Menü

Standpunkt | Ein Sondertribunal zur Aggression gegen die Ukraine? Nein.

Prof. Dr. Dr. h.c. Kai Ambos ist ord. Professor für Straf- und Strafprozessrecht, Rechtsvergleichung, internationales Strafrecht und Völkerrecht an der Universität Göttingen sowie Richter am Sondertribunal für Kosovo in Den Haag. Er hat kritische Rückfragen.

Chefankläger Karim Khan sitzt im Sicherheitsrat mit verschränkten Händen und einem Kopfhörer im Ohr.
Karim Khan, Chefankläger des ICC, spricht im Sicherheitsrat zur Situation in der Ukraine. Foto: UN Photo/Loey Felipe

Die Einsetzung eines Sondertribunals für den russischen Angriffskrieg in der Ukraine ist mit zahlreichen Problemen verbunden.[1] Das Hauptproblem ist die Legitimation eines solchen Tribunals, vor allem aus Sicht des Globalen Südens. Sie könnte allenfalls durch eine entsprechende Resolution der UN-Generalversammlung erreicht werden, die im Rahmen ihrer besonderen ›Vereint für den Frieden‹-Zuständigkeit handeln müsste. Allerdings kann derzeit nicht davon ausgegangen werden, dass eine solche Resolution die gleiche Unterstützung wie vorangegangene Resolutionen zur Verurteilung des russischen Angriffskriegs erhalten wird.

Dies liegt auch daran, dass eine Sonderbehandlung der Ukraine-Situation für die Mehrzahl der Staaten dieser Welt außerhalb Europas nicht nachvollziehbar ist. Warum wurden oder werden ihre Kriege nicht ebenso behandelt? Warum bedarf es überhaupt eines Sondertribunals neben dem bestehenden und auch zur Ukraine ermittelnden Internationalen Strafgerichtshof (International Criminal Court – ICC), der doch gerade eingerichtet wurde, um die selektive Strafverfolgung durch solche Sondertribunale zu verhindern? Würde ein solches Aggressionstribunal, das sich per definitionem nur gegen Russland als den Aggressor richten würde, nicht als einseitig wahrgenommen und dementsprechend auch von der russischen Propaganda ausgeschlachtet werden? Wieso sollte nach jahrelangen Verhandlungen zum Aggressionsverbrechen im Rahmen des ICC und der Einigung auf ein – zugegebenermaßen enges – Zuständigkeitsregime nun diese diplomatische Einigung durch ein Sondertribunal umgangen und damit einen Präzedenzfall geschaffen werden? Wäre es nicht konsequenter, das ICC-Zuständigkeitsregime direkt zu reformieren, um damit die Verfolgung eines Angriffskriegs generell – nicht nur bezogen auf den russischen Angriffskrieg – zu erleichtern? Außenministerin Annalena Baerbock hat zwar inzwischen in ihrer Haager Rede eine solche ICC-Reform gefordert, doch bis heute hat weder Deutschland noch ein anderer Vertragsstaat des Römischen Statuts den notwendigen Reformprozess in Gang gesetzt.

Alle anderen bisher diskutierten Lösungen, etwa die Schaffung eines Sondertribunals durch den Europarat/die Europäische Union (EU) oder als Teil des ukrainischen Justizsystems, wären nicht nur aus legitimationstheoretischer Sicht kontraproduktiv, sondern hätte auch gravierende rechtliche Konsequenzen mit Blick auf die Handlungsfähigkeit eines solchen Tribunals. Vor allem könnte ein Ausschluss der persönlichen (staatlichen) Immunität der russischen Führung nur bei einem echten internationalen Tribunal rechtlich begründet werden. Andernfalls würde ein Sondertribunal gegenüber dem ICC einen Rückschritt darstellen, denn dort greift diese Immunität gerade nicht.

Überdies stellen sich zahlreiche rechtspraktische Probleme, die hier nur aufgezählt werden können: Wie soll ein solches Tribunal mit dem ICC konkret zusammenarbeiten? Wie soll Doppelarbeit mit Blick auf die Beweissammlung verhindert werden? Wie und wo soll ein solches Tribunal eingerichtet werden? Woher soll das Personal kommen? Die Befürworter scheinen bei alldem davon auszugehen, dass ein solches Tribunal innerhalb kürzester Zeit arbeitsfähig sein würde. Tatsächlich zeigen aber bisherige Erfahrungen, dass die volle Funktionsfähigkeit solcher Tribunale nicht Monate, sondern Jahre in Anspruch nimmt. Unter Umständen könnte die – notwendige – Reform des ICC-Zuständigkeitsregimes, insbesondere durch Schaffung einer Überweisungsmöglichkeit durch die UN-Generalversammlung, schneller erfolgen.

[1] Siehe dazu ausführlich Kai Ambos, Verfassungsblog v. 6.1.2023, verfassungsblog.de/a-ukraine-special-tribunal-with-legitimacy-problems/

Das könnte Sie auch interessieren


  • Standpunkt | Ein Sondertribunal zur Aggression gegen die Ukraine? Ja.

    Standpunkt | Ein Sondertribunal zur Aggression gegen die Ukraine? Ja.

    17.04.2023
    Prof. Dr. Dr. h.c. Anne Peters ist Direktorin am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg. Dr. Robert Stendel ist dort Referent. Sie plädieren für ein Sondertribunal auf Grundlage eines Abkommens zwischen… mehr

  • Chefankläger Karim Khan im Fokus.

    Debatte: Haftbefehl gegen Wladimir Putin – der ICC vor neuen Herausforderungen

    04.04.2023
    Der im März 2023 erlassene Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten stieß bei vielen auf Überraschung. Wie ist die Entscheidung des ICC einzuordnen? Ein Meinungsbeitrag. mehr

  • UNtätig im Russland-Ukraine-Krieg?

    UNtätig im Russland-Ukraine-Krieg?

    15.10.2022
    Im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine sind die Vereinten Nationen eine unersetzliche Plattform zwischenstaatlichen Austauschs sowie ein wichtiger Akteur in der Krisenkommunikation, Mediation und humanitären Unterstützung. Es lohnt sich daher… mehr

  • Das Veto in eigener Sache

    Das Veto in eigener Sache

    20.02.2023
    Russlands Veto im Sicherheitsrat gegen einen Resolutionsentwurf am 25. Februar 2022 zur Verurteilung seines Angriffskriegs ist nach der UN-Charta unzulässig. Unklar sind jedoch die daraus entstehenden rechtlichen Konsequenzen. Hier ist die… mehr

  • Mit Recht gegen Gewalt

    Mit Recht gegen Gewalt

    22.06.2022
    Der Internationale Strafgerichtshof (ICC) hat in den 20 Jahren seines Bestehens mit seiner begrenzten Zuständigkeit, der Komplexität völkerstrafrechtlicher Verfahren und politischen Abhängigkeiten zu kämpfen gehabt. Sein großer Wert besteht darin,… mehr