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Standpunkt | Inklusion statt Systemkonkurrenz

Dr. Pascal Abb ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens und Konfliktforschung (HSFK), Prof. Dr. Hanna Pfeifer und Prof. Dr. Jonas Wolff arbeiten ebenfalls an der HSFK sowie an der Goethe-Universität Frankfurt. Sie argumentieren, dass es im UN-Kontext kontraproduktiv wäre, einen globalen Konflikt zwischen Demokratien und Autokratien zu forcieren.

Eine Hand steckt einen gefalteten Zettel in eine Wahlurne.
Nahaufnahme einer Wahlurne während der 32. Sitzung der Vertragsstaaten des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen. Foto: UN Photo/Manuel Elías

In Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine befindet sich die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik derzeit im Stadium einer Neuorientierung. Ein prominentes Element ist dabei die Diagnose, dass der russische Angriff auf den autoritären Charakter des dortigen Regimes zurückzuführen sei; umgekehrt könne der internationale Frieden nur von (liberalen) Demokratien garantiert und verteidigt werden. Auch die jüngsten Strategiedokumente der Nordatlantikvertrags-Organisation (NATO) und der USA sind vom Narrativ einer Zweiteilung der Welt in friedliebende Demokratien und aggressive Autokratien geprägt. Es geht dabei nicht nur um die Einordnung und Erklärungsversuche des russischen Angriffskriegs und unmittelbare Unterstützung westlicher Staaten für die Ukraine. Vielmehr steht die Frage im Raum, wie man sich am besten für eine regelbasierte, friedliche internationale Ordnung einsetzt – deren Aufrechterhaltung ein Hauptzweck der Vereinten Nationen ist. Ist auch auf dieser Ebene ein offener Systemwettbewerb zwischen Demokratien und Autokratien angezeigt oder ist dessen Logik mit dem universalen, bewusst regimeübergreifenden Charakter der UN unvereinbar?

Erstens ist offensichtlich: Sortiert man die UN-Mitgliedstaaten nach Regimetypus, bilden die Demokratien eine klare Minderheit. Dem Demokratiebericht im Jahr 2022 des V-Dem-Instituts zufolge umfasst der Club der liberalen Demokra­tien ganze 34 Staaten, die zusammen 13 Prozent der Weltbevölkerung repräsentieren. Addiert man die ›elektoralen Demokratien‹, kommt man auf 89 Staaten und 29 Prozent der Weltbevölkerung. Nicht zufällig haben sich deshalb die westlichen Regierungen im Rahmen der UN-Generalversammlung für eine breite, regimeübergreifende Allianz gegen den russischen Angriffskrieg eingesetzt. Wiederum nach den Regimekategorien von V-Dem stimmten je rund 40 autoritär regierte Staaten für die bisher drei Resolutionen zur Verurteilung Russlands (ES-11/1, ES-11/2, ES-11/4). Zwischen neun und 20 Demokratien stimmten den Resolutionen übrigens nicht zu.

Zweitens und damit zusammenhängend: Weil die weltweiten Mehrheitsverhältnisse sind, wie sie sind, und im Sicherheitsrat bekanntlich sowohl China als auch Russland über ein Vetorecht verfügen, richteten sich frühere Debatten um eine ›Allianz der Demokratien‹ weniger auf als vielmehr gegen die Vereinten Nationen. Diese Konzepte, wie sie vor allem in den USA nach dem 11. September 2001 diskutiert wurden, sollten eine exklusive Alternative zum UN-System darstellen und waren deshalb weder mit der Vorstellung einer multilateralen Weltordnung noch der kollektiven Bearbeitung globaler Herausforderungen kompatibel.

Drittens: Wettbewerb in den UN sollte nicht zwischen umfassenden Systementwürfen gedacht werden, sondern zwischen konkreten Lösungsvorschlägen für Fragen von globaler Dimension. Hier erzeugt eine Fixierung auf Regimetypen nur den Eindruck, dass für westliche Staaten ideologische statt praktische Fragen im Vordergrund stehen, während letztere gerade in Staaten des Globalen Südens aktuell sehr viel wichtiger sind, etwa die Anpassung an den Klimawandel. Speziell China bedient diese Felder bereits mit eigenen Vorschlägen und starkem Engagement in zahlreichen UN-Organisationen, wodurch es zunehmend in die Rolle eines Normenmachers wächst und zur plausibelsten Quelle alternativer, nichtliberaler Ordnungsansätze geworden ist. Der Umgang mit diesen Ideen erfordert eine detaillierte Auseinandersetzung auf der Sachebene statt einer reflexhaften Ablehnung aufgrund ihres autoritären Ursprungs.

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