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UN-diplomatisch in 280 Zeichen

US-Präsident Donald Trump habe durch seine Nutzung von Twitter die Sprache der Diplomatie verändert, so meinen viele. Die Ständigen Vertretungen der UN-Mitgliedstaaten verwenden heute via Twitter tatsächlich eine neue Sprache. Doch diese unterscheidet sich wesentlich von der Trumps.

Tweet der Ständigen Vertretung der Ukraine bei den Vereinten Nationen, geteilter Bildschirm
Tweet der Ständigen Vertretung der Ukraine bei den Vereinten Nationen unter Verwendung des geteilten Bildschirms: das zerstörte Aleppo und eine Resolutionsabstimmung im UN-Sicherheitsrat. twitter.com/ukrinun/status/784833065738788865

Viele Menschen aus Politik, Medien und Wissenschaft behaupten, die Art und Weise, wie US-Präsident Donald Trump Twitter nutzt, sei ›undiplomatisch‹. Anders als andere führende Politikerinnen und Politiker kündigt Trump über diesen Mikrobloggingdienst Handelskriege an, schürt Konflikte und beleidigt seine Gegner in aggressiver Sprache. Möglicherweise begann Trump mit der brachialen und aggressiven Rhetorik während seines Wahlkampfs für das Präsidentschaftsamt der USA, um seine Agenda den amerikanischen Medien zu diktieren. Von zahlreichen Medien auf die schwarze Liste gesetzt, machte er sich Twitter zu Nutze, um haarsträubende Behauptungen aufzustellen, die nicht ignoriert werden konnten. In einigen Kommentaren zu seiner Twitter-Nutzung wurde die Bezeichnung »Trumps Twitter Diplomatie«[1] geprägt.

Es gibt jedoch auch Stimmen, die meinen, Trumps Verwendung von Twitter sei beispielhaft dafür, wie führende Vertreterinnen und Vertreter aus Politik und Diplomatie heutzutage die sozialen Medien für ihre Öffentlichkeitsarbeit gebrauchen. Wie bei einer Tröpfcheninfektion habe sich Trumps Rhetorik auf Akteure in internationalen Organisationen abgefärbt. Doch der US-Präsident bleibt eine Ausnahme. Di­plomatinnen und Diplomaten haben sich den ›trump’schen‹ Ansatz bei der Verwendung sozialer Medien nicht zu Eigen gemacht. Im Gegenteil: Auch bei der Nutzung von Twitter bleiben die Delegierten grundsätzlich eloquent, seriös und verwenden sensible Sprache, wenn sie andere Staaten konfrontieren oder sich mit strittigen Themen befassen.

Beeinflussung durch Sprache

Dennoch hat Twitter die Sprache der Diplomatie stark verändert. Dies ist auf eine Vielzahl von Gründen zurückzuführen, von denen der erste ein technischer ist: Tweets sind auf 280 Zeichen begrenzt. Diplomatinnen und Diplomaten mussten sich also auf das Prinzip der Verkürzung umstellen und lange, vage formulierte Presseerklärungen durch prägnante Botschaften ersetzen. Sie ergänzen Emojis und Hashtags, um ihre Tweets zu kürzen oder die Reichweite ihrer Nachrichten zu erhöhen. Beruflich wird Twitter genutzt, um politische Ereignisse nahezu in Echtzeit zu kommentieren. Die Nutzerinnen und Nutzer sozialer Medien erwarten heutzutage, über Ereignisse noch während des Verlaufs informiert zu werden. Die digitale Öffentlichkeit hat nicht mehr die Geduld, auf die Nachrichtensendung am Abend oder die Titelseite am nächsten Morgen zu warten.[2] Und schließlich verwenden Diplomatinnen und Diplomaten häufig Abbildungen und Grafiken in ihren Tweets. Fotos sind mäch­tige Werkzeuge, da sie in kurzer Zeit viele Informationen übermitteln. Sie werden eingesetzt, um komplexe Themen vereinfacht darzustellen, und ermöglichen es, Referenzen zu historischen Ereignissen herzustellen, sodass das Online-Publikum die aktuellen Geschehnisse besser einordnen kann.[3]

Anhand der Auswertung der Pressearbeit verschiedener Ständiger Vertretungen bei den Vereinten Nationen wird im Folgenden untersucht, wie Sprache bei Twitter verwendet wird. Dabei spielen analytische Deutungsrahmen (Frames) eine wich­tige Rolle.[4] Sie funktionieren wie ein Prisma: Sie bündeln Informationen und verhelfen der Öffentlichkeit dazu, sich eine Meinung bezüglich eines Themas, eines Ereignisses oder eines Akteurs zu bilden. Einige Studien belegen, dass Diplomatinnen und Diplomaten derzeit die sozialen Medien nutzen, um Deutungsrahmen für wesentliche politische Aspekte und Maßnahmen der Regierung festzulegen, um so für die Unterstützung ihrer Politik sowohl im Inland als auch im Ausland zu werben. Mehr noch: Anhand der Verankerung von Deutungsrahmen wird darauf abgezielt, die Weltsicht der digitalen Öffentlichkeit und der Medien zu bestimmen.[5]

Deutungsrahmen werden durch bestimmte Wörter oder Deutungselemente aktiviert. Beispielsweise können Journalistinnen und Journalisten mittels Abbildungen die Bedeutung eines Artikels oder eines Berichts festlegen. Durch die ständige Wiederholung von bestimmten Botschaften sowie der Darstellung historischer Analogien kann die öffentliche Wahrnehmung beeinflusst werden. Geschichtliche Ereignisse dienen häufig wie eine Vorlage dazu, ein Licht auf die Gegenwart zu werfen. Und Twitter dient als Instrument, um globale Ereignisse und Akteure in einen Deutungsrahmen zu setzen.

Wenn weniger mehr ist

Fachleute haben oft hinterfragt, inwiefern Diplomatie in 280 Zeichen tatsächlich möglich ist. Laut der New York Times hat Twitter die Diplomatie auf den flutartigen Ausstoß von Kurzinformationen reduziert.[6] Dass manchmal weniger mehr ist, zeigt der nebenstehende Tweet der Ständigen Vertretung Großbritanniens bei den Vereinten Nationen im September 2017. Er ist ein gutes Beispiel für die neue diplomatische Tugend: die Kürze. Es wird eine Reihe an Themen aufgelistet, die die Außenpolitik Großbritanniens bestimmen. Vermittelt wird, dass Großbritannien eine detaillierte Außenpolitik verfolgt, die sich auf vielfältige Themen konzentriert, an­gefangen von der Förderung der Menschenrechte bis hin zur Bekämpfung des Islamischen Staates (Da’esh – IS). Vermittelt wird jedoch zugleich, dass Großbritannien ein globaler Akteur ist, dessen politischer Fokus von Jemen bis Nordkorea reicht. Angesichts des ›Brexits‹ wird hier eine mächtige Botschaft verkündet: Großbritannien tritt zwar aus der Europäischen Union (EU) aus, bleibt aber auf der Weltbühne präsent.

Die Metapher des offenen Buches steht im Gegensatz zu Trumps Botschaften, die von weltweiten Verschwörungen geprägt sind.

Um die Reichweite dieser Nachricht zu erhöhen, wurde der Text durch einige Hashtags ergänzt. In den sozialen Medien, so auch bei Twitter, ist die öffentliche Reichweite der einzelnen Einträge durch algorithmische Filterung erheblich eingeschränkt. Der oben erwähnte Tweet würde nur die Twitter-Follower der Ständigen Vertretung erreichen, die Interesse an internationalen Angelegenheiten, multilateraler Diplomatie oder britischer Außenpo­litik haben. Die Verwendung von populären Hashtags wie #NorthKorea oder #UNGA für die UN-Generalversammlung, die zu dieser Zeit hoch im Kurs lagen, ermöglichte es der Ständigen Vertretung, die algorithmischen Grenzen zu sprengen und ein größeres Publikum zu erreichen. Darüber hinaus schließt der Tweet mit einem Emoji, der Erde, ab. So werden die Twitter-Nutzerinnen und -Nutzer darüber informiert, dass Großbritannien sich weiterhin als weltweit agierenden Akteur versteht.

Ein bewegendes Beispiel dafür, wie Großbritannien verkürzte Sprache einsetzt, veranschaulicht die Veröffentlichung eines Tweets im Dezember 2016 auf einer Sitzung des UN-Sicherheitsrats zur Situation in Aleppo.[7] Zu diesem Zeitpunkt war Donald Trump bereits der gewählte US-Präsident. Der Tweet listete nach der Bombardierung durch Russland die Opferzahlen in Aleppo in folgender Reihenfolge auf: »82 Menschen, 13 Frauen, 11 Kinder und 0 Terroristen«. Dies war eine direkte Rüge infolge der Behauptung Russlands und Syriens, Aleppo sei bombardiert worden, um die Stadt von islamistischen Terroristen zu befreien. Durch die Gegenüberstellung der Zahlen ziviler Opfer mit der Op­ferzahl unter den Terroristen legt der Tweet zwei Deutungsrahmen fest: Zum einen wird der Kampf um Aleppo als eine humanitäre Katastrophe definiert, zum anderen wird das Vorgehen Russlands als negativer Deutungsrahmen verankert. Darüber hinaus liefert der Tweet dem Online-Publikum eine unmittelbare Berichterstattung über die Ereignisse, die sich an einem der wichtigsten Schauplätze der diplomatischen Welt, dem UN-Sicherheitsrat, abspielen.

Ergänzt wurde dieser Tweet durch ein Foto, auf dem der Ständige Vertreter Großbritanniens bei den Vereinten Nationen mit dem Länderschild während seiner Anhörung vor dem Sicherheitsrat zu sehen war. Durch die Veröffentlichung dieses Bildes erhielt Großbritannien ein Gesicht und der Diplomat vertrat öffentlich die Außenpolitik und Werte des Staates. Der Hashtag #Aleppo dient als Deutungselement, das den Kontext der Debatte definiert. Eine schlichte Auflistung der Todesopfer wäre für viele unverständlich gewesen, denn hier hätte die Information gefehlt, über welches Thema verhandelt wurde.

In beiden Fällen ist die von den britischen Diplomaten verwendete Sprache ›un-trumpisch‹. Es werden weder abfällige Sprache, Drohungen noch Beleidigungen verwendet, auch wenn, wie im zweiten Tweet erwähnt, Großbritannien Russland sprachlich attackiert.

Ein drittes und letztes Beispiel für verkürzte Sprache stammt aus der Feder der Ständigen Vertretung Russlands bei den Vereinten Nationen. In einem Tweet vom November 2019 lud die Ständige Vertretung die Twitter-Nutzerinnen und -Nutzer dazu ein, eine UN-Pressekonferenz zu verfolgen, die sich mit Russlands Engagement in den Bürgerkriegen in Jemen und Syrien befasste. Russlands Ständige Vertretung verwendete dabei eine Vielzahl an Emojis. Diese Emojis wurden möglicherweise zu zwei Zwecken eingesetzt: Erstens, um das Online-Publikum dazu zu bringen, nicht weiter zu scrollen, sondern den Tweet angesichts der Fülle an verwendeten Emojis tatsächlich zu lesen. Das Emoji des aufgeschlagenen Buches dient, zweitens, als Deutungselement. Es soll suggerieren, dass die russische Außenpolitik transparent ist: Russland ist ein offenes Buch. Dieses transportierte Bild steht im völligen Gegensatz dazu, wie Russland in der westlichen Presse dargestellt wird, nämlich mit einer Schattenarmee von Trollen und als Verbreiter von Desinformationen.

Ergänzt wurde der Text durch ein Foto, das eine Reihe von Nationalflaggen vor dem UN-Amtssitz in New York zeigt. Es symbolisiert die internationale Staatengemeinschaft und schafft die Assoziation, dass Russland Teil der internationalen Gemeinschaft und kein Außenseiter mit wenigen Verbündeten oder Freunden ist. Die Botschaft lautet: Russland gehört dieser Gemeinschaft an.

Schließlich lädt der Tweet die Follower dazu ein, sich über aktuelle Ereignisse auch zukünftig informiert zu halten. Russland bietet damit allen Interessierten den Service, an Weltereignissen und diplomatischen Entscheidungen unmittelbar beteiligt zu sein. All dies wird in 280 Zeichen vermittelt.

Auch dieser Tweet entspricht nicht dem, wie Trump Twitter verwendet. Es geht hier um Transparenz und nicht um Geheimhaltung. Die Metapher des offenen Buches steht im Gegensatz zu Trumps Botschaften, die von mächtigen Personen, weltweiten Verschwörungen und geheimen Interessen geprägt sind. Darüber hinaus hat die Nachricht einen einladenden Charakter, während die Nachrichten von Trump eher abstoßend sind. Der russische Tweet verweist schließlich auf globales Engagement und steht im Gegensatz zu Trumps Politik des globalen Rückzugs.

Bilder der Vergangenheit

Wie bereits erwähnt, sind Bilder mächtige Instrumente zur Festlegung des Kontextes, da sie innerhalb kürzester Zeit viele Informationen übermitteln. Die Aufmerksamkeitsspanne der digitalen Öffentlichkeit ist recht kurz und diese tendiert dazu, zügig zum jeweils nächsten Tweet zu scrollen. Doch durch die Verwendung von Bildern können die Diplomatinnen und Diplomaten die Aufmerksamkeit ihres Publikums schnell erreichen. Fotos können sowohl eine Verbindung zur Geschichte eines Landes als auch zur Populärkultur herstellen. So können komplexe Sachverhalte vermittelt werden. Ein klassisches Beispiel dafür ist ein Tweet, der im Jahr 2016 noch vor Trumps Ernennung als US-Präsident von der Ständigen Vertretung der Ukraine bei den Vereinten Nationen veröffentlicht wurde.[8]

Auch dieser Tweet befasst sich mit dem syrischen Bürgerkrieg und verwendet dabei den geteilten Bildschirm. In seinem Filmklassiker ›Annie Hall‹ setzt Woody Allen den geteilten Bildschirm als ein geniales rhetorisches Instrument ein. Es gewährt dem Publikum Einblicke in zwei Realitäten zur gleichen Zeit – in eine vertraute, die Wohlbehagen auslöst, und eine fremde, die verstörend wirkt. Im Tweet der Ukraine wird der geteilte Bildschirm eingesetzt, um den Vereinten Nationen Inkompetenz zuzuweisen. Die vertraute Szene zeigt den Sicherheitsrat während einer Abstimmung, die verstörende Szene zeigt ein verwüstetes Aleppo. Insbesondere der Text und das verwendete Foto des Tweets prangern Russland als die politische Macht an, die angesichts seiner wiederholten Vetos im Sicherheitsrat der multilateralen Diplomatie den Rücken kehrt. Aufgrund dieses politischen Vorgehens entfaltete sich das Grauen in Aleppo, so das Narrativ des Tweets.

Auffällig ist, dass die Abbildungen in schwarz-weiß wiedergegeben werden. Dies weckt Assoziationen mit einem bekannten Bild aus der Populärkultur, der Szene des runden Verhandlungstisches aus dem Film ›Dr. Strangelove‹. Diese visuelle Assoziation, die nicht sofort für alle erkennbar ist, erhöht, im Gegensatz zu Trumps Nachrichten, die semantische Komplexität dieses Tweets. Sie lässt glauben, Russland sei zu einer Mentalität zu Zeiten des Ost-West-Konflikts zurückgekehrt, zur bloßen Aggression und zu einem internationalen Machtkampf. In diesem Fall wird also ein historisches Bild verwendet, um eine aktuelle Krise zu erklären. Gleichzeitig wird darauf hingewiesen, dass Russland Syrien nutzt, um eine regionale Hegemonie aufzubauen und nicht, um den Terrorismus zu bekämpfen.

In der digitalen Diplomatie lassen sich hoffnungsvolle Botschaften schneller verbreiten als hasserfüllte oder abfällige Tweets.

Ein weiteres Beispiel, das veranschaulicht, wie Abbildungen verwendet werden, ist ein Tweet der Ständigen Vertretung Frankreichs bei den Vereinten Nationen vor der Klimakonferenz im Jahr 2019 in Madrid (Conference of the Parties – COP-25).[9] In diesem wird ein Video mit rauchenden Fabrikschornsteinen gezeigt, die den Planeten verschmutzen. Die Botschaft ist von Hoffnung und Verzweiflung zugleich geprägt. Es erinnert an die Bilder, die das düstere und die Not des frühen Industriezeitalters wiedergeben, in dem Arbeiter unter schrecklichen Bedingungen in Fabriken tätig waren, während ihre Seelen und Häuser verpestet wurden. Die rauchenden Schornsteine aber stehen im Widerspruch zum dazugehörigen Text des Tweets, in dem die »EU als der größte Hoffnungsträger der Welt im Umweltschutz« und im Kampf gegen den Klimawandel dargestellt wird. Der Tweet thema­tisierte den Klimaschutz, Frankreichs Haltung zu diesem Thema sowie die bevorstehende COP-25.

Sowohl das russische als auch das französische Beispiel unterscheidet sich von Trumps Tweets, vermitteln sie doch eher ein positives Bild. Einige Studien belegen, dass sich in der digitalen Diplomatie hoffnungsvolle Botschaften schneller verbreiten lassen und eine höhere Reichweite erzielen als hasserfüllte oder abfällige Tweets. Dies mag darauf zurückzuführen sein, dass die Öffentlichkeit Diplomatinnen und Diplomaten nach wie vor als Friedensstifter und somit als jene verantwortlich sieht, die Ordnung in internationale Angelegenheiten bringen.[10]

Veröffentlichen Diplomaten hingegen Botschaften, in denen ein negativer Unterton mitschwingt, so treffen diese auf Ablehnung. Russland und Frankreich beabsichtigen also mit ihren Tweets, aktuelle Krisen zu thematisieren, während Trump Tweets verfasst, um die Krisen auf nationaler und internationaler Ebene zu vertiefen.

Die Rhetorik des Engagements

Tweets werden von den Ständigen Vertretungen oft auch veröffentlicht, um weltweit zu Engagement aufzurufen und die Öffentlichkeit stärker in die Arbeit der Vereinten Nationen einzubinden. Dabei fällt dieser Begriff sehr häufig. Ein Tweet, der diesbezüglich hervorzuheben ist, wurde am 12. Dezember 2019 von der Ständigen Vertreterin der USA bei den Vereinten Nationen Kelly Craft veröffentlicht und von ihrer Ständigen Vertretung geteilt. Ihr Tweet lud Jugendliche dazu ein, an einem Wettbewerb teilzunehmen, bei dem sie ihre Zukunftsvisionen künstlerisch umsetzen konnten.[11] Es wird schnell klar, dass die Mitteilung auf Trumps Politik anspielt – nämlich hinsichtlich der finanziellen Verantwortung, Rechenschaftspflicht und Wirtschaftlichkeit multilateraler Institutionen. Während Trump internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen oder die Nordatlantik-Organisation (NATO) beschimpft, stellt dieser Tweet die Rechenschaftspflicht der UN als die notwendige Maßnahme heraus, damit diese in Zukunft besser im Dienste der Menschheit arbeiten können.

In diesem Tweet diente das Profilbild von Craft als Instrument zur Festlegung des Kontextes. Die Verwendung der Farben Rot, Weiß und Blau sowie die in den Vordergrund gesetzte US-Flagge lässt den amerikanischen Optimismus widerhallen, der besagt, dass die besten Tage der USA noch bevorstehen. Es ist also nicht die Ständige Vertreterin, die sich für eine bessere Zukunft engagiert, sondern es sind die USA als Ganzes. Dieser Tweet ist bedeutungsvoll, denn er bekräftigt das Engagement der USA für internationale Diplomatie und in multilateralen Organisationen, ein Engagement, das in Trumps Tweets wiederholt infrage gestellt wird.

Ein ähnlicher Tweet wurde von der Ständigen Vertretung Frankreichs bei den Vereinten Nationen veröffentlicht.[12] Darin werden Jugendliche weltweit aufgefordert, sich stärker für den Schutz der Menschenrechte einzusetzen. In dem beigefügten Video jedoch werden die Jugendlichen dazu aufgerufen, sich mit den Problemen des Klimawandels zu befassen. Dieser Tweet definiert also das Recht der jungen Generation, ein Leben auf einem sau­beren Planeten zu führen, als Menschenrecht. Die Einbindung von Kindern und Jugendlichen in dem Video legt den Tweet Frankreichs als einen Aufruf zum Handeln fest. Betont wird, dass das Klima­bewusstsein der einzige Weg ist, um das Wohler­gehen künftiger Generationen zu sichern. Dieser Tweet verweist also auf ein außenpolitisches Pro­blem und stellt die Rolle heraus, die die UN weltweit spielen.

Diese Tweets von Frankreich und Russland stehen ebenfalls im Gegensatz zur Rhetorik Trumps. Während Trumps Äußerungen Desillusionen gegenüber Politik und Regierung entfachen und soziale Spaltungen sowie die Aufkündigung bürgerlichen Engagements vorantreiben, ermuntern diese Tweets zu mehr Engagement. Sie laden junge Menschen dazu ein, aktiv zu werden, sich an der Weltordnungspolitik zu beteiligen und in die Arbeit der internationalen Diplomatie zu vertrauen.

Ein neues Wörterbuch für Twitter

Deutlich wird, dass sich Trumps Nutzung von Twitter stark davon unterscheidet, wie andere Diplomatinnen und Diplomaten die sozialen Medien verwenden. In der Tat steht ihr Sprachgebrauch in vielerlei Hinsicht im Kontrast zur Online-Rhetorik Trumps. Allerdings beeinflusst Twitter selbst die Sprache der Diplomatie. Die Herausbildung digitaler Technologien zwingt Diplomatinnen und Diplomaten dazu, sich auf ein neues Vokabular festzulegen und sich die Tugend der Kürze anzueignen. Um die Blicke der digitalen Öffentlichkeit auf ihre Inhalte zu lenken, kommunizieren sie zusätzlich in einer Bildsprache, mit Fotos und Emojis. Darüber hinaus werden die sozialen Medien für diplomatische Zwecke eingesetzt, wobei eine Rhetorik verwendet wird, die zur aktiven Beteiligung aufruft. So sollen die Nutzerinnen und Nutzer sozialer Medien in die internationale Arbeit einbezogen werden.

Die Ziele der Diplomatie haben sich nicht geändert. Mit der Nutzung der sozialen Medien wird auch danach gestrebt, die Wahrnehmungen, Einstellungen und Weltanschauungen der Öffentlichkeit zu beeinflussen. Dies geschieht durch die Herausstellung globaler Themen, Ereignisse und Akteure. Einige frühere Studien deuten darauf hin, dass Diplomatinnen und Diplomaten darauf abzielen, die Weltanschauungen der Nutzerinnen und Nutzer sozialer Medien sowohl auf internationaler Ebene als auch innerhalb der eigenen Bevölkerung sowie die Medien selbst zu beeinflussen – genau wie Trump.

Doch Trumps Rhetorik unterscheidet sich maßgeblich von ihrer Rhetorik. Während Trump Engagement aufkündigt, ruft die Diplomatie zu mehr Engagement auf. Während Trump Unfrieden stiftet, konzentrieren sich Diplomatinnen und Diplomaten auf positive Botschaften. Während Trump die Krisen verschärft, verwenden Diplomatinnen und Diplomaten einen seriösen, abwägenden Ton. Während Trumps Botschaften desillusionieren, verspricht die Diplomatie mehr Engagement und verstärkte Zusammenarbeit für eine bessere Zukunft. Und während Trump von Verschwörungen spricht, bieten Diplomatinnen und Diplomaten durchaus Transparenz.

Da sich diese Analyse der Kommunikationsarbeit nur auf ausgewählte Ständige Vertretungen bei den Vereinten Nationen konzentriert, können die Ergebnisse nicht verallgemeinert werden. So greift die Russische Vertretung in Großbritannien beispielsweise häufig auf satirische und abfällige Begriffe zurück, wenn sie sich zu den Beziehungen zwischen Russland und Großbritannien oder den USA äußert. Andere Studien kommen jedoch zu dem Schluss, dass solche Nachrichten vom Online-Publikum häufig abgelehnt werden. Tatsächlich führt der aggressive Ton Russlands oftmals zu einer negativen Berichterstattung in der Presse. Dies könnte daran liegen, dass die Diplomatie immer noch ein Beruf ist, dem Aufrichtigkeit und Eloquenz nachgesagt wird. Die Öffentlichkeit erwartet von den Diplomatinnen und Diplomaten, dass sie sich wie bislang den Regeln der Diplomatie entsprechend verhalten.

 

Aus dem Englischen von Monique Lehmann

 

[1]David Ignatius, Trump’s Twitter Diplomacy with China is no Substitute for Clear Policy, The Washington Post, 5.9.2019.

[2]Ilan Manor, The Digitalization of Public Diplomacy, Cham, Schweiz 2019.

[3] Ilan Manor/Rhys Crilley, The Aesthetics of Violent Extremist and Counter Violent Extremist Communication, in: Corneliu Bjola/James Pamment (Eds.), Countering Online Propaganda and Extremism: The Dark Side of Digital Diplomacy, Oxon/New York 2018.

[4]Robert Entman, Framing: Toward Clarification of a Fractured Paradigm, Journal of Communication, 43. Jg., 4/1993, S. 51–58.

[5] Corneliu Bjola/Marcus Holmes (Eds.), Digital Diplomacy: Theory and Practice, Oxon/New York 2015.

[6] Jesse Lichtenstein, Digital Diplomacy, The New York Times, 16.6.2010.

[7]UK at the UN, Twitter, 13.12.2016, twitter.com/UKUN_NewYork/status/808730188502749184

[8]UKR Mission to UN, Twitter, 8.10.2016, twitter.com/ukrinun/status/784833065738788865

[9]La France à l’ONU, Twitter, 13.12.2019, twitter.com/franceonu/status/1205511674947612674

[10]Piki Ish Shalom, King Diplomats for Perpetual Crises, The Hague Journal of Diplomacy, 10. Jg., 1/2015, S. 10–14.

[11] Ambassador Kelly Craft, Twitter, 12.12.2019, twitter.com/USAmbUN/status/1205218576405278726

[12]La France à l’ONU, Twitter, 10.12.2019, twitter.com/franceonu/status/1204413960759496704

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