Diskriminierung von Frauen war weder ein Kern- noch ein Querschnittsthema, wurde jedoch in den Forderungen nach der Universalität von Menschenrechten in der Aktionsplattform aufgeführt. Das sorgte dafür, dass Frauen, die mehrfache Diskriminierung erfahren, von Regierungen Schutz und Teilhabe an politischen Entscheidungen einfordern können – und zwar von ihren eigenen Regierungen, aber auch von Regierungen des Globalen Nordens, die teilweise ihre Länder kolonisiert hatten. So sind Frauen- und Minderheitenrechte gerade für die feministischen Bewegungen aus dem Globalen Süden und BIWoC-Gruppen im Globalen Norden ein unverzichtbarer Bestandteil eines pluralistischen Verständnisses von Demokratie und eines inklusiven Feminismus.

Feministische Außenpolitik und Entwicklungszusammenarbeit

Angeschoben von dem Druck feministischer Organisationen, interstaatlichen Institutionen und nationalen Parlamenten wuchs in den letzten Jahrzehnten das Momentum für feministische Politik in der internationalen Zusammenarbeit. Seit dem Jahr 2014 hat eine wachsende Anzahl an Staaten feministische Ansätze in ihre Außenpolitik und Entwicklungszusammenarbeit integriert, darunter Deutschland. Neben nationalen Aktionsplänen und Leitlinien entstanden Austauschformate für Regierungen und Zivilgesellschaft, um dieses Konzept mit konkreten Maßnahmen zu versehen. Im Kern sehen diese Strategien vor, die Bedarfe von Frauen und anderen marginalisierten Gruppen stärker in den Fokus zu nehmen und ihr eigenes internationales Engagement an feministischen Werten auszurichten. Die Förderung von Graswurzelorganisationen spielt dabei eine Schlüsselrolle.[15]

Ob ihnen der Aufbau von nachhaltigen Allianzen mit feministischen Bewegungen jedoch gelungen ist, stellen einige infrage. Vor allem Aktivistinnen und Aktivisten aus dem Globalen Süden sind enttäuscht: Zwar hat die Gleichstellung der Geschlechter mehr Aufmerksamkeit erhalten, doch Lösungen werden meistens im Globalen Norden entwickelt und das oftmals unter Ausschluss lokaler Akteurinnen. Ihre Teilhabe bleibt punktuell ohne eine Gesamtstrategie, um feministische Außenpolitik und die Entwicklungszusammenarbeit aktiv mitzugestalten. Auch der unterschiedliche Umgang mit dem Krieg zwischen Israel und der Hamas und dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine hat für Misstrauen bei Feministinnen im Globalen Süden gesorgt, wie ernst es der deutschen Regierung mit der Umsetzung ist. Denn das Herzstück jeder feministischen Außenpolitik ist die menschliche Sicherheit, die durch Gleichstellung und Chancengerechtigkeit hergestellt wird und nicht durch Aufrüstung und die Ausspielung unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen gegeneinander.[16]

Es kann eingewendet werden, dass die vielen Erwartungen zu hoch waren und es immer noch sind. Eine feministische Entwicklungszusammenarbeit ohne eine entsprechende Finanzpolitik, die notwendige Mittel bereitstellt, ist nicht nachhaltig. Außerdem leidet die Glaubwürdigkeit solcher Ansätze, wenn gleichstellungspolitische Vorhaben auf nationaler Ebene nicht konsequent umgesetzt werden. Veränderungsprozesse, wie ihn die feministische Ausrichtung der Außen- und Entwicklungspolitik vorsehen, benötigen zudem Zeit. Prozesse, die in den durchführenden Organisationen angestoßen wurden, werden erst in den nächsten Jahren Früchte tragen können. Viele Aktivistinnen und Aktivisten ziehen zudem die Zwischenbilanz, dass der Rechenschaftspflicht ihnen gegenüber nicht ausreichend nachgekommen wurde. Ihre langjährige Arbeit zu Gleichberechtigung und Menschenrechten wurde seit Jahrzehnten nur punktuell berücksichtigt, was die Umsetzung der erklärten Ziele gefährdet und das Vertrauen ihrer Verbündeten untergräbt.

Beijing 30 Jahre später: Ausblick und Einsicht

Das diesjährige Jubiläum der Beijinger Weltfrauenkonferenz wird von den dramatischen Etat-Kürzungen für die US-Entwicklungshilfe durch US-Präsident Donald Trump erschüttert. Vor allem für Frauen und Mädchen im Globalen Süden wird diese Politik des ›Amerika Zuerst‹ gravierende Auswirkungen auf ihre Rechte und ihre Lebensqualität haben. Fünf Jahre zuvor stellte sich die Frage, ob es eine Neuauflage der Beijinger Erklärung geben solle. Vor dem Hintergrund der damals endenden, ersten Präsidentschaft Trumps wurde davon Abstand genommen. Zu groß war die Sorge, es würde ein Abschlussdokument geben, das hinter der Erklärung und Aktionsplattform aus den 1990er Jahren zurückbleibt. In den letzten Jahren hatte sich dieser Trend fortgesetzt und das Netzwerk derjenigen, die sich weniger statt mehr Gleichberechtigung wünschen, war gewachsen und besser koordiniert denn je. Foren zur Stärkung der internationalen Gleichstellungspolitik sind heute keine Räume von Feministinnen und Feministen mehr. Aktivistinnen und Aktivisten fühlen sich auf internationalen Konferenzen nicht sicher, berichten von Einschüchterungen und weniger Möglichkeiten zum Austausch mit Entscheidungsträgerinnen und -trägern. Gleichzeitig müssen sie jetzt, unter der zweiten Trump-Regierung, zu Recht befürchten, dass die Förderung ihrer wichtigen Anwaltschaftsarbeit ganz eingestellt wird und sie auch keinen ideellen Rückhalt mehr durch die USA genießen. 

Das Netzwerk derjenigen, die sich weniger statt mehr Gleichberechtigung wünschen, ist gewachsen und besser koordiniert denn je.

Die Denkfabrik Club of Rome hatte im Jahr 2022 im Bericht ›Earth for All‹ ein radikales internationales Umdenken mit zentralen Maßnahmen für eine lebenswerte Zukunft der Menschheit gefordert: Beendigung der Armut, Beseitigung der eklatanten Ungleichheit, Ermächtigung der Frauen, Aufbau eines für Menschen und Ökosysteme gesunden Nahrungsmittelsystems und Übergang zum Einsatz sauberer Energie.[17] Heraus sticht die Aussage, dass die Klimakrise nur mit mehr sozialer Gerechtigkeit bewältigt werden könne. Da vor allem Frauen von Armut betroffen sind, ist die Klimakrise somit ein klares Geschlechterthema. Das erkannten schon die Feministinnen in Beijing, sodass dem Thema Umwelt bereits vor 30 Jahren ein eigenes Kapitel in der Aktionsplattform gewidmet wurde. Die wachsende Ungleichheit ist in Vorhersagestudien ein weltweiter Megatrend. Mit ihr steige die Angst vor Veränderungen und für viele sei die persönliche Zumutbarkeitsschwelle, ob berechtigt oder nicht, erreicht. Die Solidarität sinke und die Gesellschaft rücke nach rechts, so der Club of Rome.[18]

Heute sprechen wir von einer Polykrise. Das bedeutet, dass die Herausforderungen komplexer geworden sind und sich intersektional überschneiden. Das bedeutet auch, dass es nicht das eine Allheilmittel gibt, um Gleichstellung und Chancengerechtigkeit für alle zu erreichen. Es erfordert viele unterschiedliche Maßnahmen auf allen Ebenen der Politik im In- und Ausland, die zusammen gedacht werden müssen. Zu diesem Zeitpunkt sollte an erster Stelle stehen, denjenigen den Rücken zu stärken, die sich trotz oder gerade wegen der widrigen Umstände weiterhin für eine offene Gesellschaft und eine pluralistisch verstandene Demokratie einsetzen. Das wäre die Garantie dafür, dass sichere Räume geschaffen würden, um Gleichberechtigung, die Umsetzung der Menschenrechte, Klima- und Verteilungsgerechtigkeit aushandeln zu können. Ohne demokratische Spielregeln, ohne Verzicht auf Gewalt und die Eindämmung von Desinformation und ohne den Schutz von Minderheiten werden Frauen in ihrer Teilhabe und Mitbestimmung dramatisch zurückgedrängt werden. Vielerorts lässt sich beobachten, dass sich aus Sorge vor einem orchestrierten Rückschlag staatliche und zivilgesellschaftliche Akteure zunehmend vorsichtig verhalten, sich gar selbst zensieren. Das führt dazu, dass Organisationen und Staaten vorsorglich Kompromisse eingehen oder sich mit symbolischen Maßnahmen begnügen, anstatt substanzielle Veränderungen anzustreben. Neben der Unterstützung zivilgesellschaftlicher Organisationen müssen Staaten mit den ihnen verfügbaren Mitteln Verpflichtungen erfüllen, die sich unter anderem aus der Menschenrechtscharta oder dem CEDAW ergeben. Es ist eine zentrale Aufgabe der Regierungen, proaktiv Maßnahmen zu ergreifen, um die darin festgeschriebenen Prinzipien und Verpflichtungen in nationales Recht und politische Strategien umzusetzen.

Es gilt nun, dem allgegenwärtigen Druck gegen Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechte standzuhalten, feministische und intersektionell arbeitende Bewegungen weltweit und im eigenen Land ideell und finanziell mehr als je zuvor zu stärken, statt diese drastisch zu reduzieren. Einerseits, um das Versprechen von Beijing einzulösen, andererseits, um antidemokratischen Entwicklungen den Wert einer offenen Gesellschaft entgegenzuhalten. Der Bericht ›Gender-Snapshot 2024‹ von UN Women zeigt, dass die Förderung von Geschlechtergerechtigkeit keine Wohltätigkeit ist, sondern eine Investition in das Wohlergehen aller bedeutet. So würde diese Investition in Chancengerechtigkeit der weltweiten Wirtschaft zehn Billionen US-Dollar durch mehr Ausbildung für Mädchen und Frauen bringen, eine Investition in die Pflegeökonomie 300 Millionen mehr Arbeitsplätze bedeuten, die digitale Kluft zwischen den Geschlechtern schließen sowie weltweite Kosten in Höhe von 500 Milliarden US-Dollar einsparen.[19] Denn nur wenn Menschen ungeachtet ihrer gesellschaftlichen Zuschreibungen mitentscheiden können, kann eine Gesellschaft ihr volles Potenzial ausschöpfen, um die Herausforderungen aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten und lösen zu können.

 


[1]Beijing Declaration and Platform for Action, Fourth World Conference on Women, 15.9.1995, www.un.org/womenwatch/daw/beijing/pdf/BDPfA%20E.pdf

[2]UN Women, The Beijing Declaration and Platform for Action at 30, 25.11.2024, www.unwomen.org/en/articles/explainer/the-beijing-declaration-and-platform-for-action-at-30-how-it-transformed-the-fight-against-gender-based-violence

[3] Siehe dazu auch VEREINTE NATIONEN (VN), 65. Jg., 6/2017, zeitschrift-vereinte-nationen.de/suche/zvn/heft/vereinte-nationen-heft-62017 sowie Karin Nordmeyer, 20 Jahre Weltfrauenkonferenz von Beijing. Gleichberechtigung in keinem Land der Welt, VN, 63. Jg., 6/2015, S. 261–265.

[4] UN-Dok S/RES/1325 v. 31.10.2000.

[5] Frauensicherheitsrat in Deutschland, Schattenbericht zum Bericht der Bundesregierung Deutschlands über die Umsetzung der UN-Resolution 1325, Oktober 2004, zitiert nach Heidi Meinzolt, UN-Resolution 1325 in Deutschland, Wissenschaft & Frieden, 36. Jg., 3/2018, wissenschaft-und-frieden.de/artikel/un-resolution-1325-in-deutschland/. Siehe dazu den Beitrag von Shila Block und Mona Mukalazi in diesem Heft.

[6]Organization of American States (OAS), About the Belém do Pará Convention, www.oas.org/en/mesecvi/convention.asp

[7]Council of Europe, Istanbul Convention, www.coe.int/en/web/istanbul-convention

[8]African Union, Protocol to the African Charter on Human and Peoples’ Rights on the Rights of Women in Africa, au.int/en/treaties/protocol-african-charter-human-and-peoples-rights-rights-women-africa

[9] UN, Bericht der Vierten Weltfrauenkonferenz, Kapitel IV: Strategische Ziele und Maßnahmen, B. Bildung und Ausbildung von Frauen, www.un.org/Depts/german/conf/beijing/anh_2_2.html

[10] Kavita Ramdas, Feminismus als Fremdwort, taz, 9.11.2024, taz.de/Deutschlands-Innen--und-Aussenpolitik/!6042970

[11]Monitor. Tracking Civic Space, Rights reserved, a Downward Shift in Civic Space (2019-2023), monitor.civicus.org/rights-reversed-2019-to-2023/

[12] Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschl. v. 24.3.2021, Az.1 BvR 2656/18 u.a.

[13]Minnesota Advocates for Human Rights, Summary of the Beijing Declaration and Platform for Action, Januar 1996, training.theadvocatesforhumanrights.org/Res/beijing_declaration_1996.pdf

[14]International Indigenous Women’s Forum, Global Study on the Situation of Indigenous Women and Girls, 2020, 25176774.fs1.hubspotusercontent-eu1.net/hubfs/25176774/GlobalStudyFIMI_20-englishRGB-2.pdf

[15]UN Women, Feminist Foreign Policies. An Introduction, www.unwomen.org/sites/default/files/2022-09/Brief-Feminist-foreign-policies-en_0.pdf

[16]Saskia Brechenmacher, Germany Has a New Feminist Foreign Policy. What Does It Mean in Practice?, Carnegie Endowment for International Peace, 8.3.2023, carnegieendowment.org/research/2023/03/germany-has-a-new-feminist-foreign-policy-what-does-it-mean-in-practice sowie Ramdas, Feminismus als Fremdwort, a.a.O. (Anm. 10).

[17]Club of Rome, Earth for All – A Survival Guide for Humanity, 2022, www.clubofrome.org/publication/earth4all-book/

[18]Ebd.

[19]UN Women/United Nations Department of Economic and Social Affairs (UN DESA), The Gender Snapshot 2024, New York, unstats.un.org/sdgs/gender-snapshot/2024/

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