Wir brauchen eine stärkere Weltgesundheitsorganisation!

Manche werfen der Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization – WHO) angesichts der weltweiten massiven Auswirkungen der COVID-19-Pandemie Versagen vor. Insbesondere US-Präsident Donald Trump betonte lautstark, die Organisation sei zu chinahörig, und kündigte an, die Beitragszahlungen einzufrieren. Zusätzlich verkündete er den Austritt der USA aus der WHO. Aber auch der australische Premierminister Scott Morrison oder der stellvertretende japanische Premierminister Tarō Asō schlossen sich der Kritik grundsätzlich an.
Es ist wichtig, auf das eingeschränkte Mandat der WHO hinzuweisen. So verfügt die WHO nicht über Durchgriffsrechte und Sanktionsinstrumente gegenüber ihren 194 Mitgliedstaaten. Sie ist stets auf deren Kooperation und die Weitergabe von Informationen – insbesondere während eines Seuchenausbruchs – angewiesen, um Erkenntnisse auszuwerten und darauf basierend Empfehlungen zu formulieren. Deshalb hält sie sich mit Kritik an ihren Mitgliedern stets zurück. Die WHO muss sonst fürchten, dass ihr die Zusammenarbeit versagt wird.
Zugegeben, vor dem Hintergrund, dass China bereits in den Jahren 2002 und 2003 versucht hatte, den SARS-Ausbruch zu vertuschen, schien es befremdlich, dass die WHO bis Mitte Januar die Informationen der chinesischen Behörden über den Ausbruch einer neuartigen Lungenkrankheit scheinbar wortgleich wiedergab. Zwar hat die Organisation rechtlich gesehen durch die Internationalen Gesundheitsvorschriften (IHR) die Möglichkeit, auch andere Berichte als die offiziellen Daten der Landesbehörden heranzuziehen und gegebenenfalls auf Unstimmigkeiten hinzuweisen, allerdings riskiert die WHO in diesem Fall ein Ende der Zusammenarbeit. Inmitten eines Seuchenausbruchs wie COVID-19 wäre ein Informationsstopp fatal. Zudem hat die WHO die anfänglich getätigten Fehleinschätzungen der ersten Januarwochen rasch korrigiert und ihre Mitgliedstaaten vor dem Virus SARS-CoV-2 gewarnt.
Der gegenüber China lobende Ton, den Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus anschlug, war sicherlich überzogen. Aber die Organisation hat insbesondere im Vergleich zum Ebola-Ausbruch in Westafrika im Jahr 2014 rasch die internationale Gemeinschaft vor der Krankheit gewarnt und am 30. Januar dann, als die Fallzahlen außerhalb Chinas erst bei rund 100 infizierten Personen lagen, den internationalen Gesundheitsnotstand – das stärkste ihr zur Verfügung stehende Mittel – erklärt.
Die WHO leistet in dieser Krise Unverzichtbares, indem sie die Mitgliedstaaten mit Blick auf Gegenmaßnahmen berät und Hilfe weltweit koordiniert. Insbesondere für die Länder, die kaum auf die Pandemie vorbereitet sind, organisiert die WHO derzeit wichtige Hilfslieferungen von Schutzausrüstung sowie Testkapazitäten, schult das Personal und stellt finanzielle Hilfe bereit. Dass diese wichtige Arbeit der WHO von der amerikanisch-chinesischen Rivalität, wie sie sich aktuell im internationalen System darstellt, heute und in Zukunft bedroht wird, ist sehr besorgniserregend.
Die Reaktion der WHO auf COVID-19 war sicherlich nicht perfekt, aber die lautstarke Kritik ist nicht gerechtfertigt. Eine Untersuchung der Reaktion auf den Ausbruch, um aus dieser Krise zu lernen – wie es auch in der Vergangenheit der Fall war –, wurde von der 73. Weltgesundheitsversammlung (World Health Assembly – WHA) beschlossen und ist ein wichtiger Schritt. Deutschland und seine Partner sollten sich dafür einsetzen, dass die WHO ein stärkeres Mandat und ausreichende finanzielle Mittel erhält, um zukünftig weniger abhängig von einzelnen Mitgliedstaaten oder privaten Einzelakteuren zu sein. Wir brauchen eine schlagkräftige Weltgesundheitsorganisation, denn die nächste Pandemie kommt bestimmt.