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Welche Nachkriegsordnung für Gaza?

Im Mai 2025 hat Israels Regierung die Militäroperationen im Gazastreifen ausgeweitet und eine langfristige Wiederbesetzung, die Zwangsumsiedlung der Bevölkerung und den Umbau des Systems humanitärer Hilfe angekündigt. Die Alternative baut auf dem Plan der Arabischen Liga für den Wiederaufbau des Gazastreifens auf.

Zerstörung in Rafah im Januar 2025. FOTO: UNRWA/ASHRAF AMRA
Die Luftaufnahme zeigt die Zerstörung in Rafah im Januar 2025 nach dem Rückzug der israelischen Streitkräfte und dem Inkrafttreten des Waffenstillstands im Gazastreifen. FOTO: UNRWA/ASHRAF AMRA

Die Angriffe der Hamas und anderer bewaffneter Gruppierungen aus dem Gazastreifen auf Israel am 7. Oktober 2023 waren eine Zäsur für Staat und Gesellschaft und lösten eine präzedenzlose militärische Eskalation aus.[1] Israel erklärte in Reaktion den Kriegszustand, leitete Militäroperationen ein und verhängte eine Abriegelung des Gazastreifens, die nach zwei Wochen abgemildert, aber nicht aufgehoben wurde. Kampfjets und Bodentruppen nahmen nicht nur die Waffenarsenale, militärischen und zivilen Führungsstrukturen und die Kämpfer der bewaffneten Gruppierungen ins Visier. Ihre Einsätze führten auch zu sehr hohen Todeszahlen unter der Zivilbevölkerung, einer beispiellosen humanitären Krise und der Zerstörung der Lebensgrundlagen in dem Küstengebiet. 

Bis Anfang Mai 2025 wurden über 52 000 Palästinenserinnen und Palästinenser im Gazastreifen getötet, darunter rund 45 Prozent Frauen und Kinder. Zehntausende werden noch vermisst und liegen wahrscheinlich unter Schutt begraben. Über 100 000 Menschen wurden teils schwer verwundet.[2] Rund 90 Prozent der Bevölkerung wurde zu Binnenflüchtlingen. Dabei mussten viele wiederholt vor den Bombardierungen fliehen und fanden in der Regel dennoch keinen effektiven Schutz, weil immer wieder auch Flüchtlingsunterkünfte und Zeltlager bombardiert wurden.[3] Unterernährung, Krankheiten und Seuchen sind nur einige Folgen der anhaltenden Unterversorgung. Diese dürften in vielen Fällen zu schweren Langzeitfolgen führen. Im Frühjahr 2025 waren bereits über 90 Prozent der Wohnhäuser im Gazastreifen zerstört oder schwer beschädigt.[4] Die zivile Infrastruktur, darunter Schulen, Krankenhäuser sowie die Wasser-, Abwasser- und Stromversorgung, wurde ebenso wie Kulturgüter, Produktionsanlagen und landwirtschaftliche Flächen schwer in Mitleidenschaft gezogen.[5] Damit ist das Küstengebiet in weiten Teilen auf absehbare Zeit unbewohnbar.
 

Waffenruhe und Donald Trumps Plan einer ›Gaza Riviera‹ 

Noch vor seinem Amtsantritt als US-Präsident gelang es Donald Trump – mit der Unterstützung Ägyptens und Katars und beruhend auf den Vorarbeiten der US-Regierung unter Joe Biden – Mitte Januar 2025, Israel und die Hamas zu einer Waffenruhe sowie einem Austausch von Geiseln und Gefangenen zu verpflichten. Endpunkt der Vereinbarung sollte ein dauerhafter Waffenstillstand, die Öffnung der Grenzübergänge und der Wiederaufbau des Küstengebiets binnen drei bis fünf Jahren sein.[6]

Damit hätte das Übereinkommen, dessen erste Phase am 19. Januar 2025 in Kraft trat, den Weg für die Beendigung des Krieges und eine langfristige Stabilisierung ebnen können. Allerdings waren nicht nur viele Vorkehrungen für Phase zwei und drei des Übereinkommens ungeklärt. US-Präsident Trump unterminierte dessen weitere Umsetzung auch selbst, indem er Anfang Februar 2025 eine Vision für den Gazastreifen präsentierte. Dieser solle zu einer »Riviera des Nahen Ostens« entwickelt und die Bevölkerung dauerhaft in Staaten wie Ägypten und Jordanien umgesiedelt werden.[7] Selbst wenn die Idee lediglich dazu gedacht gewesen sein sollte, die arabischen Staaten unter Druck zu setzen, damit diese mehr Verantwortung übernehmen: Sie machte das Kriegsverbrechen der Vertreibung salonfähig und legitimierte damit den alten Ansatz der zionistischen Rechten, verpackt als neues und unkonventionelles Denken.[8] Ohnehin hatte die Idee seit dem 7. Oktober 2023 in Israels nationalreligiösem Spektrum Auftrieb erhalten. Dabei wurden Forderungen nach einer neuen ›Nakba‹, also der Flucht und Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung aus dem Staatsgebiet Israels im Jahr 1948, sowie einer israelischen Wiederbesiedlung des Küstengebiets laut.[9] Trumps Vorstoß verstärkte auch die Unnachgiebigkeit des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu, der aus innenpolitischen Gründen kein Interesse an einem Einstieg in Phase zwei des Übereinkommens hatte und Trumps Vision fortan als die »einzig gang­bare Option« bezeichnete.[10]

Am 18. März brach Israel die Waffenruhe und leitete neue Luftschläge und bald danach eine weitere Bodenoffensive ein. Von nun an, so Netanjahu, würde nur noch unter Feuer verhandelt werden. Ziel der Militäroperation sei es, die Hamas zu zwingen, alle Geiseln freizulassen und einer Entwaffnung und Exilierung ihrer Führungskader und Kämpfer zuzustimmen.[11] Schon am 2. März hatte Israel – ähnlich wie zu Beginn des Krieges – eine vollständige Abriegelung des Gazastreifens verhängt und keine Hilfs-, Wasser- oder Stromlieferungen mehr zugelassen, um die Hamas unter Druck zu setzen.[12] Die humanitäre Situation spitzte sich in der Folge dramatisch zu. Die während des Waffenstillstands erzielten Fortschritte bei der Versorgung der Bevölkerung wurden zunichtegemacht. Es drohte eine Hungersnot.[13] Allem Anschein nach ging es jetzt darum, die Bevölkerung des Gazastreifens in einer »humanitären Zone« zu konzentrieren und den Rest des Gebiets in eine unbewohnte, unbebaute und nicht bewirtschaftete Pufferzone zu verwandeln.[14] Auch wurde Ende März im israelischen Verteidigungsministerium eine Migrationsabteilung eingerichtet, die die »freiwillige« Auswanderung der palästinensischen Bevölkerung des Gazastreifens organisieren soll.[15]

Israels Vorgehen liegt eine nach dem 7. Oktober 2023 veränderte Haltung gegenüber den Vereinten Nationen zugrunde.

Anfang Mai 2025 billigte das israelische Sicherheitskabinett die massive Ausweitung der Militäroperationen im Gazastreifen und einen neuen Ansatz für die Verteilung humanitärer Hilfe. Als Zielsetzungen der am 18. Mai mit ›Gideons Streitwägen‹ ausgeweiteten Militäroperationen im Gazastreifen postulierte Premierminister Benjamin Netanjahu die Hamas zu besiegen, die Geiseln zu befreien und dafür zu sorgen, dass künftig aus dem Gazastreifen keine Gefahr mehr für Israel ausgeht. Dazu soll das gesamte Küstengebiet wieder langfristig besetzt werden und unter der Sicherheitskontrolle Israels stehen, die Hamas entwaffnet und ihre Führung exiliert sowie der Trump-Plan umgesetzt werden. Dazu soll die lokale Bevölkerung zunächst im Süden auf rund zehn Prozent der Fläche des Gazastreifens zusammengepfercht werden – mit dem letztendlichen Ziel einer »freiwilligen Umsiedlung«. Die humanitäre Hilfe soll an wenigen Ausgabestellen (zunächst sind vier geplant) in einer von der israelischen Armee gesicherten Zone durch bislang nicht in Gaza engagierte nichtstaatliche Organisationen (NGOs) geschützt von privaten Sicherheitsdienstleistern direkt an die Bevölkerung verteilt werden. Als Begründung gibt Israels Regierung an, dass die Hamas bislang Hilfslieferungen abgezweigt und sich darüber finanziert hätte. Stichhaltige Belege liegen dafür allerdings nicht vor; die Vereinten Nationen und andere Hilfsorganisationen bestätigen die Angaben nicht. Die Menge der Hilfsgüter soll auf das absolute Minimum zum Überleben beschränkt werden.[16] Dabei liegt die vorgesehene Kalorienzahl pro Person deutlich unter dem humanitären Mindeststandard. Damit würde die humanitäre Hilfe den politischen Zielen der israelischen Regierung unterworfen und die Zivilbevölkerung Gazas gefährlichen Situationen ausgesetzt. Die Bevölkerung im Norden hätte keine Möglichkeit, zu den Ausgabestellen zu gelangen, aber auch im Süden wären Hilfsempfänger gefährlichen Situationen ausgesetzt, um zu den Verteilzentren zu kommen. Auch die Finanzierung und die logistischen Fragen sind nicht geklärt – wie etwa soll ein Familienoberhaupt Essensrationen für zwei Wochen von der Ausgabestelle in seine Unterkunft tragen können? Wer versorgt die Kriegswaisen, Alte und Verwundete? Eine adäquate und bedarfsorientierte Versorgung könnte nicht stattfinden. Der Ansatz steht damit im Widerspruch zu den humanitären Grundprinzipien der Unparteilichkeit, Neutralität und Unabhängigkeit – weshalb das UN-Landesteam und die bislang an der Hilfe beteiligten NGOs ihn entschieden ablehnen.[17]
 

Delegitimierung des UNRWA

Israels Vorgehen liegt offensichtlich eine nach dem 7. Oktober 2023 veränderte Haltung gegenüber den Vereinten Nationen zugrunde. Mit dem Krieg im Gazastreifen war auch die Weltorganisation zum Konfliktschauplatz geworden.[18] Das Verhältnis zwischen Israels Regierung und den UN und ihren Unterorganisationen, schon zuvor angespannt, verschlechterte sich drastisch. Dabei geriet vor allem das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East – UNRWA) ins Visier der israelischen Regierung. Trotz aller Kritik am UNRWA hatte Israel in der Vergangenheit auf die stabilisierende Rolle des Hilfswerks gesetzt.[19] Ende Dezember 2023 berichtete die Presse dann aber über einen als geheim eingestuften Bericht des israelischen Außenministeriums, der aufzeige, wie das UNRWA schrittweise aus dem Gazastreifen entfernt und ersetzt werden solle.[20] Das Papier, das Premier Netanjahu im Februar 2024 für die Phase nach dem Krieg im Gazastreifen vorlegte, sieht vor, das UNRWA durch andere Hilfsorganisationen zu ersetzen.[21]

In der Folge bezeichnete die israelische Regierung das UNRWA als »Arm der Hamas«.[22] Konkret warf sie der Organisation vor, dass zwölf Angestellte an den Gräueltaten vom 7. Oktober 2023 beteiligt gewesen seien und darüber hinaus ein erheblicher Teil der Belegschaft in bewaffneten Gruppen aktiv sei. Infolge der israelischen Anschuldigungen setzten 16 Staaten, darunter die beiden größten bilateralen Geber USA und Deutschland, ihre Zahlungen an das UNRWA teilweise aus. Damit stürzten sie das Hilfswerk ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, an dem es am meisten gebraucht wurde, in eine existenzielle Krise. Denn angesichts des Krieges war und ist die Arbeit des Hilfswerks für die Bevölkerung des Gazastreifens überlebenswichtig. Keine andere Organisation kann dort das Personal, die langjährige Erfahrung und die Infrastruktur – rund 13 000 Angestellte, Lagerhallen und Fahrzeuge – aufbieten, die nötig sind, um lebensrettende Hilfe zu leisten.

Das UNRWA leitete zur Überprüfung der israelischen Vorwürfe zwei Untersuchungen ein. Die eine konnte keine stichhaltigen Belege für die israelischen Vorwürfe finden, wonach ein substanzieller Teil der Belegschaft in bewaffneten Gruppen aktiv sei.[23] Die andere kam zu dem Schluss, dass neun Angestellte an den Angriffen vom 7. Oktober beteiligt gewesen sein könnten.[24] Diese wurden fristlos entlassen. Die Handlungen einzelner Angestellter konnten jedoch nicht der Organisation als Ganzes angelastet werden. Dementsprechend hatten einzelne Geberstaaten bereits nach einem ersten vertraulichen Zwischenbericht Ende Februar 2024 ihre Zahlungen an das Hilfswerk wieder aufgenommen. Andere, wie Deutschland, folgten nach. Die USA hingegen kehrten nicht zu einer Unterstützung zurück.

Das UNRWA leitete zur Überprüfung der israelischen Vorwürfe zwei Untersuchungen ein.

Indes änderte auch die Aufklärung der Vorwürfe durch das UNRWA nichts an der Haltung der israelischen Regierung. Ende Januar 2025 traten in Israel zwei Gesetze gegen das Hilfswerk in Kraft. Der Organisation ist es damit untersagt, auf dem Staatsgebiet Israels zu operieren; israelischen Behörden und Offiziellen wiederum ist jeglicher Kontakt zum UNRWA verboten. Für die Arbeit des Hilfswerks in Gaza bedeutete das zunächst, dass Israel den UNRWA-Einrichtungen und seinem Personal den Schutzstatus entzog. Dadurch waren keine direkte Koordination und kein militärisches Entflechten mehr möglich. Zudem konnte das UNRWA-Personal nicht mehr über Israel nach Gaza einreisen und UNRWA-Hilfslieferungen durften die Übergänge nicht passieren.[25]
 

Der Wiederaufbauplan der Arabischen Liga

Mit der Ausweitung israelischer Militäroperationen und der Ankündigung der langfristigen Wiederbesetzung und der Zwangsumsiedlung seiner Bevölkerung – zunächst innerhalb und künftig außerhalb des Küstenstreifens – rückte auch eine Stabilisierung der Region in weite Ferne.

Dabei gäbe es durchaus alternative Ansätze. So hat die Arabische Liga Anfang März 2025 einen Gegenentwurf für die Zukunft des Küstengebiets vorgelegt.[26] Bei diesem handelt es sich um eine Aktualisierung eines Strategiepapiers aus dem Jahr 2024,[27] ergänzt durch einen von Ägypten ausgearbeiteten Drei-Phasen-Plan für humanitäre Hilfe, Maßnahmen zur notdürftigen Wiederherstellung lebenswichtiger Infrastruktur und den Wiederaufbau. Der Gazastreifen soll wiederaufgebaut werden, ohne die Bevölkerung auszusiedeln. Sie soll stattdessen in temporären Unterkünften untergebracht werden, bis der jeweilige Bauabschnitt wiederhergestellt ist. 

Von zentraler Bedeutung ist die Einbettung des Wiederaufbaus in einen politischen Rahmen. Laut Plan soll zunächst ein Verwaltungsausschuss aus lokalen Expertinnen und Experten – ohne Beteiligung der Hamas oder anderer politischer Gruppierungen – unter dem Schirm der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) Ansprechpartner für den Wiederaufbau sein. Nach einem halben Jahr soll dann eine reformierte PA die Kontrolle übernehmen. Jordanien und Ägypten würden zur Vorbereitung palästinensische Ordnungskräfte ausbilden. Sicherheit für beide Völker soll durch eine vom UN-Sicherheitsrat mandatierte internationale Präsenz im Gazastreifen und im Westjordanland gewährleistet werden. Finanziert würde der Wiederaufbau über eine Geberkonferenz begleitet von einem Prozess, der auf eine dauerhafte Konfliktregelung durch zwei Staaten auf Basis der Grenzen von 1967 abzielt.

Von zentraler Bedeutung ist die Einbettung des Wiederaufbaus in einen politischen Rahmen.

Offen ist, wie der Plan konkret umgesetzt werden soll. Zwar erklärte die Arabische Liga, dass es neben einer internationalen Präsenz nur einen legitimen Sicherheitsapparat im Gazastreifen geben dürfe.[28] Ihr Dokument zeigt aber nicht auf, wie dieses Ziel erreicht werden soll. Vertreter der Hamas, deren Popularität zwar gelitten hat, die aber nach wie vor die dominante Kraft im Gazastreifen ist, signalisierten in den letzten Monaten immer wieder, dass sie durchaus willens seien, auf die Kontrolle des Küstengebiets und eine Beteiligung an der Regierung zu verzichten. Zu einer Entwaffnung zeigten sie sich allerdings nur im Rahmen einer langfristigen Konfliktregelung bereit.[29] Die PA bestätigte offiziell ihre Bereitschaft, die Kontrolle zu übernehmen. Doch sie wird von Israels radikaler Regierung zunehmend als Feind behandelt, ist finanziell prekär ausgestattet, in der palästinensischen Bevölkerung unpopulär und bereits mit der Bekämpfung bewaffneter Gruppierungen im Westjordanland überfordert. Damit ist bislang ungeklärt, ob und durch wen die Hamas entwaffnet werden würde, ob ihre Führung und Kämpfer den Küstenstreifen verlassen würden oder ob sich die ›Islamische Widerstandsbewegung‹ nur offiziell aus dem politischen Geschehen zurückziehen würde, um aus dem Hintergrund weiter die Politik zu bestimmen. Zudem stehen die vorgesehene Übernahme der Kontrolle durch die PA, UN-mandatierte Truppen und die Zweistaatenperspektive im eklatanten Widerspruch zu den Positionen der israelischen Regierung. Entsprechend wiesen Israels Außenminister und die US-Regierung den arabischen Plan umgehend zurück.[30]
 

Welche Nachkriegsordnung für Gaza?

Die arabischen Staaten wiederum stellten klar, dass ihr finanzielles und politisches Engagement nur im Rahmen eines Prozesses zu haben sei, der eine Perspektive der Konfliktregelung und palästinensische Souveränität beinhaltet. Zur Aufnahme von palästinensischen Vertriebenen zeigen sie sich nicht bereit. Damit hat zunächst keiner der Ansätze – militärische Wiederbesetzung durch Israel, Umbau des Systems humanitärer Hilfe und Vertreibung der lokalen Bevölkerung einerseits gegenüber Wiederaufbau, mittelfristige Kontrolle durch die PA, internationale Präsenz und Zweistaatenregelung andererseits – die Unterstützung aller relevanten Akteure, insbesondere der arabischen Golfstaaten, Ägyptens und Jordaniens sowie der USA.

Doch nur gemeinsam könnten diese gegenüber den Konfliktparteien einen Ansatz durchsetzen, der Aussicht auf eine dauerhafte Stabilisierung verspricht. Dazu müsste auch ein solider Sicherheitsplan gehören, der die Entwaffnung der Hamas, die Rückkehr der PA und eine internationale Sicherheitspräsenz ebenso einschließt wie eine konkrete Perspektive palästinensischer Selbstbestimmung. Kernstück müsste ein verhandeltes Arrangement sein, das einen dauerhaften Waffenstillstand und eine Öffnung des Gazastreifens für Wiederaufbau damit verbindet, dass die Hamas ihre Waffen niederlegt, ihre Führungsriege und ihre Kämpfer ins Exil gehen und Israel sich verpflichtet, sie nicht zu verfolgen.

Deutschland, Frankreich, Italien und das Vereinigte Königreich haben sich hinter den arabischen Vorschlag gestellt.[31] Der US-Sondergesandte für den Nahen Osten, Steve Wittkoff, hat ihn zumindest als Ausgangspunkt für weitere Gespräche und einen ersten Schritt mit »vielen überzeugenden Elementen« bezeichnet.[32] Die Bundesregierung sollte sich jetzt dringend und nachdrücklich engagieren, um einen bedingungslosen humanitären Zugang zum Gazastreifen zu gewährleisten, das Blutvergießen endlich zu stoppen und eine weitere Zerstörung von Lebensgrundlagen sowie Vertreibungen im Gazastreifen (und im Westjordanland) zu verhindern. Zudem sollte sie gemeinsam mit europäischen und nahöstlichen Partnern zur Umsetzung des arabischen Wiederaufbauplans beitragen, um eine dauerhafte Konfliktregelung im Nahen Osten im Einklang mit dem Völkerrecht zu befördern. In diesem Zusammenhang gilt es auch, die UN und ihre Unterorganisationen als Kern der multilateralen Ordnung zu erhalten und zu festigen. Das UNRWA etwa wird unerlässlich sein, um den Übergang von der Nothilfe zum Wiederaufbau zu überbrücken.

Letztlich wird ein Erfolg davon abhängen, ob es gelingt, die US-Regierung an Bord zu holen und gemeinsam mit ihr Israels Regierung davon abzubringen, rein auf militärische Gewalt zu setzen.[33] Unmöglich ist dies nicht. Die von Frankreich und Saudi-Arabien Mitte Juni in New York geplante Konferenz zur Unterstützung einer Zweistaatenregelung bietet die Chance, den Weg aus der Gewalt auszubuchstabieren und damit einen überzeugenden Plan zu präsentieren. Nicht zuletzt deshalb sollte sich Deutschland dort konstruktiv einbringen.

 


[1] Ausführlich Muriel Asseburg, Der 7. Oktober und der Krieg in Gaza. Hintergrund, Eskalation, Folgen, München 2025. Mein Dank geht an Ida Büsch für ihre Unterstützung bei diesem Beitrag.

[2]OCHA, Reported Impact Snapshot Gaza Strip, 7.5.2025, www.ochaopt.org/content/reported-impact-snapshot-gaza-strip-7-may-2025

[3]Beispielhaft Kareem Khadder et al., Israeli Strikes Kill 48 at Gaza Shelters for Displaced Palestinians, Hospitals Say, as Military Operation Intensifies, CNN, 7.5.2025, www.edition.cnn.com/2025/05/06/middleeast/israel-gaza-airstrike-school-compound-intl; Aaron Boxerman, Israel Strikes Area With Tent Camps for Displaced Gazans, New York Times, 17.4.2025, www.nytimes.com/2025/04/17/world/middleeast/israel-gaza-strike-mawasi.html

[4]OCHA, Reported Impact Snapshot Gaza Strip, a.a.O. (Anm. 2).

[5]World Bank/EU/UN, Gaza and West Bank Interim Rapid Damage and Needs Assessment, 2.2025, thedocs.worldbank.org/en/doc/133c3304e29086819c1119fe8e85366b-0280012025/original/Gaza-RDNA-final-med.pdf

[6]Times of Israel, Text of the Hostage-ceasefire Agreement Reached Between Israel and Hamas, 16.1.2025, www.timesofisrael.com/full-text-of-the-hostage-ceasefire-agreement-reached-between-israel-and-hamas/

[7]Eli Stokols, Trump Says US Will ›Take Over the Gaza Strip‹, Politico, 4.2.2025, www.politico.com/news/2025/02/04/trump-says-us-will-take-over-the-gaza-strip-00202508

[8]Beispielhaft Sam Sokol, Sa’ar Responds to Trump Plan: Necessary to ›Consider Out of the Box Ideas‹ for ›Failed Experiment‹ of Gaza, Times of Israel, 5.2.2025, www.timesofisrael.com/liveblog_entry/saar-responds-to-trump-plan-necessary-to-consider-out-of-the-box-ideas-for-failed-experiment-of-gaza/

[9]Etwa Michael Hauser Tov, ›We’re Rolling Out Nakba 2023,‹ Israeli Minister Says on Northern Gaza Strip Evacuation, 12.11.2023, www.haaretz.com/israel-news/2023-11-12/ty-article/israeli-security-cabinet-member-calls-north-gaza-evacuation-nakba-2023/0000018b-c2be-dea2-a9bf-d2be7b670000; Nir Hasson/Rachel Fink, Netanyahu Ministers Join Thousands of Israelis in ›Resettle Gaza‹ Conference Calling for Palestinians’ Transfer, Haaretz, 28.1.2024, www.haaretz.com/israel-news/2024-01-28/ty-article/ministers-from-netanyahus-party-join-thousands-of-israelis-at-resettle-gaza-conference/0000018d-512f-dfdc-a5ad-db7f35e10000

[10]Excerpts from PM Netanyahu’s Remarks to the Conference of Presidents of Major American Jewish Organizations, Prime Minister’s Office, 16.2.2025, www.gov.il/en/pages/event-conference160225 Vgl. Muriel Asseburg/Peter Lintl, Israels radikale Regierung, Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), SWP-Aktuell 16/2025, 16.4.2025, www.swp-berlin.org/publikation/israels-radikale-regierung

[11]James Mackenzie/Nidal Al-Mughrabi, Israeli PM Netanyahu Vows to Pressure Hamas After Ceasefire Proposal, Reuters, 30.5.2025, www.reuters.com/world/middle-east/israeli-pm-netanyahu-vows-pressure-hamas-after-ceasefire-proposal-2025-03-30/

[12]Cara Anna, Israel Has Cut Off All Supplies to Gaza. Here’s What That Means, Associated Press, 2.3.2025, www.apnews.com/article/gaza-israel-hamas-palestinians-aid-explainer-ecc0e70d5ff1120a04bf36626dfd96f4

[13]Gaza Strip: IPC Acute Food Insecurity and Acute Malnutrition Special Snapshot, Integrated Food Security Phase Classification (IPC), 12.5.2025, www.ipcinfo.org/fileadmin/user_upload/ipcinfo/docs/IPC_Gaza_Strip_Acute_Food_Insecurity_Malnutrition_Apr_Sept2025_Special_Snapshot.pdf

[14]Vgl. Einav Halabi/Yoav Zitun, Israel Expands Gaza Military Operations as Ceasefire Talks Stall, Ynet News, 2.4.2025, www.ynetnews.com/article/rj3albca1l

[15]Israel Appoints Director to Oversee ›Voluntary Emigration‹ of Palestinians From Gaza, Jerusalem Post, 30.3.2025, www.jpost.com/breaking-news/article-848168

[16]Emanuel Fabian/Lazar Berman, Official: IDF to Launch Major Gaza Op if no Deal Signed by End of Trump’s Mideast Visit, Times of Israel, 5.5.2025, www.timesofisrael.com/official-idf-to-launch-major-gaza-op-if-no-deal-signed-by-end-of-trumps-mideast-visit/

[17]OCHA, Statement by the Humanitarian Country Team of the Occupied Palestinian Territory – On Principled Aid Delivery in Gaza, 4.5.2025, www.ochaopt.org/content/statement-humanitarian-country-team-occupied-palestinian-territory-principled-aid-delivery-gaza

[18] Ausführlich Muriel Asseburg, Der 7. Oktober und der Krieg in Gaza, a.a.O. (Anm. 1), S. 147–153. Siehe dazu auch den Beitrag von René Wildangel in diesem Heft.

[19] Vgl. Muriel Asseburg, Nothelfer in Not, Internationale Politik und Gesellschaft (IPG-Journal), 22.3.2024, www.ipg-journal.de/regionen/naher-osten/artikel/nothelfer-in-not-7411/

[20]Israel Hoping to Push UNRWA Out of Gaza Post-war — Report, Times of Israel, 29.12.2023, www.timesofisrael.com/israel-hoping-to-push-unrwa-out-of-gaza-post-war-report/

[21]Netanyahu Post-war Plan to Cabinet, Aims for ›Local Officials‹ to Govern Gaza, Times of Israel, 23.2.2024, www.timesofisrael.com/presenting-post-war-plan-to-cabinet-pm-aims-for-local-officials-to-govern-gaza/

[22]FM Katz Addresses the Munich Security Conference, Ministry of Foreign Affairs, 16.2.2024, www.gov.il/en/pages/fm-katz-addresses-the-munich-security-conference-16-feb-2024

[23]Final Report for the United Nations Secretary-General, Independent Review of Mechanisms and Procedures to Ensure Adherence by UNRWA to the Humanitarian Principle of Neutrality, Independent Review Group on UNRWA, 20.4.2024, ww.un.org/sites/un2.un.org/files/2024/04/unrwa_independent_review_on_neutrality.pdf

[24]Note to Correspondents – On the OIOS Investigation of UNRWA, UNRWA, 5.8.2024, www.unrwa.org/newsroom/official-statements/note-correspondents-%E2%80%93-oios-investigation-unrwa

[25]Vgl. Understanding Israel’s New Anti-UNRWA Laws, Israel Policy Forum, 1/2025, www.israelpolicyforum.org/anti-unrwa-laws/

[26]Early Recovery, Reconstruction, and Development of Gaza, Arabische Liga, 3/2025, static-cdn.toi-media.com/www/uploads/2025/03/Arab-Proposal-.pdf

[27]Philippe Ricard/Hélène Sallon, Israel-Hamas war: Arab Plan for Gaza’s ›Day After‹ Hits Dead End, Le Monde, 10.5.2024, www.lemonde.fr/en/international/article/2024/05/10/israel-hamas-war-arab-plan-for-gaza-s-day-after-hits-dead-end_6670999_4.html

[28]Arabische Liga, Cairo Statement Issued by the Extraordinary Arab Summit (Palestine Summit), 5.3.2025, www.bit.ly/cairostatement_news532025

[29]Matt Bradley, Hamas Ready to Cede Control of Gaza, Official Says, NBC News, 27.2.2025, www.nbcnews.com/news/world/hamas-ready-cede-control-gaza-official-says-rcna194042

[30]David Gritten, US and Israel Reject Arab Alternative to Trump’s Gaza Plan, BBC, 5.3.2025, www.bbc.com/news/articles/cn7vd4pnxx3o

[31] Auswärtiges Amt, Gemeinsame Erklärung zum arabischen Plan für den Wiederaufbau Gazas, 8.3.2025, www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/arab-plan-2704750

[32]Jacob Magid, After Initial Rejection, US Sends Mixed Signals on Arab Alternative to Trump’s Gaza Plan, Times of Israel, 7.3.2025, www.timesofisrael.com/after-initial-rejection-us-sends-mixed-signals-on-arab-alternative-to-trumps-gaza-plan/

[33] Vgl. die Abwägung der Risiken und Chancen aus israelischer Sicht bei Ofer Guterman/Udi Dekel, The Debate That Isn’t Happening: ›Gideon’s Chariots‹ vs. the Egyptian Plan, INSS, 14.5.2025, www.inss.org.il/wp-content/uploads/2025/05/No.-1980.pdf

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