Deutschland und die Zukunft der Vereinten Nationen
In ihrer politischen Erklärung formulierten die Mitgliedstaaten im Jahr 2020 zwölf Handlungsfelder, in denen sie Fortschritte erzielen wollen, um »die Zukunft zu sichern, die wir wollen und die Vereinten Nationen, die wir brauchen«[1].[2] Die Staaten forderten UN-Generalsekretär António Guterres auf, Empfehlungen zu entwickeln, wie diese ›gemeinsame Agenda‹ umgesetzt werden könnte. Im September 2021 legte er seinen Bericht mit dem Titel »Unsere gemeinsame Agenda« (»Our Common Agenda« – OCA) vor. Ziel seiner Vorschläge ist es, die Vereinten Nationen für aktuelle und künftige Probleme besser zu befähigen, Schocks und Krisen effektiver bewältigen und globale öffentliche Güter wirksamer schützen zu können. Dafür soll die Weltorganisation in die Lage versetzt werden, vernetzter und inklusiver zu agieren, eine zentrale Rolle in der Global Governance einzunehmen und diese besser auf die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung (Agenda 2030) und kommende Krisen auszurichten. Der Bericht enthält rund 90 Vorschläge, einer davon ist der Zukunftsgipfel (Summit of the Future), auf dem Staats- und Regierungsoberhäupter Reformmaßnahmen beschließen sollen.
Die UN, die wir zukünftig brauchen
Seit dem Jahr 2022 diskutieren die Mitgliedstaaten in der Generalversammlung über diese und weitere Empfehlungen. Nur bei wenigen Themen signalisierte eine Mehrheit eindeutige Unterstützung. Zum weiteren Vorgehen verabschiedeten die Mitgliedstaaten eine Modalitäten-Resolution, die den Zukunftsgipfel für September 2024 terminiert.[3] Auf Wunsch zahlreicher Entwicklungsländer wurde er auf nächstes Jahr verschoben, um dem Gipfel zur Halbzeitbilanz der Agenda 2030 nicht in die Quere zu kommen. Bis zur diesjährigen Eröffnungswoche der Generalversammlung soll festgelegt werden, welche Themen der zu verhandelnde ›Pakt für die Zukunft‹ – das vorgesehene Abschlussdokument – behandeln soll. Dies ist die Aufgabe von der deutschen Ständigen Vertreterin bei den UN in New York, Antje Leendertse, als Ko-Moderatorin des Vorbereitungsprozesses und ihrem namibischen Kollegen Neville Gertze.[4] Die beiden Ko-Fazilitatoren stehen vor der Schwierigkeit, für die insgesamt recht disparaten Reformvorhaben eine ehrgeizige und zugleich realistische Vision zu entwickeln. Möglichst viele Stimmen müssen gehört und Konsense oder zumindest solide Mehrheiten aufgebaut werden.[5]
Komplexität und Konfliktlinien
Die Chancen für ambitionierte Reformen stehen auch aufgrund der geopolitischen Spannung und des Vertrauensverlusts vieler Länder des Globalen Südens nicht gut. Gleichzeitig zeigen die multiplen Krisen, wie notwendig die Stärkung multilateralen Regierens wäre. Handlungsfähige, reaktionsschnelle UN, die auch für Prozesse, in denen sie bislang eher am Rande stehen, besser einbezogen sind und auch nichtstaatliche Akteure sinnvoll integriert, scheint im Interesse aller. Und so unterstützen auch viele Mitgliedstaaten Reformen. Aber es besteht wenig Einigkeit darüber, wie diese aussehen sollen.
Die Konflikte zwischen den Mitgliedstaaten drehen sich vor allem um Souveränitätsvorbehalte und die Interpretation der UN-Charta, um Fragen des Verhältnisses zwischen dem UN-Sekretariat und den Mitgliedstaaten und um das Primat von Entwicklungsthemen und damit verbundene Verteilungsfragen.[6] Ersteres wird verschärft von Pakistan und einer Gruppe von Unterstützerstaaten vorgetragen.[7] Letzteres wird vor allem von Kuba als Sprecher der Gruppe der 77 (G77) thematisiert. Beide Gruppen eint der Widerstand gegen zu viele Verhandlungen noch in diesem Jahr – das wird angesichts der bereits bestehenden Belastung als Überforderung kritisiert. Darüber hinaus scheinen in den individuellen Stellungnahmen der Mitglieder beider Gruppen recht diverse Positionen auf. Die westlichen Staaten signalisieren allgemeine Unterstützung, betonen die Rolle der Menschenrechte und haben die üblichen Vorbehalte gegenüber neu hinzukommenden Ausgaben. Außerdem warnen sie vor Prozessen, die bestehende duplizieren oder zumindest deren Arbeitslast noch erhöhen.
Teile der Zivilgesellschaft haben die Prozesse rund um das 75-jährige Bestehen der UN und den OCA-Bericht intensiv begleitet. Manche ihrer Vorschläge wurden im Bericht aufgegriffen. Einige Gruppen vertreten weitreichendere Reformideen, andere lehnen den Prozess insgesamt ab.[8]
Die Inhalte des Zukunftspakts
Anfang August 2022 teilte Guterres mit, welche der Themen aus seinem Bericht er für besonders wichtig hält und wohl auch für einigermaßen erfolgsversprechend. Zu jedem Thema veröffentlicht er ein Kurzdossier (Policy Brief).[9] Außerdem ernannte er ein Hochrangiges Beratungsgremium für wirksamen Multilateralismus (High-level Advisory Board on Effective Multilateralism – HLAB). In dessen Bericht werden sechs transformative Veränderungen und damit verbundene Maßnahmen vorgeschlagen, die zusammen einen »Durchbruch für die Menschen und den Planeten«[10] ermöglichen sollen. Es gibt unter den Mitgliedstaaten aber noch keinen Konsens, welche Themen sie für den Zukunftspakt aufgreifen wollen.
Die Chancen für ambitionierte Reformen stehen auch aufgrund der geopolitischen Spannung nicht gut.
Am 21. September 2023 findet in New York ein Vorbereitungsgipfel auf ministerieller Ebene statt, bis zu dem die Themen des Zukunftspakts identifiziert sein sollen. Das Treffen findet im Anschluss an den Gipfel zur Halbzeitbilanz der Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals – SDGs) statt, sodass beide Gipfel aufeinander aufbauen können. Die Ko-Fazilitatoren haben einen Vorschlag für den Umfang und die Elemente des Paktes vorgelegt (siehe Abbildung 1). Sie lehnen sich dabei stark an die zwölf Verpflichtungen der ›UN75‹-Erklärung an und greifen gleichzeitig die meisten der vom Generalsekretär vorgeschlagenen Themen auf, die sie in vier Kapitel gruppieren.[11]
Kapitel 1: Nachhaltige Entwicklung und Finanzierung
Die Platzierung des Kapitels zu nachhaltiger Entwicklung und Finanzierung zu Beginn sendet ein klares Signal, dass der Zukunftspakt in den Dienst der Agenda 2030 gestellt wird und auch den schleppenden Prozess zur Entwicklungsfinanzierung positiv beflügeln soll. Dies entspricht den Forderungen vieler Entwicklungsländer, für die Entwicklung, Finanzen und Wirtschaft weiterhin die größten globalen Baustellen sind. Die diskutierten Vorschläge sind divers und – wie auch die Verhandlungen insgesamt – davon überschattet, dass Mitgliedstaaten den Ergebnissen des SDG-Gipfels nicht vorweggreifen wollen.
Die Themen reichen von Maßnahmen zu Entschuldung und fiskalischen Spielräumen über die Vorbeugung von Krisen bis hin zu einer umfangreichen Reform der internationalen Wirtschafts- und Finanzinstitutionen. Viele Optionen hierfür wurden mit einigem Detail im HLAB-Bericht diskutiert, und auch das Kurzdossier des Generalsekretärs wird sehr konkret.[12] Laufende Debatten im Kontext von Weltbankreform, Klimafinanzierung und dem Forum für Entwicklungsfinanzierung werden aufgegriffen und weitergeführt.
Die Analyse des Generalsekretärs und seines auch von Finanzfachleuten besetzten Beratungsgremiums ist klar: Die Finanzarchitektur ist überholt, wird aktuellen Bedürfnissen nicht gerecht und fördert durch die ungerechte Behandlung verschiedener Staatengruppen Ungleichheit. Damit zementiert sie Unterentwicklung, anstatt zu ihrer Überwindung beizutragen. Viele attestieren den Vorschlägen einen um-
fangreicheren Reformwillen, wenn es etwa um die Veränderung der Stimmrechte im Internationalen Währungsfonds (International Monetary Fund – IWF) oder der Weltbank mithilfe eines Bevölkerungsfaktors geht oder um die Einrichtung einer neuen globalen Schuldenautorität, die unabhängig von Gläubigern und Schuldnern agieren und den seit langem geforderten internationalen Rechtsrahmen für Staateninsolvenz entwickeln soll.[13] Das Kurzdossier allein enthält rund 50 Vorschläge, die sich in sechs Kapitel gliedern: globale Wirtschaftspolitik, Schulden, internationale öffentliche Finanzen, globales finanzielles Sicherheitsnetz, Kapitalmarktregulierung und internationale Steuerarchitektur.
Ein weiteres Thema sind neue globale Standards für die Wohlstandsmessung, die neben der Wirtschaftskraft auch soziale und umweltbezogene Indikatoren berücksichtigen. Wenn Aspekte, die für menschliches Wohlergehen, den Planeten und die Zukunft relevant sind, besser erfasst und gemessen werden, erwachsen daraus Anreize für ein Umsteuern. Das dazugehörige Kurzdossier zu ›Jenseits des Bruttoinlandsprodukts (BIP)‹ (›Beyond GDP‹) skizziert, wie der Zukunftspakt den Weg dafür bereiten soll, dass derartige globale Standards etabliert werden: durch eine politische Festlegung, technische und wissenschaftliche Ausarbeitung und Kapazitätenaufbau auf Ebene der Mitgliedstaaten.[14]
Kapitel 2: Frieden und Sicherheit
Die von Guterres vorgeschlagene ›Neue Agenda für den Frieden‹ (New Agenda for Peace) ist Mitte Juli 2023 erschienen.[15] Der Generalsekretär legt zwölf Empfehlungen vor, um Prävention zu stärken, systemische Konfliktursachen integrierter und neuartige Risiken frühzeitiger anzugehen und Friedensmissionen effektiver auszugestalten – auch unter Einbezug der Afrikanischen Union (AU). Guterres greift hier Vorschläge des HLAB-Berichts zur Regulierung künstlicher Intelligenz sowie von autonomen Waffensystemen auf. Die zwölfte Empfehlung ist der Stärkung der kollektiven Friedenssicherung gewidmet und umfasst Reformen des Sicherheitsrats und der Kommission für Friedenskonsolidierung (Peacebuilding Commission – PBC) sowie eine stärkere Nutzung der Generalversammlung, um unter anderem Abrüstung voranzubringen. Die Debatte über diese Vorschläge hat gerade erst begonnen.[16]
Kapitel 3: Digitale Kooperation
Unter der Ägide des neuen Technologiebeauftragten des Generalsekretärs wurden Vorschläge für einen Globalen Digitalpakt erarbeitet, den die Ko-Fazilitatoren aus Ruanda und Schweden verhandeln.[17] Das Kurzdossier beschreibt, dass der Pakt selbst Prinzipien, Ziele und eine Reihe von Aktivitäten definieren könne – etwa Fonds, Projekte, Datenbanken, Forschung.[18] Darüber hinaus wird vorgeschlagen, mittels einer neu zu schaffenden UN-Kommission die Zusammenarbeit der bestehenden Institutionen zu fazilitieren und damit bestehende Lücken in der Architektur der globalen Digital-Governance zu füllen. Ein jährliches Forum für digitale Zusammenarbeit soll die Beschlüsse nachhalten und gemeinsames Lernen ermöglichen. Des Weiteren schlägt Guterres vor, in Zeiten von gezielten Falschmeldungen einen Verhaltenskodex für mehr Integrität öffentlicher Informationen zu verabschieden.[19] Einige Entwicklungsländer setzen sich für einen breiteren thematischen Zuschnitt des Kapitels ein und wollen Technologietransfers in allen Bereichen hinzunehmen.
Guterres wirbt für eine Reihe von Prinzipien, die die Jugendbeteiligung auf internationaler und nationaler Ebene anleiten sollen.
Kapitel 4: Transformation des globalen Regierens für die Zukunft
Dem vierten Kapitel lassen sich die meisten der Vorschläge des Generalsekretärs zu innovativen Arbeitsmethoden der UN zuordnen. Einige Mitgliedstaaten wollen auch die ›klassischen‹ Reformen der Hauptorgane auf der Agenda sehen, also etwa des Sicherheitsrats, der Generalversammlung, des Wirtschafts- und Sozialrates (Economic and Social Council – ECOSOC) sowie des Sekretariats, während andere auf die bereits existierenden Prozesse verweisen. Im Folgenden soll es um jene Änderungsvorschläge zu den Arbeitsmethoden gehen, die auf Zukunftsthemen ausgerichtet sind.
Beim Thema Jugendbeteiligung geht es darum, den bereits getroffenen Beschluss zur Einrichtung eines Büros der Vereinten Nationen für Jugendfragen so zu ergänzen, dass junge Menschen möglichst inklusiv und ergebnisorientiert eingebunden werden können.[20] Der Generalsekretär wirbt für eine Reihe von Prinzipien, die die Jugendbeteiligung auf internationaler und nationaler Ebene anleiten sollen. Entsprechend ausgestaltete nationale Konsultationsgremien sollen die Basis für ein begleitetes UN-Jugendforum (›UN Youth Townhall‹) in New York sein, an dem Jugendliche aus aller Welt teilnehmen können sollen.
Bereits seit Sommer 2021 wird eine Erklärung zu zukünftigen Generationen zwischenstaatlich verhandelt.[21] Nun liegt das Kurzdossier des Generalsekretärs vor, und die Botschafterinnen der Niederlande und Jamaicas haben ein Eckpunktepapier erstellt.[22] Die Vorschläge sind alle darauf ausgerichtet, die Belange zukünftiger Generationen verstärkt in UN-Prozesse einzubeziehen. Während eine Staatenmehrheit dieses Anliegen unterstützt, äußern einige Besorgnis über Zielkonflikte mit den Bedürfnissen aktueller Generationen und es gibt auch keinen Konsens über das passende Format. In der Diskussion sind ein Sondergesandter, ein Bericht zu globalen Risiken, Zukunftslabore, Dialoge zur Vorausschau bis hin zu einem UN-Forum.
Auf jeden Fall sollen die UN auf zukünftige globale Schocks besser vorbereitet sein. Mit seinem Vorgehen beim nun mittlerweile nicht mehr verlängerten Schwarzmeerabkommen über die Ausfuhr von Getreide zwischen der Ukraine und Russland hatte der Generalsekretär verdeutlicht,[23] was er mit seiner Idee einer Notfallplattform anstrebt: keine neue Bürokratie, sondern wirksames und vernetztes Handeln unter Mitarbeit relevanter Akteure. Aber nicht alle Mitgliedstaaten wollen den UN-Apparat und seine Kooperation mit nichtstaatlichen Akteuren ausbauen. China, Russland, Pakistan und weitere G77-Staaten verweisen darauf, dass die UN eine zwischenstaatliche Organisation seien und daher Mitgliedstaaten das Sagen haben sollten, nicht das Sekretariat. Sie streben zumindest eine Kontrolle durch die Generalversammlung an.
Auch das Thema Stärkung der UN-Institutionen im Umweltbereich taucht im Vorschlag der Ko-Fazilitatoren für den Zukunftspakt auf. Der HLAB-Bericht beschreibt einen gesunden Planeten als »globales Gemeinschaftsgut« – ein Begriff, der von einzelnen Mitgliedstaaten zurückgewiesen wird. Vorgeschlagen wird ein »Pakt für Mensch und Planet« zur Lösung der Dreifachkrise – Klima, Biodiversität, Verschmutzung –, der bis zum Zukunftsgipfel entwickelt werden soll. Neben einer Aufwertung des UN-Umweltprogramms (Umweltprogramms der Vereinten Nationen – UNEP) und der Umweltversammlung (United Nations Environment Assembly – UNEA) wird unter anderem auch eine verbesserte Kreislaufwirtschaft als wichtiger Hebel empfohlen. Inhaltlich wurde all dies bislang noch nicht von den Mitgliedstaaten diskutiert. Jedoch wird die Aufwertung der Umweltgovernance von einigen Ländern als unausgewogen zurückgewiesen.
Weitere Vorschläge für einen effektiveren Multilateralismus sind in der Diskussion. Der Generalsekretär hatte bereits im OCA-Bericht notwendige Schritte hin zu einer ›UN 2.0‹ benannt: bessere Datenanalyse und Kommunikation; mehr Innovation und digitale Transformation; strategische Vorausschau; Leistungs- und Ergebnisorientierung.[24] Der HLAB-Bericht ruft nach einem »Multilateralismus, der den Menschen und den Planeten in den Mittelpunkt stellt«[25]. Allerdings wird dies kaum operationalisiert.
Die UN ›fit machen‹
Die Mehrheit der Mitgliedstaaten hat während der Verhandlungen klar gemacht, dass der Zukunftsgipfel auf dem SDG-Gipfel aufbauen solle. Auch der UN-Generalsekretär bezeichnet ›Unsere Gemeinsame Agenda‹ als Beschleuniger für die SDGs und spricht von den »Zwillingsgipfeln« (»twin summits«): Beim SDG-Gipfel könnten die Mitgliedstaaten festlegen, in welchen Bereichen sie vorangehen wollen, während sie beim Zukunftsgipfel die multilateralen Kapazitäten dafür stärken sollten. Entsprechend stellen alle Kurzdossiers Querbezüge zwischen den SDGs und den diskutierten Reformen heraus. Auch das Treffen der Ministerinnen und Minister am 21. September soll mit einem ›SDG-Moment‹ beginnen, der die Ergebnisse des SDG-Gipfels reflektiert.
Die Mehrheit der Mitgliedstaaten hat klar gemacht, dass der Zukunftsgipfel auf dem SDG-Gipfel aufbauen solle.
Während der Millenniumsgipfel im Jahr 2000 oder der Weltgipfel im Jahr 2005 auf UN-Reformen fokussierten, setzt die Agenda des Zukunftsgipfels weitere Schwerpunkte, wenn es etwa um Verhaltensänderungen auf nationaler Ebene oder um Reformen der internationalen Finanzarchitektur geht. Angesichts der aktuellen politischen Polarisierung dürfte der Zukunftsgipfel die UN kaum mit einem Schlag zum handlungsfähigen Manager multipler Krisen machen. Doch mit Hilfe kurz- und mittelfristig umsetzbarer Maßnahmen und längerfristiger Reformprozesse kann es gelingen, die Weltorganisation besser für die Krisenbearbeitung zu präparieren. Dafür sind noch viele Hürden zu überwinden.
Voraussichtlich wird der Zukunftspakt eine Mischung verschiedener Elemente sein. Erstens, Beschlüsse über sofort umzusetzende Veränderungen: Für welche Themen das erreicht werden kann, ist noch offen – eventuell die Deklaration zu zukünftigen Generationen oder Stärkung der PBC. Zweitens, Impulse für bereits laufende Prozesse, die mit neuem Impetus weitergeführt werden sollen – etwa für die klassischen UN-Reformen. Drittens, Beschlüsse zu neu angeschobenen UN-Prozessen, die jedoch auf frühere Verhandlungen oder Befunde aufbauen können – beispielsweise zum Globalen Digitalpakt, ›Beyond GDP‹.
Chance für eine proaktive und kohärente deutsche UN-Politik
Die Entscheidung, den Vorbereitungsprozess zu ko-fazilitieren, hat Deutschland ins New Yorker Rampenlicht gerückt. Im 50. Jahr der deutschen UN-Mitgliedschaft übernimmt die Ständige Vertreterin der Bundesrepublik gemeinsam mit ihrem namibischen Kollegen Verantwortung für einen Prozess, der viele Bereiche der Arbeit der Vereinten Nationen berührt. Deutschland kann in einem geopolitisch konfliktiven Umfeld mit Gewicht auftreten und zu dringend erforderlichen multilateralen Fortschritten beitragen. Das mag dann auch im Jahr 2026 der Bewerbung für einen nichtständigen Sitz im Sicherheitsrat zuträglich sein. In der nationalen Sicherheitsstrategie bekennt sich Deutschland zur Stärkung der Vereinten Nationen: Deutschland wolle sein Engagement fortentwickeln und sei bereit, global Verantwortung zu übernehmen.
Es wäre hilfreich, wenn die gesamte deutsche Bundesregierung diese Chance ergreifen würde. Sie sollte die ressortübergreifende Verständigung zu diesem Prozess nutzen, um eine künftig proaktivere UN-Politik aus einem Guss zu entwickeln und zu kommunizieren. In die inhaltlichen Debatten sollten auch der Haushaltsausschuss des Bundestags und das Finanzministerium früh einbezogen werden, denn in der Vergangenheit haben finanzielle Vorbehalte das deutsche Engagement für UN-Reformen ausgebremst. Für Deutschland als zweitgrößtem Beitragszahler, der im Jahr 2021 rund sechs Milliarden US-Dollar[26] aus verschiedenen Budgetlinien in die UN investierte, wäre es sinnvoll, auf Basis eines klaren UN-Profils Prioritäten zu setzen, wofür sich Deutschland mit Investitionen stark machen will.
Eine erste Chance hierfür ergibt sich in der hochrangigen Woche im September 2023, zu der Bundeskanzler Olaf Scholz und weitere Mitglieder des Kabinetts nach New York reisen. Anlässlich des 50. Jubiläums will Deutschland ein ›Deutsches Versprechen‹ (›German Pledge‹) vorlegen. Die damit verbundenen Zusagen sollten zum einen für ein glaubwürdiges Eintreten für die Agenda 2030 stehen, zum anderen für einen effektiven, vernetzten, inklusiven und damit zukunftsfähigen Multilateralismus.
[1] UN, UN75: The Future We Want, The UN We Need, www.un.org/sites/un2.un.org/files/2020/09/un75report_september_final_english.pdf
[2] Dieser Text baut auf einen vorherigen Beitrag der Autorinnen auf: »Summit of the Future« – Deutschland im Co-lead für die Vereinten Nationen, Der UN-Zukunftsgipfel 2024 als Chance und Herausforderung, SWP-Aktuell 2022/A 74, 2.12.2022, www.swp-berlin.org/publikation/summit-of-the-future-deutschland-im-co-lead-fuer-die-vereinten-nationen
[3] UN-Dok. A/RES/76/307 v. 12.9.2022.
[4] Siehe dazu auch das Interview mit Antje Leendertse, Ständige Vertreterin Deutschlands bei den Vereinten Nationen in New York, in diesem Heft.
[5] Siehe dazu auch den Beitrag von Christoph Heusgen und Sophie Eisentraut in diesem Heft.
[6] Siehe auch Marianne Beisheim, Konflikte in Verhandlungen zu UN-Reformen. Einsichten in den und aus dem Review des Hochrangigen Politischen Forums zu Nachhaltiger Entwicklung, SWP-Studie 2021/S 22, 9.12.2021, www.swp-berlin.org/publikation/konflikte-in-verhandlungen-zu-un-reformen
[7] Die Mitglieder der Gruppe variieren von Sitzung zu Sitzung. Sie umfasst meistens Ägypten, Algerien, Bolivien, Brasilien, Eritrea, Iran, Pakistan, Kuba, Russland, Syrien, Venezuela und Zimbabwe. Deren Ablehnung jeglicher inhaltlicher Verhandlungen vor dem SDG-Gipfel und ihr alleiniger Fokus auf zwischenstaatlichen Konsens kann auch als ›Spoilern‹ interpretiert werden.
[8]Coalition for the UN We Need: Interim People’s Pact for the Future. 2023 Civil Society Perspectives on the Summit of the Future, c4unwn.org/wp-content/uploads/2023/05/Interim-Peoples-Pact-for-the-Future-Compressed.pdf; Civil Society Financing for Development (FfD) Group, Missing the Forest for the Trees. Response by the Civil Society FfD Mechanism to the SG’s Our Common Agneda Policy Brief 6 on ›Reforms to the International Financial Architecture‹, csoforffd.files.wordpress.com/2023/07/ffd-14.pdf
[9] Alle im Folgenden genannten Kurzdossiers finden sich hier: United Nations, Common Agenda, Policy Briefs, www.un.org/en/common-agenda/policy-briefs
[10] HLAB, A Breakthrough for People and Planet, highleveladvisoryboard.org/breakthrough/
[11] Das stellt nur den vorläufigen Stand dar (Juli 2023), da die Verhandlungen noch nicht abgeschlossen sind.
[12] UN, Our Common Agenda, Policy Brief 6, Reforms to the International Financial Architecture, siehe auch Civil Society Financing for Development (FfD) Group, a.a.O. (Anm. 8).
[13] Bodo Ellmers, Reforming the International Financial Architecture: UN Secretary-General Suggests Comprehensive Reform Package, Global Policy Forum, 13.6.2023, www.globalpolicy.org/en/news/2023-06-13/reforming-international-financial-architecture-un-secretary-general-suggests
[14] UN, Policy Brief 4, Valuing What Counts: Framework to Progress Beyond Gross Domestic Product.
[15] UN, Our Common Agenda, Policy Brief 9, A New Agenda for Peace.
[16] Gowan, Richard, What’s New about the UN’s New Agenda for Peace?, International Crisis Group, 19.7.2023, www.crisisgroup.org/global/whats-new-about-uns-new-agenda-peace sowie Richard Ponzio/Nudhara Yusuf, Will the New Agenda for Peace and Summit of the Future Transform the UN?, PassBlue, 20.6.2023, www.passblue.com/2023/06/20/will-the-new-agenda-for-peace-and-summit-of-the-future-transform-the-un/
[17] President of the UN General Assembly, 27.10.2022, www.un.org/pga/77/wp-content/uploads/sites/105/2022/10/Letter-from-the-PGA-OCA-Global-Digital-Compact-Co-facs.pdf
[18] UN, Our Common Agenda, Policy Brief 5, A Global Digital Compact – an Open, Free and Secure Digital Future for All.
[19] Ebd., Policy Brief 8, Information Integrity on Digital Platforms.
[20] Ebd., Our Common Agenda, Policy Brief 3, Meaningful Youth Engagement in Policy and Decision-making Processes.
[21] Ebd., Policy Brief 1, To Think and Act for Future Generations.
[22] Ebd., Policy Brief 1, To Think and Act for Future Generations sowie UN, General Assembly of the United Nations, President of the 77th Session, Letter from the President of the General Assembly – Issues Paper for the Declaration on Future Generations, www.un.org/pga/77/2023/07/18/letter-from-the-president-of-the-general-assembly-issues-paper-for-the-declaration-on-future-generations/
[23] Hier gelang es dem UN-Generalsekretär, Expertise aus UN-System, Privatsektor und Zivilgesellschaft zu humanitären, entwicklungspolitischen und logistischen Fragen zu bündeln.
[24] Das Kurzdossier zu UN 2.0 lag zum Redaktionsschluss noch nicht vor.
[25] HLAB, Rebuild Trust in Multilateralism, Shift 1, S. 13, highleveladvisoryboard.org/breakthrough/
[26] Deutscher Bundestag, Drucksache 20/6247, 29.3.2023, www.bundestag.de/presse/hib/kurzmeldungen-942282