Farbe bekennen für den Multilateralismus
Vor knapp einem Jahr – im Rahmen der 74. UN-Generalversammlung im September 2019 – haben Bundesaußenminister Heiko Maas und sein französischer Amtskollege Jean-Yves Le Drian ein neues Format der internationalen Politik aus der Taufe gehoben: die ›Allianz für den Multilateralismus‹.
Ihr zugrunde liegt ein überregionales Netzwerk gleichgesinnter Staaten, die für die regelbasierte internationale Ordnung eintreten sowie diese weiterentwickeln und so globalen Herausforderungen gemeinsam begegnen. Bislang waren mehr als 60 Staaten in der einen oder anderen Form dabei, von Südkorea über Togo bis Costa Rica.
Neben der wichtigen Symbolik der Allianz in einer Zeit, in der vielerorts ›mein Land zuerst‹ steht, sind sechs Initiativen in Politikfeldern wie Informationsfreiheit und Klimasicherheit erste Früchte des multilateralen Formats. Beim näheren Hinsehen fällt jedoch auf, dass es sich bei einigen der Projekte um recht ›leichte Beute‹ handelt. Unverbindlichkeit beim humanitären Aufruf zum Handeln oder das Ausklammern der zentralen Akteure bei den Prinzipien für tödliche autonome Waffensysteme machen einige Vorstöße zu stumpfen Schwertern. Ebenfalls nicht in Sicht: Rettungsmaßnahmen für diejenigen Säulen der internationalen Ordnung, an denen aktuell am eifrigsten gesägt wird: der globalen Handelsordnung, Menschenrechten oder der internationalen Rüstungskontrollarchitektur.
Ist die ›Allianz für den Multilateralismus‹ also ein Papiertiger? Bislang kommt sie als Initiative daher, die das Richtige will, aber noch nicht so recht weiß, wie sie es erreichen soll. Einer der Hauptgründe für diese Schwäche liegt in der viel proklamierten Offenheit und Flexibilität. Was ein positives Gegengewicht zum starren Charakter beste-
hender internationaler Organisationen bilden soll, hat eine Kehrseite: Wenn alles geht, geht manchmal – nichts.
Ein wichtiger Schritt bei der Fokussierung der Allianz ist es, bei den ›roten Linien‹ Farbe zu bekennen, die für ihre Mitglieder nicht verhandelbar sind und die sich mit Blick auf die bisherige Mitgliederliste innerhalb des liberal-demokratischen Wertekanons bewegen dürften. Im Gegensatz da-zu hat sich die Initiative bislang Offenheit in alle Richtungen zu erhalten versucht. Man habe sich bewusst gegen ein rein westliches Verständnis von Multilateralismus entschieden, denn nur so könne man bei großen Herausforderungen wie dem Klimawandel mit zentralen Akteuren wie China zusammenarbeiten.
Es stimmt, in Zeiten bröckelnder Allianzen und sich türmender Aufgaben für die internationale Gemeinschaft darf man in der Auswahl seiner Kooperationspartner nicht zu wählerisch sein. Doch wenn China zum Beispiel Staatsangehörige eines Gründungsstaates der Allianz festhält wie im Falle der Kanadier Michael Kovrig und Michael Spavor, sollten früh klare Worte fallen.
Das schließt die Zusammenarbeit mit China selbstverständlich nicht aus. Im Gegenteil: Ein Staat, dessen Weltbild sich aus souveränen, interessengeleiteten Staaten zusammensetzt, wird Partner nur ernst nehmen, die ihre eigenen Interessen und Überzeugungen deutlich vertreten. Der hoffentlich zeitnah nachgeholte Gipfel zwischen der Europäischen Union (EU) und China böte eine Plattform, um mögliche Kooperationsfelder auszuloten.
Die Definition von ›roten Linien‹ – nicht nur gegenüber China – ist schwierig, zeitaufwändig und nicht immer eindeutig. Doch es wäre eine sinnvolle Übung für die deutsche Außenpolitik: Sich Ambiguitäten zu stellen und diese auszuhalten ist der Kern einer reifen und strategischen Außenpolitik. Eine solche zu entwickeln ist essenziell für ein Land, das sich der Rettung der internationalen Ordnung verschrieben hat.