Einst Architekt, nun Abwickler

Die amerikanische Präsidentschaft hat in den 80 Jahren des Bestehens der Vereinten Nationen eine zentrale Rolle bei deren Arbeit eingenommen. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Die USA waren der maßgebliche Architekt und Vordenker bei der Gründung der Institution. Sie waren das einzige Land, das über die nötigen Mittel verfügte, um die Organisation nach dem Zweiten Weltkrieg aufzubauen. Sie sind mit 22 Prozent des ordentlichen UN-Budgets der größte Geldgeber der Organisation, und sie sind die mächtigste Nation mit der ökonomisch stärksten Volkswirtschaft der Welt. In Anerkennung dieser Bedeutung wurde der UN-Amtssitz in New York angesiedelt.
Angesichts dieser herausragenden Stellung stellt sich jedes Mal, wenn eine neue Regierung in Washington, D.C., die Macht übernimmt, die Frage, welche Auswirkungen dies auf die Institution haben wird. Dies gilt insbesondere in den heutigen turbulenten Zeiten und angesichts der großen Unberechenbarkeit der neuen Trump-Regierung. Ein Blick auf die Geschichte und auf die verschiedenen Kompromisse, Machtkämpfe und Konflikte, die es seit Langem zwischen der Regierung in Washington, D.C., und den Vereinten Nationen gibt, zeigt, welchen Einfluss die USA auf die Organisation hatten. Überraschenderweise hat sich der Einfluss der USA auf die Kriegs- und Friedensentscheidungen der UN, auf die Auswahl der UN-Generalsekretäre, auf die Finanzierung von UN-Friedensmissionen und auf die Entwicklung der Verpflichtungen der Organisation als widersprüchlich, aber gleichzeitig als sehr stark erwiesen – weit stärker als bei jedem anderen Staat. Gleichzeitig spielen die UN bei der Legitimierung beziehungsweise Nichtlegitimierung von US-Forderungen sowie bei der Festlegung von internationalen Normen und Standards eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung dieser Beziehung.
Vier Haltungen der USA zur UN-Charta
Amerikanische Präsidenten haben die UN von Anfang an ambivalent betrachtet. Präsident Harry Truman erklärte im Jahr 1945, dass die UN nur dann wirksam sein könnten, wenn »wir alle anerkennen, dass wir uns selbst die Befugnis verweigern müssen, stets nach unserem eigenen Willen zu handeln […], ganz gleich, wie mächtig wir sind. Das ist der Preis, den jede Nation für den Weltfrieden wird zahlen müssen.«[1] Truman stellte damit die lange Tradition des außenpolitischen Isolationismus der USA infrage. Als ein Land, das geografisch durch zwei große Ozeane geschützt ist, hatten die USA lange Zeit nie das Gefühl, Verbündete zu brauchen – bis sie am Ersten und Zweiten Weltkrieg teilnahmen. Selbst nach dem Beitritt zu den UN hat allerdings nur ein einziger amerikanischer Präsident die UN in seiner Antrittsrede erwähnt: John F. Kennedy im Jahr 1961. Dennoch sehen amerikanische Präsidenten die UN stets als ein nützliches Instrument für ihre Außenpolitik an.
In Bezug auf die UN-Charta hat die US-Präsidentschaft auf mindestens vier unterschiedliche Weisen agiert: erstens durch ihre Bemühungen, die Charta neu zu gestalten, zweitens durch die strikte Einhaltung der Charta, drittens durch die Einmischung in die Charta oder sogar den Verstoß gegen sie und viertens durch die Missachtung der Charta.
Bemühungen zur Neugestaltung der UN-Charta
In der Phase der Neugestaltung hatten zwei der ersten Präsidenten, Franklin D. Roosevelt und Dwight D. Eisenhower, den größten Einfluss auf die Charta. Schon früh während des Zweiten Weltkriegs schloss Roosevelt eine Vereinbarung mit drei anderen Mitbefürwortern der Vereinten Nationen – dem Vereinigten Königreich, der Sowjetunion und China – zur Schaffung eines neuen Gremiums. Dieses stellte im Wesentlichen eine Neustrukturierung des gescheiterten Völkerbunds dar. Er konzipierte eine neue Institution, die den realpolitischen Anforderungen gerecht wurde, an denen der Völkerbund zuvor gescheitert war. Roosevelts neues Modell, so glaubte er, könne die nationalen Interessen der USA besser vertreten und eine rasche Ratifizierung durch den US-Senat garantieren. Der Hauptaspekt war, den fünf Siegermächten des Zweiten Weltkriegs – nämlich den USA, den drei anderen Mitunterzeichnern und später Frankreich – eine ständige Mitgliedschaft im Sicherheitsrat und ein Vetorecht einzuräumen. Dies war eine radikale Veränderung gegenüber dem Völkerbund, bei dem alle Nationen ein Vetorecht hatten.
Roosevelt glaubte, dass ein ›internationaler Realismus‹ nötig sei, damit die Kriegsmächte als globale Ordnungshüter fungieren könnten.
Roosevelt glaubte, dass ein solcher ›internationaler Realismus‹ notwendig sei, um die Kriegsmächte zusammenzuhalten, damit sie in angemessener Weise als globale Ordnungshüter fungieren könnten. Seine Idee, das Vetorecht auf fünf Nationen zu beschränken, löste jedoch bereits im Jahr 1945 auf der Konferenz von San Francisco, auf der die UN-Charta ausgearbeitet wurde, eine heftige Kontroverse aus. Kleinere Staaten drohten, die Konferenz zu verlassen. Nach vielen Debatten und Überlegungen erkannten die meisten Staaten allerdings, dass die Mitwirkung der USA für die Organisation unerlässlich war. Ohne ihre Beteiligung wäre die neue Organisation machtlos wie der Völkerbund. Trotz der Verärgerung der Teilnehmer verabschiedeten die rund 50 anwesenden Nationen schließlich die Charta.
Der zweite Akteur, der zur Neugestaltung der Charta beitrug, war der extrem konservative Präsident Eisenhower. Auf Anregung seines Außenministers John Foster Dulles, der als Berater der US-Delegation in San Francisco tätig gewesen war, schlug Eisenhower im Jahr 1953 bei den UN einen ›Atoms For Peace‹-Plan vor. Damit wollte er den Schwerpunkt der Kernenergie von militärischen Anwendungen auf die gemeinsame friedliche Nutzung verlagern. Zunächst wurde sein Konzept als Propagandatrick abgetan, der beweisen sollte, dass die USA für den Frieden arbeiteten – im Gegensatz zur Sowjetunion, die sich auf einen Atomkrieg vorbereitete. Schließlich führte Eisenhowers Vorschlag aber im Jahr 1957 zur Gründung der Internationalen Atomenergie-Organisation (International Atomic Energy Agency – IAEO), die seither eine wichtige Funktion bei der Kontrolle der Nukleartechnologie durch die UN ausführt.
Auch in einem weiteren Fall nahm Eisenhower maßgeblichen Einfluss auf die UN: Im Jahr 1956 setzte er die Beilegung der Suezkanal-Krise durch und erzwang den Rückzug der britischen, französischen und israelischen Truppen aus Ägypten. Daraufhin beschlossen die UN, Friedenstruppen zu entsenden, um den Frieden in der Region zu sichern. Die Idee dafür stammte ursprünglich von dem damaligen UN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld. Eisenhowers uneingeschränkte Unterstützung des Konzepts führte dazu, dass friedenserhaltende Maßnahmen in das Instrumentarium der UN als Teil ihrer regulären Aufgaben aufgenommen wurden – auch wenn solche Einsätze in der UN-Charta nie erwähnt worden waren.
Ein weiterer unerwarteter Erneuerer der Vereinten Nationen war Richard Nixon. Kurz nachdem Nixon im Jahr 1972 seine berühmte Reise nach Beijing unternommen hatte, um ein Bündnis mit Mao Zedong zu schmieden, wurde den Vereinten Nationen zum ersten Mal zugestanden, das kommunistische China in die Organisation aufzunehmen. Die Volksrepublik China ersetzte Taiwan im Sicherheitsrat und übernahm dessen Vetorecht. Obwohl Nixon den Beitritt Chinas zu den UN nicht unbedingt vorausgesehen hatte, versuchte er nicht, die Aufnahme zu blockieren. Indirekt führte Nixons Handeln zu einer bedeutenden Veränderung in der Zusammensetzung der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats – eine Anpassung, die erstmals die realen globalen Machtverhältnisse widerspiegelte.
Strikte Einhaltung der UN-Prinzipien
Die zweite Form des Umgangs der US-Präsidenten mit den Vereinten Nationen – die strikte Einhaltung der Charta – ist die wichtigste Form der Zusammenarbeit der USA mit der Institution, insbesondere in Notsituationen. Mindestens zehn der letzten 14 US-Präsidenten konnten den Sicherheitsrat davon überzeugen, im Rahmen der Charta Maßnahmen – militärischer oder anderer Art – zu ergreifen, um zu verhindern, dass ein ernster Konflikt außer Kontrolle gerät. Natürlich gab es im Laufe der Zeit Dutzende anderer Absprachen zwischen den USA und dem Sicherheitsrat, aber die entscheidendsten haben dazu beigetragen, den Einflussbereich der UN weltweit auszuweiten.
Im ersten Fall ging es um die Entscheidung von Präsident Truman, den UN-Sicherheitsrat im Jahr 1950 um Unterstützung für die Entsendung von Streitkräften nach Korea zu bitten, um die nordkoreanische Invasion in Südkorea abzuwehren. Damals hätte Truman unilateral handeln und die UN übergehen können, aber er wusste, dass er für einen Gegenangriff weltweiten Rückhalt brauchte. Damit er die Zustimmung des Rates bekam, musste er den Widerstand der Sowjetunion überwinden. Zufälligerweise boykottierte Moskau zu dieser Zeit den Rat, weil das kommunistische China noch nicht in das Gremium aufgenommen worden war. Truman nutzte die Abwesenheit der Sowjetunion, um ein sicheres russisches Veto zu vermeiden. Er setzte sich im Rat durch, und UN-Truppen wurden nach Korea entsandt, um den Angriff abzuwehren.
Bekanntlich hat auch ein weiterer US-amerikanischer Präsident die Vereinten Nationen um Unterstützung in einer Krisensituation gebeten. Im Jahr 1962 stand Präsident Kennedy während der Kubakrise vor seiner größten Herausforderung. Er bat den damaligen UN-Generalsekretär Sithu U Thant im Rahmen seiner Guten Dienste (Good Offices) um Unterstützung. U Thant erklärte sich bereit, als einer der Vermittler in der Auseinandersetzung zu fungieren, und trug so dazu bei, dass ein Abkommen mit der Sowjetunion über den Abzug ihrer Atomwaffen aus Kuba zustande kam. Die Rolle des Generalsekretärs als Vermittler – eine Funktion, die in der Charta für genau solche Fälle vorgesehen ist – erwies sich als entscheidend für das Zustandekommen einer erfolgreichen Einigung.
Dreißig Jahre später, im Jahr 1991, überzeugte Präsident George H. W. Bush die Vereinten Nationen, eine Interventionstruppe nach Kuwait zu entsenden, um die irakische Invasion in dem Land zurückzuschlagen. Damit beschloss der Rat die erste militärische Intervention seit dem Koreakrieg. Alle fünf Vetomächte im Rat stimmten dem Einsatz zu. Im Jahr 2001, nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in New York und Washington, D. C., überzeugte dann Bushs Sohn, Präsident George W. Bush, den Sicherheitsrat davon, eine UN-Mission in Afghanistan einzusetzen, nachdem er zuvor mit US-Streitkräften dort interveniert hatte, um Al-Qaida und die Taliban zu bekämpfen. Im Jahr 2011 überzeugte Präsident Barack Obama den Sicherheitsrat schließlich, in Libyen zu intervenieren, um den libyschen Machthaber Muammar al-Gaddafi daran zu hindern, schwerste Gewalt gegen die eigene Bevölkerung auszuüben. Die Operation wurde später kontrovers diskutiert, da Russland den USA vorwarf, Obama habe die Grenzen des UN-Mandats überschritten: Aus einer Mission zum Schutz der Zivilbevölkerung sei de facto eine Intervention zum Zweck des Regimewechsels geworden. Gleichwohl wurde in Libyen ein Blutbad verhindert.
Amerikanische Präsidenten haben den Sicherheitsrat im Laufe der Jahre auch für umfassendere, proaktive nichtmilitärische Zwecke genutzt, vor allem zur Verhängung von Sanktionen. Seit der Ära von George H. W. Bush haben beide großen Parteien im Kongress, Republikaner und Demokraten, gemeinsam mit der Regierung Sanktionen gegen eine Reihe sogenannter ›Schurkenstaaten‹ im Rahmen der UN-Charta verhängt. Zu diesen Ländern gehörten unter anderem die Demokratische Republik Kongo, Irak, Libyen, Myanmar, Syrien und Venezuela. Solche Embargos haben in der Regel beträchtliche, wenn auch manchmal ungewisse Auswirkungen. Sie haben jedoch gezeigt, dass die Vereinten Nationen, wenn sie ihre Ziele durchsetzen wollen, mitunter eine starke wirtschaftliche Schlagkraft haben.
Aufdringliche Einmischung in die Weltorganisation
Die dritte Kategorie von Interaktionen der USA mit den Vereinten Nationen betrifft die oft aufdringliche Einmischung der Vereinigten Staaten in die Bestimmungen der UN-Charta. Das erste bemerkenswerte Beispiel hierfür ereignete sich kurz nach Beginn des Ost-West-Konflikts, als Präsident Truman das Federal Bureau of Investigation (FBI) ermächtigte, gegen 2000 US-amerikanische Angestellte der UN wegen kommunistischer Subversion zu ermitteln. Der damalige Generalsekretär Trygve Lie willigte nur widerwillig in diese Ermittlungen ein, da sie gegen den Grundsatz der Unabhängigkeit der UN-Bediensteten verstießen. Die Durchsuchung führte zur Entlassung mehrerer UN-Bediensteter mit US-Staatsbürgerschaft und zum Selbstmord von mindestens einer Person.[2] In den 1980er-Jahren übte Präsident Ronald Reagan seinerseits intensiven Druck auf die UN-Generalversammlung aus, um die Rücknahme der Resolution ›Zionismus ist Rassismus‹ zu erreichen.[3] Reagan zwang die UN zum Handeln, indem er ihr Mitgliedsbeiträge vorenthielt. Letztendlich zog die Generalversammlung die Resolution im Jahr 1991 zurück.[4]
Der US-Kongress nutzte den Beitritt zu oder den Austritt aus UN-Organisationen, um diese zu belohnen oder zu sanktionieren.
Jahre später legte Präsident Bill Clinton sein Veto gegen eine zweite Amtszeit von UN-Generalsekretär Boutros-Boutros Ghali ein, der seiner Meinung nach nicht ausreichend auf Forderungen der USA eingegangen war. Stattdessen unterstützte Clinton die Wahl von Kofi Annan. In ähnlicher Weise nutzte auch der US-Kongress – teils sogar parteiübergreifend – den Beitritt zu oder den Austritt aus UN-Organisationen und -Übereinkommen gezielt als Mittel, um diese zu belohnen oder zu sanktionieren. Dies gilt unter anderem für die Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization – WHO), den Menschenrechtsrat (Human Rights Council – HRC), das Klimaübereinkommen von Paris und die UN-Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur (United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization – UNESCO).
Missachtung der UN-Charta
Die vierte Kategorie der US-amerikanischen Interaktion ist die offene Missachtung der UN-Charta. Dies ist der wichtigste Beleg dafür, dass die USA als Großmacht ihre nationalen Sicherheitsinteressen über völkerrechtliche Verpflichtungen stellen – unter Inkaufnahme internationaler Kritik. Die Eisenhower-Regierung handelte im Jahr 1954 auf solche Weise, als sie heimlich die Central Intelligence Agency (CIA) anwies, eine demokratisch gewählte Regierung in Guatemala zu stürzen, die angeblich mit der Sowjetunion kollaborierte. Die USA setzten verschiedene Blockademanöver im UN-Sicherheitsrat ein, um sicherzustellen, dass der Rat in dieser Angelegenheit keine Maßnahmen ergreifen konnte.
In ähnlicher Weise ignorierte Präsident Lyndon B. Johnson jeden Versuch der UN, ein Ende des Vietnamkriegs auszuhandeln. Er wies alle Bemühungen des damaligen Generalsekretärs U Thant, Gespräche zur Beilegung der Kämpfe einzuleiten, brüsk zurück. Die einzige Rolle, die die UN letztlich in dem Konflikt einnahmen, bestand darin, vielen Mitgliedstaaten ein Forum in der Generalversammlung zu bieten, um ihrer Wut über den Krieg Ausdruck zu verleihen.
Ein weiterer Präsident mit selbst proklamierten multilateralen Sympathien, nämlich Bill Clinton, verhinderte, dass der Sicherheitsrat Maßnahmen zur Intervention im Völkermord in Ruanda ergriff. Aus innenpolitischen Gründen wollte er keine US-Truppen oder -Ressourcen zur Beendigung dieses Konflikts einsetzen. Nach der Auflösung Jugoslawiens drängte Clinton den UN-Sicherheitsrat zudem, Luftangriffen gegen Serbien zuzustimmen, um Kosovo vor einer Intervention serbischer Streitkräfte zu schützen. Als der Rat sich weigerte zu handeln, überzeugte Clinton die Nordatlantikvertrags-Organisation (NATO) davon, die serbischen Invasoren zu vertreiben.
Dieses Muster der Missachtung durch die USA setzte sich unter Präsident George W. Bush nach den Al-Qaida-Terroranschlägen vom 11. September 2001 fort. Trotz des heftigen Widerstands einiger Vetostaaten des Sicherheitsrats beschloss Bush den Angriff auf Irak. Diese widersprachen Bushs Behauptung, Irak gewähre der Terrorgruppe Al-Qaida Unterschlupf und besitze, was noch entscheidender war, Massenvernichtungswaffen.
Ein weiterer selbst ernannter Multilateralist, Präsident Joe Biden, ignorierte im Zuge des Hamas-Angriffs auf Israel am 7. Oktober 2023, bei dem etwa 1200 Menschen getötet wurden, sämtliche Bemühungen des UN-Sicherheitsrats, Israels Angriffe auf die Hamas im Gazastreifen zu verurteilen. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Beitrags hatte dieser Militäreinsatz bereits rund 60 000 Menschenleben gefordert.
Und Donald Trump …
Angesichts dieser Vorgeschichte könnte sich Donald Trump durchaus als Ausnahme von der Regel im Umgang mit der UN-Charta erweisen. Trump zeigt keinerlei Interesse an diesem grundlegenden Dokument. Für ihn sind die verschiedenen Vorgehensweisen, wie US-Präsidenten die UN bisher behandelt haben, irrelevant – mit Ausnahme der letzten, der Missachtung der UN. Er ist der isolationistischste Präsident seit dem 19. Jahrhundert. Unilateralismus und auf den Abschluss von kurzfristigen Geschäften ausgerichtete (transaktionsorientierte) Absprachen sind seine Vorstellung vom Funktionieren der realen Welt.
Trump verfolgt vier Grundprinzipien, die gegen die UN gerichtet sind: Erstens gilt für ihn Machtpolitik als das einzig entscheidende Attribut. Neben den USA betrachtet er nur China und Russland als die stärksten Staaten der Welt – und somit als die einzigen Nationen, die er ernst nimmt. De facto hat er die Welt bereits in drei Einflusssphären aufgeteilt: Asien für China, Eurasien für Russland und die nördliche sowie südliche Hemisphäre Amerikas für die USA.
Trumps zweiter Grundsatz, seine viel zitierte ›Amerika zuerst‹-Doktrin, beruht in erster Linie auf seinem Glauben an die uneingeschränkte Ausübung der Exekutivgewalt. Eine derartige Dominanz erlaubt es ihm, unter offener Missachtung der UN-Charta und des Völkerrechts öffentlich zu erklären, dass er Grönland beschlagnahmen, US-Truppen in den Panamakanal entsenden, Kanada zum 51. US-Bundesstaat machen, den Gazastreifen für die US-amerikanische Tourismusindustrie nutzen und hohe Zölle auf Produkte aus aller Welt erheben will. All dies ist Ausdruck seiner Verachtung für jegliche globalen Regeln.
Die UN sollten Unzulänglichkeiten durch interne Evaluierungsprozesse, externe Beratung und mit der Zivilgesellschaft angehen.
Drittens verfolgt Trump das Ziel, sämtliche von Biden im Bereich der US-Außenpolitik unterstützten oder angestoßenen Maßnahmen rückgängig zu machen. Trump hat Biden nie verziehen, dass dieser ihn im Präsidentschaftswahlkampf im Jahr 2020 besiegt hat, und er versucht seit Langem zu belegen, dass seine Niederlage ausschließlich auf Bidens vermeintliche ›Wahlmanipulation‹ zurückzuführen sei. Dieser Groll veranlasste ihn dazu, Bidens Unterstützung für die WHO, die UNESCO und das Pariser Klimaübereinkommen mit der Begründung der ›Verschwendung und Korruption‹ voller Genugtuung rückgängig zu machen. Gleiches gilt für die Internationale Entwicklungsbehörde der USA (USAID), die er de facto abgeschafft hat. Deren Auflösung führte unter anderem zu Massenentlassungen beim Hohen Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (Office of the United Nations High Commissioner for Refugees – UNHCR), dessen Budget bis zu 40 Prozent aus Mitteln der USAID getragen wurde.[5] Noch alarmierender ist, dass Trump in Erwägung zieht, alle internationalen Verträge, die Biden oder andere frühere Präsidenten jemals unterzeichnet haben, zu kündigen, indem er sie einem Lackmustest unterzieht, ob sie antiamerikanisch, sozialistisch oder totalitär sein könnten.[6]
Trumps vierter Glaubensgrundsatz lautet, dass Außenpolitik einen eigenen, ausschließlich strategischen Zweck hat. Er scheint den altbewährten Praktiken populistischer Demagogen weltweit zu folgen: Um von innenpolitischen Problemen abzulenken, löst er eine globale Krise aus. Im Bewusstsein der eigenen angeschlagenen Wirtschaft könnte er versucht sein, davon abzulenken, indem er Unruhen in seinen vier Zielstaaten – Panama, Grönland, Gaza und Kanada – schürt.
... setzt die Existenz der UN aufs Spiel
Während seiner ersten Amtszeit pflegte Trump eine recht stabile, wenn auch manchmal chaotische Beziehung zu den UN. Der Hauptgrund für sein damaliges moderates Verhalten lag darin, dass er einerseits Sanktionen gegen Länder verhängen konnte, die ihm nicht genehm waren, und andererseits den Globalismus in den UN offen anprangern konnte.
Nach seiner Wiederwahl im Jahr 2024 äußerte Trump allerdings einige verblüffende Bemerkungen über die UN. Bei einem informellen Treffen mit der Presse am 4. Februar 2025 erklärte er: »Die UN werden nicht gut geführt und sie machen ihre Arbeit nicht.«[7] Damit spielte Trump zweifellos darauf an, dass er sich trotz der einflussreichen Rolle der USA in der Weltorganisation nicht darauf verlassen könne, dass diese automatisch auf seine Anweisungen reagiere.
Doch Trumps neueste Agenda könnte sich als katastrophal für die Vereinten Nationen erweisen. Der am 2. Mai dieses Jahres vorgelegte Haushaltsentwurf der US-Regierung für internationale Angelegenheiten im Haushaltsjahr 2026 sieht eine Kürzung des Budgets aller globalen US-Programme um atemberaubende 84 Prozent vor – von
58,7 Milliarden US-Dollar auf nur noch 9,6 Milliarden US-Dollar. Von dieser Kürzung sind unter anderem die rechtlich verbindlich festgelegten Beiträge der USA zum Jahreshaushalt der UN, der US-Anteil an der Finanzierung der Friedensmissionen sowie die freiwilligen Beiträge der USA zu den UN-Organisationen betroffen.[8] Gleichzeitig schuldet die US-Regierung den UN allerdings bereits rund drei Milliarden US-Dollar an Nachzahlungen.[9]
In Erwartung dieses drastischen Einbruchs der US-Auslandshilfe hat UN-Generalsekretär António Guterres einen Reaktionsplan mit der Bezeichnung ›UN80‹ vorgelegt.[10] Dieser zielt darauf ab, trotz der knappen Ressourcen, die ihm wahrscheinlich zur Verfügung stehen werden, so viele UN-Programme wie möglich zu retten.[11] Sollte Trumps Haushaltsplan – was unwahrscheinlich ist – nicht doch noch vom US-Kongress rückgängig gemacht werden, wird die Welt wahrscheinlich eine völlig andere Weltorganisation erleben – eine, die kleiner ist, viele ihrer täglichen Aufgaben nicht mehr wahrnehmen kann und weltweit insgesamt deutlich weniger präsent ist.
Immerhin lässt sich sagen, dass Trump bislang nicht den Weg eingeschlagen hat, den einige Mitglieder seiner eigenen Partei fordern, etwa den Vereinten Nationen jegliche Finanzierung zu verweigern oder sich in einigen Fällen sogar ganz aus der Institution zurückzuziehen. Das mag ein schwacher Trost sein. Trump will offenbar trotzdem in der Organisation präsent bleiben, und sei es nur, um ein Gegengewicht zu China und Russland zu schaffen, um weiterhin Sanktionen gegen Staaten zu verhängen, die ihm nicht gefallen, und um für sich selbst eine Bühne zu haben, auf der er der Weltgemeinschaft seine Botschaft ›Amerika zuerst‹ verkünden kann. Für ihn ist eine minimale Beachtung der UN-Charta also möglich, aber eher nebensächlich. Bei einem Mann, der dafür berüchtigt ist, seine Meinung ständig zu ändern, ist es schwer, seine Vorstellungen über die Zukunft der UN zu durchschauen. Gerade in ihrem 80. Gründungsjahr haben es die UN folglich mit dem für die Organisation bedrohlichsten US-Präsidenten zu tun.
Aus dem Englischen von Angela Großmann.
[1]Stephen Schlesinger, Act of Creation, Boulder 2003, S. 292.
[2]Stanley Meisler, United Nations, The First Fifty Years, New York 1995, S. 81–83.
[3]UN-Dok. A/RES/3379 v. 10.11.1975.
[4]UN-Dok. A/RES/46/86 v. 16.12.1991.
[5]NewsMaxWorld, From Staff Cuts to Aid Reductions, UN Humanitarian Agencies Scramble in Wake of US Funding Freeze, 8.3.2025, www.newsmax.com/world/globaltalk/unhcr-trump-iom-ocha-unaids-world-health-organization/2025/03/08/id/1201967/
[6]Stewart Patrick, The Death of the World America Made, Carnegie Endowment for International Peace, 19.2.2025, carnegieendowment.org/emissary/2025/02/trump-executive-order-treaties-organizations
[7]Jeff Mason/Michelle Nichols, Trump Says UN Has to ›Get Its Act Together,‹ UN Pushes Back, Reuters, 5.2.2025, www.reuters.com/world/us/trump-signs-orders-iran-withdrawing-us-un-human-rights-council-unrwa-2025-02-04/
[8]Stewart Patrick, Trump’s Mistaken Belief That What Happens Elsewhere Isn’t Washington’s Concern, Carnegie Endowment for International Peace, 13.5.2025, carnegieendowment.org/emissary/2025/05/trump-state-department-budget-cuts-treaty-review-interdependence
[9]Louis Charbonneau, How to Save the UN from Trump, U.S. News, 16.5.2025, www.usnews.com/opinion/articles/2025-05-16/trump-un-europe-cuts-funding
[10] Siehe dazu auch den Hauptbeitrag von Max-Otto Baumann et al. in diesem Heft.
[11]Colum Lynch, UN Chief Outlines Plans for Thousands of New Job Cuts, Devex, 28.5.2025, www.devex.com/news/un-chief-outlines-plans-for-thousands-of-new-job-cuts-110189




