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UN-Forschung und UN-Politik in der Bundesrepublik Deutschland

Wegen der Komplexität globaler Probleme ist es für die politischen Akteure der UN-Mitgliedstaaten unverzichtbar, bei der Gestaltung ihrer UN-Politik die Ergebnisse der UN-Forschung einzubeziehen. In Deutschland besteht erheblicher Reformbedarf, was die Koordination und Förderung der UN-Forschung sowie den Dialog mit der Politik betrifft.

Der Bibliothekskatalog der Dag Hammarskjöld Bibliothek am Amtssitz der Vereinten Nationen. UN Photo/JC McIlwaine

Über die Jahrhunderte ist die bilaterale Außenpolitik der Staaten zunehmend komplexer geworden, sodass sich neben der Diplomatie zunehmend die Wissenschaft – vor allem seit Beginn des 20. Jahrhunderts – mit der Außenpolitik beschäftigt und umfangreiche Analysen veröffentlicht hat.[1]

Es leuchtet ein, dass die multilaterale Außenpolitik eines Landes im Rahmen des UN-Systems mit seiner komplizierten organisatorischen Struktur und seinen vielfältigen Aufgabenfeldern in einem noch höheren Umfang die Beteiligung der Wissenschaft sinnvoll, ja erforderlich macht, wie UN-Forscher Klaus Hüfner betont: »Keine Regierung kann ohne die ständige Mitwirkung der Wissenschaft die bestehenden, von zunehmender Komplexität und

Interdependenz gekennzeichneten Probleme bewältigen. Das gilt auch für das UN-System, das an das Überleben der Menschheit insgesamt zu denken und entsprechend zu handeln hat.«[2]

Es geht darum, Handlungsalternativen für die globalen Probleme zu entwickeln, hebt UN-Forscher Günther Unser hervor: »Da politische Entscheidungen in einer immer komplexer werdenden Weltlage niemals ›alternativlos‹ sind, muss die Forschung frühzeitig Handlungsalternativen aufzeigen. Im Zentrum der UN-Forschung sollte dabei das gesamte Geflecht des UN-Systems stehen – mit einer Trias von Untersuchungsebenen: Ziele, Strategien, Umsetzung.«[3]

Der vorliegende Artikel analysiert, wie sich die UN-Forschung in der Bundesrepublik Deutschland entwickelt hat. Untersuchungsthemen sind die Forschungsliteratur und die Strukturen der UN-Forschung sowie die Kommunikation zwischen der UN-Forschung und den Akteuren der UN-Politik. Die Politikberatung, die eine Dimension dieser Kommunikation darstellt, wird nur kursorisch behandelt.[4] Ergänzt wird die Analyse durch Empfehlungen für strukturelle Reformen in der deutschen UN-Forschung.

 

UN-Forschungsliteratur in den 1950er, 60er und 70er Jahren

In den ersten Jahrzehnten nach der Gründung der Vereinten Nationen im Jahr 1945 war das Interesse der Forschungseinrichtungen in der Bundesrepublik Deutschland am Thema Vereinte Nationen relativ gering: Die ersten wissenschaftlichen Monografien erschienen erst Mitte der 1960er Jahre.[5] So konstatierte Gilbert Ziebura im Jahr 1968, dass »den Vereinten Nationen bei uns weder in der öffentlichen Meinung noch in der wissenschaftlichen Forschung jener Platz eingeräumt wird, der ihm trotz, ja gerade wegen aller Unvollkommenheiten zugebilligt werden sollte.«[6] Es liegt nahe, das geringe Interesse darauf zurückzuführen, dass die Bundesrepublik Deutschland – neben der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) – bis zum Jahr 1973 kein Vollmitglied der Vereinten Nationen war, sondern nur einen Beobachterstatus bei den UN innehatte.[7]

Für diese Annahme spricht die Tatsache, dass nach dem Beitritt quantitativ und qualitativ eine deutliche Steigerung festzustellen ist, was wissenschaftliche Veröffentlichungen zum Thema UN[8] angeht: So erschien im Jahr 1973 das Studienbuch von Günther Unser ›Die Vereinten Nationen‹,[9] im Jahr 1974 das Studienbuch von Klaus Hüfner und Jens Naumann ›Das System der Vereinten Nationen‹[10] und im selben Jahr ein von Wilhelm Kewenig herausgegebener Sammelband über ein Symposium zu den Vereinten Nationen am Institut für Internationales Recht der Universität Kiel.[11]

In den 1990er Jahren wurden wichtige Grundlagen für die deutsche UN-Forschung geschaffen.

Eine erste wissenschaftliche Bestandsaufnahme stellte im Jahr 1977 die Veröffentlichung des von Rüdiger Wolfrum et al. herausgegebenen ›Handbuchs Vereinten Nationen‹[12] dar, das einen umfassenden interdisziplinären Überblick über den Stand der UN-Forschung vermittelte.

Damit die deutsche UN-Forschung die vorhandene internationale UN-Forschung einbeziehen konnte, spielte ein Pionierprojekt von Klaus Hüfner eine wichtige Rolle: In einer internatio­nalen UN-Bibliografie,[13] die er von den frühen 1970er Jahren bis 1992 – teilweise in Zusammenarbeit mit Jens Naumann – zusammenstellte, erfasste er die gesamte Zeitschriften­literatur, die Monografien und die Beiträge in Sammelwerken zu den Vereinten Nationen zwischen den Jahren 1945 und 1985.

 

Konsolidierung der UN-Forschung in den 1980er Jahren

In dieser Zeit nahm das wissenschaftliche Interesse am Thema UN weiter zu: So veranstaltete das oben erwähnte Kieler Institut für Internationales Recht in den Jahren 1987 und 1989 zwei weitere Symposien über die Vereinten Nationen, deren Ergebnisse in den Jahren 1989 beziehungsweise 1990 veröffentlicht wurden,[14] und die UN-Forscher Peter Opitz und Volker Rittberger gaben einen Sammelband mit wissenschaftlichen Beiträgen zum 40-jährigen Jubiläum der UN heraus.[15]

 

1990er Jahre und danach: Forschungsliteratur auf hohem Niveau

In den 1990er Jahren, das zeigt eine Analyse der UN-Forschungsliteratur aus dem Jahr 1997,[16] wurden wichtige Grundlagen für die deutsche UN-Forschung geschaffen: Im Jahr 1991 wurden zwei Standardwerke veröffentlicht: der erste deutschsprachige Kommentar zur Charta der Vereinten Nationen, herausgegeben von Bruno Simma[17] sowie die zweite Auflage des schon erwähnten

›Handbuchs Vereinten Nationen‹.[18] Die beiden Standardwerke wurden in den Jahren 1994 und 1995 durch weitere wichtige Buchpublikationen ergänzt: zwei von Klaus Hüfner herausgegebene Sammelbände zur UN-Reform,[19] drei einführende Studienbücher von Ernst-Otto Czempiel, Peter Opitz und Helmut Volger[20] sowie das erste deutschsprachige Buch zur UN-Geschichte, ebenfalls von Helmut Volger.[21] Zu diesen einführenden Studien kam im Jahr 1997 eine Analyse der Rolle der UN im internationalen System von Volker Rittberger, Martin Mogler und Bernhard Zangl.[22]

Ausdruck des konsolidierten Niveaus, das die UN-Forschung in den 1990er Jahre erreicht hatte,[23] ist Klaus Dickes Habilitationsschrift über Effizienz und Effektivität der Vereinten Nationen (1991), die zentrale Kriterien der UN-Reform­debatte einer kritischen Analyse unterzog.[24]

Neue internationale Standards setzte Hüfner ab Mitte der 1990er Jahre in zahlreichen Buch- und Zeitschriftenveröffentlichungen zur Finanzierung der Vereinten Nationen[25] und lenkte die Aufmerksamkeit der Politik und der Öffentlichkeit in Europa auf dieses oft vernachlässigte Forschungsthema.

Dass die UN-Forschungsliteratur in Deutschland in den 1990er Jahren hohen internationalen Standards entsprach, machten auch die Rezensionen der englischen Ausgaben des ›Handbuchs Vereinte Nationen‹,[26] des Charta-Kommentars von Simma[27] und des ›Lexikons Vereinte Nationen‹[28] in internationalen Fachzeitschriften[29] deutlich.

Die Veröffentlichung von Standardwerken zur UN-Forschung setzte sich im neuen Millennium fort: So erschienen im Jahr 2000 das ›Lexikon der Vereinten Nationen‹ (Hrsg. Helmut Volger),[30] im Jahr 2001 ›Die Vereinten Nationen‹ von Sven Gareis und Johannes Varwick,[31] im Jahr 2003 das ›Praxishandbuch Vereinte Nationen‹ (Hrsg. Sabine v. Schorlemer)[32] und im Jahr 2007 der Sammelband ›Grundlagen und Strukturen der Vereinten Nationen‹ (Hrsg. Helmut Volger).[33]

 

Koordinationsprobleme in der deutschen UN-Forschung

Die Entwicklung zu einer qualitätsvollen UN-Fachliteratur hatte sich in einer UN-Forschungsszene abgespielt, in der es zwar genügend UN-Forscherinnen und -Forscher gab, eine Vernetzung der Forschung aber nur ansatzweise vorhanden war.[34]

Um eine solche Vernetzung bemühte man sich schon frühzeitig in der deutschen UN-Forschung: Anfang der 1970er Jahre wurde auf Initiative von Klaus Hüfner und Jens Naumann durch den Vorstand der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V. (DGVN) eine ›Forschungsstelle der DGVN‹[35] gegründet. Die Forschungsstelle sollte grundlegende Forschung zu den UN betreiben und zugleich Anstöße für externe Forschungsprojekte geben. Beides gelang ihr nicht. Sie war zwar bei einigen der schon erwähnten Standardwerke konzeptionell, finanziell und personell hilfreich, konnte aber insgesamt die in sie gesetzten hohen Erwartungen nicht erfüllen, was die eigene Forschung, die Koordination von Forschungsprojekten und die Beschaffung von Drittmitteln betrifft.[36]

Eine Vernetzung der deutschen UN-Forschung war nur ansatzweise vorhanden.

Der Wunsch nach einer besseren Koordination der UN-Forschung war auch das Hauptmotiv für die Gründung des ›Forschungskreises Vereinte Nationen‹ im Dezember 1999 durch eine Gruppe von UN-Forscherinnen und -Forschern.[37] Dazu kam der Wunsch, sich regelmäßig zu Forschungskonferenzen zu treffen und deren Ergebnisse zu veröffentlichen. Es gelang ihnen, eine Konferenztradition an der Universität Potsdam zu etablieren,[38] deren Referate in einer Broschürenreihe[39] veröffentlicht werden.
 

Strukturelle Defizite und ein fehlendes inhaltliches Gesamtkonzept

Die deutsche UN-Forschung publiziert in ihren Veröffentlichungen wichtige Forschungsergebnisse und leistet damit eine unverzichtbare Grundlagenarbeit. Die Rolle jedoch, die sie im außenpolitischen Diskurs in Deutschland spielt, ist nach wie vor relativ klein. Das liegt vor allem an gravierenden strukturellen Defiziten und an einem fehlenden Gesamtkonzept der Forschung.

Was die Strukturen angeht, findet die UN-Forschung an einer Reihe von Universitäten statt sowie an einigen außeruniversitären Forschungs­einrichtungen, darunter die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und einige Institutionen für Friedens- und Konfliktforschung und für Entwicklungszusammenarbeit. Die Zahl der Forschungseinrichtungen reicht aus für eine solide Grundlagenforschung und entspricht der Forschungssituation in anderen UN-Mitgliedstaaten.

Das wesentliche Problem der deutschen UN-Forschung liegt nicht in der Quantität, sondern in den Strukturen: Sie ist »kaum strukturiert« und »nur unzureichend institutionalisiert«, wie Günther Unser im Jahr 2022 konstatiert.[40] Was heißt das? Die einzelnen Forschungseinrichtungen gestalten ihre Forschungsaktivitäten individuell, sie koordinieren also ihre Forschung nicht mit den übrigen Forschungsakteuren, weil es keine effizienten Strukturen zur Koordination gibt. Es fehlt nicht nur eine koordinierende Institution, was die Arbeitsteilung betrifft, sondern es fehlt auch ein Gremium, in dem man über ein inhaltliches Gesamtkonzept der UN-Forschung einen Konsens erzielen kann, um »eine wissenschaftliche interdisziplinäre Durchdringung der Gesamtproblematik des UN-Systems«[41] zu erreichen.

Das hat zur Folge, dass sich die UN-Forschung in Deutschland nach wie vor überwiegend mit einzelnen Aufgabenfeldern der UN beschäftigt, jedoch kaum mit der Organisation selbst, ihren Strukturen und ihren Legitimations-, Effizienz- und Kommunikationsproblemen, was sowohl für die adäquate Planung der deutschen UN-Politik wie auch für ihre praktische Umsetzung und ihre Vermittlung in die Öffentlichkeit sehr hilfreich wäre.

Die mangelnde Abstimmung zwischen den Forschungsakteuren wirkt sich auch deshalb so gravierend auf die UN-Forschung aus, weil es nach wie vor keine zentrale Datenbank über abgeschlossene und laufende UN-Forschungsprojekte in Deutschland gibt und weil die Dokumentation der vorhandenen UN-Literatur in Form von UN-Bibliografien sehr lückenhaft ist. Das schon erwähnte wichtige Bibliografie-Projekt von Klaus Hüfner[42] fand ab den 1990er Jahren keine Fortsetzung durch Einzelne oder Forschungsinstitutionen.

 

Wenig Forschungsförderung in Deutschland

Um UN-Forschung auf hohem Niveau durchführen zu können, bedarf es einer substanziellen öffentlichen Forschungsförderung, die es in Deutschland nach wie vor nicht gibt. In anderen Mitgliedstaaten unterstützen die Außenministerien UN-Forschungsprojekte mit erheblichen Beträgen, weil sie die Bedeutung der UN-Forschung für die eigene UN-Politik höher einschätzen als das in Deutschland der Fall ist: So beteiligte sich das kanadische Außenministerium im Jahr 2004 finanziell an einer Studie über die Rolle der kanadischen Diplomatie bei UN-Weltkonferenzen,[43] subventionierte das Schweizer Außenministerium in der ersten Dekade des neuen Millenniums das Forschungsnetzwerk ›UNO Academia‹ mit erheblichen finanziellen Mitteln[44] und finanzierte die australische Regierung in den Jahren 2015 bis 2021 ein mehrjähriges Forschungsprojekt über die Rolle der nichtständigen Mitglieder im UN-Sicherheitsrat[45]. Besonders hervorzuheben ist das Beispiel Neuseeland: Das Außenministerium Neuseelands veröffentlicht seit dem Jahr 1961 das exzellente Nachschlagewerk ›United Nations Handbook‹.[46]

 

Kaum ein Dialog zwischen UN-Forschung und Politik

Was die UN-Politik angeht, gibt es keinen strukturierten Dialog zwischen der UN-Wissenschaft und den politischen Akteuren im Bundestag und in den zuständigen Bundesministerien. Was den Bundestag betrifft, beschränkt sich die Mitwirkung der UN-Wissenschaft auf öffentliche Anhörungen des Bundestagsunterausschusses Vereinte Nationen[47], die nur relativ selten – ein- bis zweimal pro Wahlperiode – stattfinden.[48] Was die Bundesministerien angeht, die sich mit UN-Themen befassen, beschränkt sich die Mitwirkungsmöglichkeit der UN-Wissenschaft auf die Tätigkeit in den von den Ministerien ernannten Wissenschaftlichen Beiräten.[49] Die Sitzungen der Beiräte sind nichtöffentlich, auch über die behandelten Themen sind keine Informationen öffentlich zugänglich.[50]

Um UN-Forschung auf hohem Niveau durchführen zu können, bedarf es einer Forschungsförderung.

Dass eine breitere und vor allem auch öffentliche Mitwirkung der Wissenschaft am außenpolitischen Diskurs der UN-Politik möglich ist, belegt das Beispiel der USA: Im US-Kongress veranstalten die Ausschüsse von Senat und Repräsentantenhaus regelmäßig öffentliche Anhörungen zu UN-Themen unter breiter Beteiligung der UN-Wissenschaft; die Protokolle und Texte der Anhörungen sind öffentlich zugänglich.[51]

Vielleicht sind seit kurzem auch die Bundes­ministerien an einer stärkeren Einbeziehung der Wissenschaft interessiert: So ist wohl der Auftrag des Auswärtigen Amtes an das Centre for Policy Research der UN-Universität (United Nations University – UNU) zu interpretieren, indem Deutschland in seiner Sicherheitsratsmitgliedschaft in den Jahren 2019 und 2020 durch Papiere sowie mündliche Unterrichtungen beraten wurde.[52]

 

Empfehlungen für eine Reform der UN-Forschung

Die geschilderten Strukturprobleme und Defizite der deutschen UN-Forschung lassen eine Reihe von Maßnahmen empfehlenswert erscheinen:

  • die Koordination durch ein Netzwerk für UN-Forschung unter Beteiligung der Universitäten, des DGVN-Forschungsrats, des Forschungskreises Vereinte Nationen und außeruniversitärer Forschungseinrichtungen, finanziert durch öffentliche Mittel;
  • die Einrichtung eines Fonds zur kontinuierlichen Förderung der UN-Forschung;[53]
  • regelmäßige Konferenzen mit allen am Netzwerk beteiligten Forschungseinrichtungen;
  • die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen in Buchpublikationen und Zeitschriftenartikeln, finanziert durch Mittel der Forschungsförderung;
  • die Dokumentation der gesamten Forschungs­literatur (UN-Bibliografie);[54]
  • der Aufbau einer Datenbank über abgeschlossene und laufende Forschungsprojekte;
  • der Aufbau eines ›institutionellen Gedächtnisses‹ der deutschen UN-Politik durch historische Analysen und Interviews mit UN-Diplomatinnen und -Diplomaten sowie UN-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern;
  • die Evaluation der UN-Politik Deutschlands durch empirische Untersuchungen.

Die hier vorgeschlagenen Maßnahmen sind ein erster Schritt auf dem Weg zu einer UN-Forschung, die eine größere Rolle im politischen Diskurs in Deutschland zu spielen vermag.

Damit eine solche Reform tatsächlich wissenschaftspolitisch und außenpolitisch wirksam wird, ist mehr erforderlich: die Gründung eines Zen­trums für die UN-Forschung, wie es Günther Unser vorschlägt: »Warum ist es wissenschafts­politisch und auf politischer Ebene nach wie vor nicht realisierbar, mit Unterstützung des AA und/oder des BMZ ein […] öffentlich gefördertes Zen­trum für die UN-Forschung zu schaffen?«[55]

Bei der großen Bedeutung, die den Vereinten Nationen bei der Bewältigung der globalen Probleme zukommt, wäre es zu wünschen, dass die politischen Akteure in Deutschland der UN-Forschung einen höheren Stellenwert einräumen, die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Politik ausbauen und die Forschung nachhaltig fördern.

 

DGVN-Forschungsrat und Nachwuchsförderung

Im Jahr 2004 wurde die ›Forschungsstelle‹ auf Beschluss des Vorstands der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V. (DGVN) in ›Forschungsrat‹ umbenannt.a Der Forschungsratb verzichtet darauf, Anstöße für externe Forschungsprojekte zu geben oder Grundlagenforschung durch gemeinsame Projekte seiner Mitglieder zu betreiben. Er strebt auch keine koordinierende Rolle in der deutschen UN-Forschung an. Der ›Forschungsrat‹ sieht seine Aufgabe vor allem darin, die »Arbeit der [DGVN] wissenschaftlich zu unterstützen, als Netzwerk Impulse für die deutsche UN-Forschung zu geben und zur nationalen und internationalen Sichtbarkeit der DGVN beizutragen. Zu diesem Zweck konzipiert er regelmäßige Fachtagungen und Diskussionsrunden der DGVN«.c So hat der Forschungsrat auf Initiative seines damaligen Leiters Klaus Hüfner in den Jahren 2005 und 2006 zwei Konferenzen zu dem Themen ›UN-Forschung und UN-Lehre‹ veranstaltet.d Die Ergebnisse der Konferenzen, die in einer Broschüree und einer Buchpublikationf veröffentlicht wurden, machten deutlich, dass wichtige Grundlagen für eine qualitativ anspruchsvolle UN-Forschung in Deutschland vorhanden sind, das Forschungsfeld aber weitere konzeptionelle und strukturelle Reformen benötigt.g Zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses vergibt der Forschungsrat alle zwei Jahre im Namen der DGVN einen Preis für eine herausragende Dissertation zu einem UN-Thema. Ebenso bietet die DGVN-Arbeitsgruppe Junge UN-Forschung ein Forum für junge UN-Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.h

a Vgl. DGVN-Tätigkeitsbericht für die Jahre 2004 und 2005, S. 10, dgvn.de/ueber-uns/satzung-berichte b Die Mitglieder des Forschungsrats werden vom Vorstand der DGVN berufen; aktuell hat er 13 Mitglieder, dgvn.de/ueber-uns/forschungsrat c Stock, Die DGVN und die UN-Forschung, a.a.O. (Anm. 35), S. 121; vgl. auch die DGVN-Tätigkeitsberichte der Jahre 2004 bis 2020. d Vgl. dazu Norman Weiß, Neue Wege für die deutsche UNO-Forschung? Die Fachkonferenz der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen »UNO-Forschung in Deutschland« im Dezember 2006, in: Eckart Klein/Helmut Volger (Hrsg.), Ein Jahr nach dem UN-Weltgipfel 2005. Eine Bilanz der Reformbemühungen, Potsdamer UNO-Konferenzen Bd. 7, Potsdam 2006, S. 109–119. e Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V. (DGVN) (Hrsg.), UNO-Forschung in Deutschland, Blaue Reihe Nr. 95, Berlin 2006. f Manuel Fröhlich (Hrsg.), UN Studies. Umrisse eines Lehr- und Forschungsfeldes, The United Nations and Global Change Bd. 1, Baden-Baden 2008. g Manuel Fröhlich, UN-Studies: Eckpunkte eines Programms zur Beschäftigung mit der Institution und den Aufgaben der Weltorganisation, in: Fröhlich, UN Studies, a.a.O. (Anm. f), S. 9–31, hier: S. 31. h DGVN-Arbeitsgruppe Junge UN-Forschung: dgvn.de/ueber-uns/arbeitskreise#ca20986

 

[1] Vgl. G.R. Berridge, Diplomacy: Theory and Practice, 6. Aufl., Houndmills 2022; zur deutschen Außenpolitik: Karl Kaiser et al. (Hrsg.), Deutschlands neue Außenpolitik, 4 Bände, Schriften des Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), Bd. 59, 61, 62 und 63, München 1995–1998.

[2] Klaus Hüfner, UNU – Universität der Vereinten Nationen, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Handbuch Vereinte Nationen, 2. Aufl., München 1991, S. 973–979, hier: S. 978.

[3] Günther Unser, Schriftliche Befragung durch den Verfasser, 28.11.2022.

[4] Siehe dazu den Beitrag von Nataliia Sokolovska in diesem Heft.

[5] Günther Unser, Einige Arbeitshypothesen zur Entwicklung und zum Stand der UNO-Forschung in Deutschland, in: Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V. (DGVN) (Hrsg.), UNO-Forschung in Deutschland, Blaue Reihe Nr. 95, Berlin 2006, S. 9–20, hier: S. 10.

[6] Gilbert Ziebura, Einleitung, in: Klaus Hüfner/Jens Naumann, Zwanzig Jahre Vereinte Nationen. Internationale Bibliographie, Bd. 1: Wissenschaftliche Zeitschriften und Monographien 1945–1965, Berlin 1968, S. VII, abgedruckt in: unveränderte Sonderausgabe, München 1976.

[7] Anne-Kathrin Dippel, Beobachterstatus, in: Helmut Volger (Hrsg.), Lexikon der Vereinten Nationen, München/Wien 2000, S. 31–33.

[8] Vgl. Klaus Hüfner/Jens Naumann, UN-Forschung in der Bundesrepublik Deutschland, in: Gerhard Grohs et al. (Hrsg.), Kulturelle Identität im Wandel, Stuttgart 1980, S. 351–372.

[9] Günther Unser, Die UNO – Aufgaben und Struktur der Vereinten Nationen, München/Wien 1973.

[10] Klaus Hüfner/Jens Naumann, Das System der Vereinten Nationen – eine Einführung, Düsseldorf 1974.

[11] Wilhelm A. Kewenig (Hrsg.), Die Vereinten Nationen im Wandel, Berlin 1975.

[12] Rüdiger Wolfrum/Norbert J. Prill/Jens A. Brückner (Hrsg.), Handbuch Vereinte Nationen, München 1977.

[13] Klaus Hüfner, Das System der Vereinten Nationen – Internationale Bibliographie, Bd. 1–5 A, München 1976–1994.

[14] Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Die Reform der Vereinten Nationen – Möglichkeiten und Grenzen, Berlin 1989; Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Strengthening the World Order: Universalism v. Regionalism, Berlin 1990.

[15] Peter J. Opitz/Volker Rittberger (Hrsg.), Forum der Welt – 40 Jahre Vereinte Nationen, München 1986.

[16] Vgl. Manfred Knapp, 50 Jahre Vereinte Nationen: Rückblick und Ausblick im Spiegel der Jubiläumsliteratur, in: Zeitschrift für Politikwissenschaft, 7. Jg., 2/1997, S. 423–481.

[17] Bruno Simma/Hermann Mosler/Rudolf Bernhardt (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, Kommentar, München 1991.

[18] Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Handbuch Vereinte Nationen, 2., neubearb. Aufl., München 1991.

[19] Klaus Hüfner (Hrsg.), Die Reform der Vereinten Nationen. Die Weltorganisation zwischen Krise und Erneuerung, Opladen 1994; Klaus Hüfner (Ed.), Agenda for Change: New Tasks for the United Nations, Opladen 1995.

[20] Ernst-Otto Czempiel, Die Reform der UNO. Möglichkeiten und Mißverständnisse, München 1994; Peter J. Opitz (Hrsg.), Die Vereinten Nationen. Geschichte, Struktur, Perspektiven, München 1995; Helmut Volger, Die Vereinten Nationen, München/Wien 1994.

[21] Helmut Volger, Geschichte der Vereinten Nationen, München/Wien 1995.

[22] Volker Rittberger/Martin Mogler/Bernhard Zangl, Vereinte Nationen und Weltordnung. Zivilisierung der internationalen Politik?, Opladen 1997.

[23] Klaus Hüfner, Wechselwirkungen zwischen UN-Politik und UN-Forschung in Deutschland, in: Eckart Klein/Helmut Volger (Hrsg.), Die deutsche UN-Politik 1973-2003, Potsdamer UNO-Konferenzen Bd. 4, Potsdam 2004, S. 23–31, hier: S. 26.

[24] Klaus Dicke, Effizienz und Effektivität internationaler Organisationen. Darstellung und kritische Analyse eines Topos im Reformprozeß der Vereinten Nationen, Berlin 1994, zugleich Universität Kiel, Habil.-Schr. 1991.

[25] Vgl. die Liste seiner Veröffentlichungen auf der Webseite der Freien Universität Berlin: www.wiwiss.fu-berlin.de/fachbereich/emeriti/huefner.html; Fortschreibung seiner Arbeit mit Ronny Patz zur UN-Finanzierung siehe hier: dgvn.de/finanzierung-der-un

[26] Rüdiger Wolfrum (Ed.), United Nations: Law, Policies and Practice, rev. English edn., Dordrecht u.a. 1995.

[27] Bruno Simma (Ed.), The Charter of the United Nations, 1. Aufl., München/Oxford 1994; 2. Aufl., München 2002; 3. Aufl., Oxford 2012.

[28] Helmut Volger, A Concise Encyclopedia of the United Nations, 1. Aufl., Den Haag u.a. 2002; 2. Aufl., Leiden/Boston 2010.

[29] So die Rezensionen der englischen Lizenzausgaben im American Journal of International Law (AJIL): Wolfrum, AJIL, 91. Jg., 1997, S. 190–192; Simma, AJIL, 90. Jg., 1996, S. 333–335; Volger, AJIL, 99. Jg., 2005, S. 284–287.

[30] Volger (Hrsg.), Lexikon der Vereinten Nationen, a.a.O. (Anm. 7).

[31] Sven Gareis/Johannes Varwick, Die Vereinten Nationen. Aufgaben, Instrumente und Reformen, Bonn 2001.

[32] Sabine von Schorlemer (Hrsg.), Praxis-Handbuch UNO. Die Vereinten Nationen im Lichte globaler Herausforderungen, Berlin u.a. 2003.

[33] Helmut Volger (Hrsg.), Grundlagen und Strukturen der Vereinten Nationen, München/Wien 2007.

[34] So konstatierte es Günther Unser im Jahr 2005: Unser, Einige Arbeitshypothesen, a.a.O. (Anm. 5), S. 19.

[35] Vgl. Christian Stock, Die DGVN und die UN-Forschung, in: Norman Weiß/Nikolas Dörr (Hrsg.), Die Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN). Geschichte, Organisation und politisches Wirken, 1952–2017, Baden-Baden 2017, S. 107–153, hier: S. 116.

[36] Ebd., S. 117f.

[37] Forschungskreis Vereinte Nationen, www.uni-potsdam.de/de/mrz/veranstaltungen-und-kooperationen/kooperationen/forschungskreis-vereinte-nationen

[38] Vgl. Stock, Die DGVN und die UN-Forschung, a.a.O. (Anm. 35), S. 134ff.

[39] Broschürenreihe Potsdamer UNO-Konferenzen, www.uni-potsdam.de/de/mrz/publikationen/forschungskreis-vereinte-nationen

[40] Unser, Schriftliche Befragung, a.a.O. (Anm. 3).

[41] Hüfner, Wechselwirkungen zwischen UN-Politik und UN-Forschung, a.a.O. (Anm. 23), S. 27.

[42] Hüfner, Das System der Vereinten Nationen, a.a.O. (Anm. 13).

[43] Vgl. Andrew F. Cooper, Tests of Global Governance. Canadian Diplomacy and United Nations World Conferences, Tokyo/New York/Paris 2004.

[44] Vgl. Jean-Francois Paroz, UNO Academia: Stärkung der Partnerschaft mit den Hochschulen zur Förderung einer aktiven Rolle der Schweiz in der UNO, in: Fröhlich, UN Studies, a.a.O. (Anm. f), S. 237–245, hier: S. 240.

[45] Vgl. Jeremy Farrall et al., Elected Member Influence in the United Nations Security Council, Leiden Journal of International Law, 33. Jg., 1/2020, S. 101–115.

[46] New Zealand Ministry of Foreign Affairs and Trade, UN Handbook 2022–23, www.mfat.govt.nz/en/peace-rights-and-security/our-work-with-the-un/un-handbook/

[47] Deutscher Bundestag, Auswärtiger Ausschuss, Unterausschuss Vereinte Nationen, internationale Organisationen und zivile Krisenprävention, www.bundestag.de/ausschuesse/a03_auswaertiges/ua_vn

[48] In der 18. Wahlperiode (2013–2017) fanden zwei öffentliche Anhörungen mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern statt, am 8.6.2015 und 8.6.2016, in der 19. Wahlperiode (2017–2021) ebenfalls zwei, am 30.9.2020 und 26.4.2021.

[49] Vgl. Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Beratungsgremien bei der Bundesregierung und im Bundestag, WD-3-3000-327/10, 8.9.2010; vgl. auch Deutscher Bundestag, Drs. 19/7390, 21.1.2019, Der externe Sachverstand der Bundesregierung im Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts.

[50] Das könnte sich ändern: Das Bundesverwaltungsgericht hat im Mai 2022 entschieden, dass Texte und Protokolle von Beratungen von Wissenschaftlichen Beiräten von Bundesministerien öffentlich zugänglich sein müssen; s. BVerwG 10 C 1.21 vom 5.5.2022.

[51] So zum Beispiel auf der Webseite GovInfo: www.govinfo.gov/app/collection/chrg mit dem Suchwort ›United Nations‹.

[52] UNU, Common Problems, Collective Solutions: Support to Germany's Role on the Security Council, unu.edu/projects/common-problems-collective-solutions-support-to-germanys-role-on-the-security-council.html#outline

[53] Unser, Einige Arbeitshypothesen, a.a.O. (Anm. 5), S. 20.

[54] Helmut Volger, Die Vereinten Nationen als Arbeitsgebiet für wissenschaftliche Bibliotheken in Deutschland – Plädoyer für den Aufbau einer zentralen Dokumentations- und Bibliographiestelle für die UN-Forschung, Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, 55. Jg., 5/2008, S. 272–277.

[55] Unser, Schriftliche Befragung, a.a.O. (Anm. 3).

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