Standpunkt | Handschlag mit wem?
Obwohl die UN-Generalversammlung in sechs Resolutionen den völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine verurteilt hat, bisher Tausende von Zivilpersonen getötet wurden und auch die höchste Führungsebene der Vereinten Nationen, allen voran Generalsekretär António Guterres, den Angriffskrieg öffentlich verurteilte, beziehen die UN weiterhin Waren und Dienstleistungen von Russland im Wert von mehreren Millionen US-Dollar.
Laut dem jüngsten statistischen Jahresbericht über das UN-Beschaffungswesen[1], der im Juli 2022 veröffentlicht wurde, beliefen sich die Einkäufe der UN für Waren aus Russland – darunter Hubschrauber, Nahrungsmittel sowie Arzneimittel – im Jahr 2022 auf 256,25 Millionen US-Dollar, verglichen mit 282,25 Millionen US-Dollar im Jahr 2021. Auch wenn die Gesamteinkäufe der UN aus Russland um lediglich neun Prozent sanken, bleibt die Frage: Sollten die Vereinten Nationen weiterhin Geschäfte mit Russland betreiben? Wie könnten die UN den Beschaffungsprozess dann transparent gestalten, sollte ein Abbruch der jahrzehntelangen Beschaffungsbeziehung zu diesem Land nicht möglich sein, obwohl Russland die Grundsätze der UN-Charta in eklatanter Weise verletzt und möglicherweise Kriegsverbrechen in der Ukraine begeht?
Ein bedeutsamer erster Schritt könnte darin bestehen, alle Beschaffungsverträge der UN mit Unterorganisationen, Einzelpersonen und Regierungen – wie Russland – öffentlich zu machen. Derzeit werden diese Vereinbarungen – auch auf Anfrage – nicht zur Verfügung gestellt. Zudem kommt, dass die Vereinten Nationen Lieferantennamen aus Gründen der Vertraulichkeit zurückhalten.[2]
Zweitens könnte der Verhaltenskodex für Lieferanten der Weltorganisation[3] überarbeitet werden, der die »übergeordneten Werte« festlegt, deren Einhaltung die UN von allen potenziellen Zulieferern erwarten. Der Kodex enthält bisher keine klare Richtlinie dazu, wie die UN die Lieferanten, die den Verhaltenskodex verletzen, zur Rechenschaft ziehen. Er sieht keine Sanktionen für diese Lieferanten mit Mehrjahresverträgen vor, stattdessen werden die Verträge trotz etwaiger Verhaltensverstöße ohne Überprüfung jährlich verlängert oder fortgeschrieben. So betrugen die UN-Einkäufe aus Russland im Jahr 2014, als die Krim annektiert wurde, 421,19 Millionen US-Dollar – das ist der höchste Betrag innerhalb der vergangenen zehn Jahre.
Ein transparenter Beschaffungsprozess würde die langjährigen Beziehungen zwischen jenen UN-Organisationen und Lieferanten offenlegen, bei denen politische und persönliche Gewinne Vorrang vor solchen Partnerschaften haben, die den Interessen und Standards der UN besser dienen. Schließlich müssen die UN, um ihrem Auftrag zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit nachzukommen und relevant zu bleiben, jede Krise und jeden Konflikt als Gelegenheit nutzen, ihre Standards zu überprüfen. Selbst im Beschaffungswesen gibt es noch viel Raum für Verbesserungen.