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Rüstungskontrolle und Abrüstung in schwierigen Zeiten

Die Krise der bilateralen nuklearen Rüstungskontrolle zwischen Russland und den USA hat auch Auswirkungen auf die Handlungsfähigkeit der Vereinten Nationen. Dies zeigt sich etwa in einzelnen Gremien, aber auch bei multilateralen Abkommen der Rüstungskontrolle und Abrüstung.

Die Plastik ›Gut besiegt Böse‹ vor der Skyline von Queens zum Sonnenaufgang.
Die Plastik ›Gut besiegt Böse‹ von Surab Zerezeli stellt die Tötung eines Drachens - bestehend aus Resten sowjetischer SS-20- und amerikanischer Pershing-II-Raketen - durch den Heiligen Georg dar. Sie war ein Geschenk der Sowjetunion an die Vereinten Nationen zu deren 45. Jahrestag. UN Photo: Manuel Elias

Die bilateralen Beziehungen zwischen Russland und den USA sind im Hinblick auf die Rüstungskontrolle und Abrüstung an einem neuen Tiefpunkt angekommen. Der Vertrag zwischen den USA und Russland über die Beseitigung ihrer landgestützten Flugkörper mittlerer und kürzerer Reichweite (INF-Vertrag) gilt seit dem Jahr 2019 zwischen Russland und den USA als beendet, der Vertrag zwischen beiden Staaten über Maßnahmen zur weiteren Reduzierung und Begrenzung der strategischen Offensivwaffen (Neuer START-Vertrag) läuft im Jahr 2021 aus. Dies hat auch Auswirkungen auf die multilaterale Rüstungskontrolle und Abrüstung in den Vereinten Nationen. Zentrale Akteure in der Rüstungskontrolle stellen die Nützlichkeit der vorhandenen Abkommen zunehmend infrage oder kehren ihnen, wie im Fall der USA und des Vertrags über den Waffenhandel (Arms Trade Treaty – ATT) gar den Rücken. Die Bemühungen, in der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (Organization for the Prohibition of Chemical Weapons – OPCW) einen gemeinsamen investiga­tiven Mechanismus zu installieren, werden von Russland strikt abgelehnt. Auch die vierwöchige Sitzung des Ersten Ausschusses der UN-Generalversammlung für Abrüstung und internationale Sicherheit im Oktober 2019 spiegelte die Zerrissenheit der internationalen Staatengemeinschaft wider. Gleiches gilt für die Genfer Abrüstungskonferenz (Conference on Disarmament – CD) und die Abrüstungskommission (Disarmament Commission – DC) – beide Institutionen konnten sich im Jahr 2019 nicht auf eine gemeinsame Agenda einigen. Im Fall der CD zieht sich diese Verhandlungsunfähigkeit schon seit Jahrzehnten hin.[1]

Viel Misstrauen

UN-Generalsekretär António Guterres betonte in einer Rede im Februar 2019 vor der Genfer Abrüstungskonferenz, dass zentrale Eckpfeiler der globalen Architektur für Rüstungskontrolle und Abrüstung zu kollabieren drohen.[2] Er verwies unter anderem auf die wiederholten Einsätze von geächteten Chemiewaffen in Syrien, die bislang von der internationalen Staatengemeinschaft ungeahndet blieben und die das Übereinkommen über das Verbot der Entwicklung, Herstellung, Lagerung und des Einsatzes chemischer Waffen und über die Vernichtung solcher Waffen (Chemical Weapons Convention – CWC) vor große Herausforderungen stellen. Die Abrüstungsmaschinerie der Vereinten Nationen sei ein Spiegel der internationalen Sicherheitsbeziehungen, betonte die Hohe Beauftragte für Abrüstungsfragen Izumi Nakamitsu in ihrer Eröffnungsrede der 74. Sitzung des Ersten Ausschusses der UN-Generalversammlung.[3] Zum ersten Mal seit dem Jahr 2005 sei die Abrüstungskonferenz nicht in der Lage gewesen, eine substanzielle Sitzung zu Wege zu bringen. Auch der Erste Ausschuss war zu Beginn seiner letzten Sitzungsperiode mit der Frage von nicht genehmigten Einreisevisa für Diplomatinnen und Diplomaten aus Iran und Russland befasst. Staaten der ehemaligen Blockfreienbewegung (Non-Aligned Movement – NAM) forderten deshalb, die Ausschusssitzungen künftig zu verlegen, um nicht länger von den USA und ihren Einreisebestimmungen abhängig zu sein. Russland ließ deshalb auch einen Verhandlungsvorschlag abstimmen, der die Sitzung des Ersten Ausschusses für das Jahr 2020 nach Genf oder Wien verlegen sollte.[4]

Es sind vor allem die Beziehungen zwischen den Großmächten, die von Misstrauen und einem zunehmend offen feindlichem Verhalten geprägt sind. Vor allem das Verhältnis zwischen Russland und den USA ist in Fragen der Rüstungskontrolle und Abrüstung auf einem neuen Tiefpunkt angekommen, sodass nicht nur Guterres bereits von einem neuen »Kalten Krieg« spricht. Dies kommt auch in wachsender Militarisierung und deutlich erhöhten Verteidigungsausgaben dieser Staaten zum Ausdruck.[5] Gleichzeitig wird die multilaterale Rüstungskontrolle und Abrüstung durch eine qualitativ neuwertige Dimension des Wettrüstens herausgefordert. Dies gilt neben dem Bereich der künstlichen Intelligenz vor allem für die konventionelle Bewaffnung im Bereich der Raketentechnologie mit Überschallgeschwindigkeit (hypersonic weapons) oder auch für das Wettrüsten im Weltraum. In beiden Bereichen hat es schon während des Ost-West-Konflikts Rüstungswettläufe zwischen Russland und den USA gegeben. Inzwischen gibt es eine neue Dimension des Wettrüstens, an der teilweise auch China beteiligt ist.

Die multilaterale Rüstungskontrolle und Abrüstung hat einen festen Platz in der Sicherheitsarchitektur der UN.

Die multilaterale Rüstungskontrolle und Abrüstung hat einen festen Platz in der Sicherheitsarchitektur der UN. Sie ist ein zentraler Eckpfeiler des kollektiven Systems für Sicherheit und Frieden. Wichtige Abkommen und Verträge sind im Bereich der Massenvernichtungswaffen in den UN geschlossen worden: Der Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons – NPT) im Jahr 1968, das Übereinkommen über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung biologischer Waffen und von Toxinwaffen (Biological and Toxin Weapons Convention – BWC) sowie über die Vernichtung solcher Waffen im Jahr 1972 oder das CWC im Jahr 1993. Drei Jahre später wurde der Vertrag über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen (Comprehensive Nuclear-Test-Ban Treaty – CTBT) abgeschlossen, der allerdings bis heute nicht in Kraft getreten ist. Mit dem Ende des Ost-West-Konflikts veränderte sich das weltweite Konfliktgeschehen, Klein- und Leichtwaffen wurden vor allem in innerstaatlichen Konflikten zum zentralen Gewaltmittel. Im Jahr 2001 haben die UN-Mitgliedstaaten deshalb ein Aktionsprogramm zur Bekämpfung der illegalen Verbreitung von Klein- und Leichtwaffen initiiert, im Jahr 2014 trat der ATT in Kraft. Zwei weitere wichtige Abkommen zur Ächtung von ganzen Waffenkategorien wurden außerhalb der UN geschlossen: Das Übereinkommen über das Verbot des Einsatzes, der Lagerung, der Herstellung und der Weitergabe von Antipersonenminen und über deren Vernichtung im Jahr 1997 sowie das Übereinkommen über Streumunition (Convention on Cluster Munitions – CCM) im Jahr 2008. Beide Abkommen unterstreichen die Erfolgsgeschichte der multilateralen Rüstungskontrolle in und auch jenseits der UN.

Abrüstungsagenda des UN-Generalsekretärs

Im Jahr 2018 hat UN-Generalsekretär Guterres die vier Pfeiler seiner Abrüstungsagenda für das 21. Jahrhundert vorgestellt, um die Rüstungskontrolle und Abrüstung wieder verstärkt in den Fokus der internationalen Organisation zu stellen.[6] Rüstungskontrolle und vor allem auch Abrüstung bleiben zentrale Eckpfeiler des kollektiven Sicherheitssystems der Vereinten Nationen und sollen gleichzeitig sowohl staatliche als auch menschliche Sicherheit garantieren. Die erste Säule zielt auf die Eliminierung von Kernwaffen und die Verhinderung von Einsätzen von durch die beiden Übereinkommen verbotenen chemischen und biologischen Waffen. Ziel muss es laut Guterres sein, die weitere Erosion der Verbotstatbestände der CWC zu verhindern und stattdessen Mechanismen der Nachverfolgung und Verantwortlichkeit für die Einsätze von Chemiewaffen im Syrienkonflikt im Rahmen der OPCW einzurichten. Die Umsetzung der BWC muss vorangetrieben werden und gleichzeitig gilt es, ein Wettrüsten im Weltraum auch durch geeignete Formen der Vertrauensbildung und Rüstungskontrolle zu verhindern.

Auch im Jahr 2019 zeigte sich die Abrüstungsmaschinerie der Vereinten Nationen blockiert.

Die zweite Säule will sich dem weltweiten Überangebot an konventionellen Waffen widmen, vor allem Klein- und Leichtwaffen und der dazugehörigen Munition. Hier gilt es, überschüssige Lagerbestände zu identifizieren, abzurüsten und zu zerstören und bestehende Arsenale in Militär und Polizei angemessen zu sichern. Die dritte Säule der Abrüstungsagenda nimmt neue Waffentechnolo­gien in den Blick: Künstliche Intelligenz in der Waffentechnik und Fragen der Cybersicherheit machen neue Formen der Rüstungskontrolle und Abrüstung notwendig. Die Abrüstung für künftige Generationen blickt aber auch auf veränderte Formen der Kriegsführung – dazu gehören Praktiken staatlicher wie nichtstaatlicher Akteure, den Krieg in Städten auszutragen und zivile Opfer billigend in Kauf zu nehmen. Mit der vierten Säule der Abrüstungsagenda wollen die UN verstärkt die Zusammenarbeit mit Regierungen, der Zivilgesellschaft und dem privaten Sektor suchen.

Erster Ausschuss der UN-Generalversammlung

Die Abrüstungsmaschinerie der UN zeigte sich auch im Jahr 2019 blockiert. Eine Ausnahme bildet der Erste Ausschuss, weil er nach den Abstimmungsmodalitäten der Generalversammlung operiert, nach denen Abstimmungen mit Mehrheitsverhältnissen möglich sind. Im Ersten Ausschuss kamen die unterschiedlichen Prioritäten der Staaten rasch zum Ausdruck. Während für Russland und andere Staaten die Verhinderung des Wettrüstens im Weltraum ein wichtiges Thema ist, drängen vor allem westliche Staaten darauf, die CWC in ihrer Glaubwürdigkeit zu stärken.

Resolution zum Chemiewaffenübereinkommen

Seit dem Jahr 2014 ist die Resolution zur Umsetzung der CWC umstritten. In den jährlichen Resolutionen des Ersten Ausschusses finden sich die konkreten Vertragsverletzungen, etwa die Einsätze von Chemiewaffen in Syrien. Auch im Jahr 2019 musste über fünf Absätze – die Präambel und vier operative Absätze – gesondert abgestimmt werden.[7] Die große Mehrheit der Staatengemeinschaft stimmte für die Resolution und die umstrittenen Absätze. Der operative Absatz 2 listet weitere Verdachtsfälle von Chemiewaffeneinsätzen in Irak, Malaysia und bei den Nowitschok-Anschlägen in Großbritannien auf. Darin werden auch die Berichte des Gemeinsamen Investigativen Mechanismus (Joint Investigative Mechanism – JIM) erwähnt. Drei weitere umstrittene Absätze befassen sich mit den Chemiewaffeneinsätzen in Syrien. Vor allem Russland, Syrien selbst, aber auch zahlreiche andere NAM-Staaten stimmten dagegen. Iran, Nicaragua und Venezuela zweifelten die Unabhängigkeit der Untersuchungskommission an und Malaysia wünschte sich einen zurückhaltenden Umgang mit den Ergebnissen. Zahlreiche Staaten bemängelten die zunehmende Politisierung und Ausdehnung des Mandats der OPCW. China verwies darauf, dass es auch die USA bislang versäumt hätten, ihre Chemiewaffenbestände vollständig zu zerstören.

Verhinderung eines Wettrüstens im Weltraum

Vielleicht ist gerade dieser Themenbereich der präventiven Rüstungskontrolle paradigmatisch für die Zerstrittenheit der Großmächte. Traditionell haben China, Russland gemeinsam mit den USA eine Resolution zu Transparenz und Vertrauensbildung im Weltraum eingebracht. Im Jahr 2019 haben sowohl die USA zusammen mit Großbritannien als auch China und Russland ihre jeweils eigenen Resolutionen präsentiert. Beide Resolutionen heben die Bedeutung des Ausschusses für die friedliche Nutzung des Weltraums (Committee on the Peaceful Uses of Outer Space – COPUOS) hervor. Während die Resolution von Großbritannien und den USA dem UN-Generalsekretär die Koordinierung der unterschiedlichen Diskussionsforen in den UN überlassen möchte, bedauert die chinesisch-russische Resolution das Unvermögen der Abrüstungskommission, sich auf eine Agenda zu einigen. Russland und China brachten auch eine weitere Resolution in den Ersten Ausschuss ein, die ihr Bedauern über das Scheitern einer gemeinsamen Abschlusserklärung der Regierungssachverständigengruppe zur Verhinderung eines Wettrüstens im Weltraum im Jahr 2019 zum Ausdruck brachte. Zu unterschiedlich sind die politischen Interessen zwischen den Großmächten, vor allem die US-Regierung unter Präsident Donald Trump treibt die Entwicklung zur Bewaffnung im Weltraum voran.[8]

Explosive Waffen in bewohnten Gebieten

Im Mai 2019 veröffentlichte der UN-Generalsekretär seinen Bericht zum Schutz der Zivilbevölkerung in bewaffneten Konflikten.[9] Darin bemängelte er, dass in den vergangenen 20 Jahren Zivilpersonen nahezu unverändert die Hauptlast von Gewaltkonflikten zu tragen hätten. Attacken auf medizinisches Personal seien Alltagsgeschehen im Kriegshandeln, genauso wie das gezielte Aushungern der Bevölkerung oder gezielte Luftangriffe auf zivile Infrastruktur.

Das besondere humanitäre Leid verursacht durch Bomben und andere Sprengstoffe hat zur neuen diplomatischen Initiative ›Explosive Waffen in bewohnten Gebieten‹ (EWIPA) von mehr als 70 gleichgesinnten Staaten und dem Netzwerk an nichtstaatlichen Organisationen (NGOs) zu explosiven Waffen (INEW) geführt. Nach einer Auftaktkonferenz in Wien hat es bislang zwei Regierungskonsultationen in Genf und Dublin gegeben.[10] Die Konsultationen sind Teil eines diplomatischen Prozesses unter Federführung Irlands, an dessen Ende die Verabschiedung einer politischen Deklaration stehen soll, die vorhandenes Völkerrecht stärkt, bewährte Verfahrensweisen benennt und humanitäre Hilfe verspricht. Sie folgt dem diplomatischen Modell des Antipersonenminen-Übereinkommens oder des Übereinkommens über Streumunition mit dem Unterschied, dass eine Ächtung von Waffenkatego­rien nicht das erklärte Ziel sein wird, wohl aber Einsatzempfehlungen und -begrenzungen von explosiven Waffen. Unterschiedslose Bombardements und erst recht der gezielte Beschuss der Zivilbevölkerung in Städten verstoßen gegen das humanitäre Völkerrecht, unter anderem gegen die Genfer Abkommen. Insbesondere in asymmetrischen Konflikten greifen Staaten Städte mit dem Argument an, gegen nichtstaatliche Gruppierungen wie Milizen vorzugehen. In den Konsultationen taten sich schnell Unterschiede zwischen Staaten und NGOs auf. Während für letztere die Auswirkungen, also das menschliche Leid und humanitäre Anliegen, im Vordergrund stehen sollte, konzentrieren sich Staaten vor allem auf die Frage der Intentionalität. Handelt es sich bei dem Einsatz von Sprengstoffen um einen gezielten Angriff oder um einen ›Kollateralschaden‹?

Nationale Fortschrittsberichte können sich viel stärker an den unterschiedlichen Problemlagen der illegalen Kleinwaffenverbreitung orientieren.

Die EWIPA-Initiative war auch im letzten Jahr Thema im Ersten Ausschuss. Zahlreiche Staaten, unter ihnen die Länder der Europäischen Union (EU), aber auch Ecuador, Ghana, Malaysia, Neuseeland und Nigeria, betonten die Notwendigkeit der vollständigen Einhaltung des humanitären Völkerrechts kriegführender Staaten. Russland und die USA äußerten ihre Skepsis gegenüber der neuen diplomatischen Initiative. Die USA argumentierten, dass die Stigmatisierung oder gar ein Verbot von explosiven Waffen in dicht besiedelten Gebieten Kriegsakteure mit schlechten Absichten geradezu einladen würden, Zivilpersonen als »menschliche Schutzschilde« zu missbrauchen.[11]

Klein- und Leichtwaffen

Im Jahr 2020 steht erneut ein Staatentreffen zur Umsetzung des Aktionsprogramms zur Verhinderung, Bekämpfung und Ausrottung des unerlaubten Handels mit Kleinwaffen und leichten Waffen in allen seinen Aspekten (UN Programme of Action to Prevent, Combat and Eradicate the Illicit Trade in Small Arms and Light Weapons in All Its Aspects – UNPoA) an. Ziel dieses Staatentreffens ist es, die Umsetzung des UNPoA vor allem auf der regionalen, subregionalen, nationalen und lokalen Ebene zu verbessern. Die Frage der Einbeziehung von Munition war bei der Überprüfungskonferenz im Jahr 2018 der große Streitpunkt. Am Ende konnte die gemeinsame Abschlusserklärung nur gerettet werden, indem über die zwei strittigen Absätze getrennt abgestimmt wurde. Damit konnte sich die große Staatenmehrheit gegen den Widerstand von wenigen Ländern, unter ihnen die USA, in ihrem fast 20-jährigen Anliegen durchsetzen, auch die Munition in den Geltungskreis der Rüstungskontrolle, Abrüstung und der illegalen Verbreitung von Klein- und Leichtwaffen einzubeziehen.[12] Das UNPoA war im Jahr 2001 mit dem Ziel verhandelt worden, die illegale Verbreitung von Klein- und Leichtwaffen zu bekämpfen. Neue Zahlen zeigen allerdings, dass gegenwärtig mehr Kleinwaffen produziert als vernichtet werden.[13]

Die jährliche umfangreiche Resolution zum unerlaubten Handel mit Kleinwaffen und leichten Waffen unter allen Aspekten wurde zwar im Ersten Ausschuss von allen Staaten ohne Abstimmung angenommen, allerdings bestanden einige Länder auf eine getrennte Abstimmung von drei Absätzen. Unter anderem stimmten Israel und die USA gegen eine Formulierung in der Präambel, die die Ergebnisse der dritten Überprüfungskonferenz im Jahr 2018 begrüßt. Auch hier dürfte der Grund in der Einbeziehung von Munition liegen. Die Frustration über die langsamen Umsetzungsfortschritte des UNPoA und des im Jahr 2005 zusätzlich verabschiedeten Instruments zum Markieren und Nachverfolgen von Klein- und Leichtwaffen (International Tracing Instrument – ITI) hat Guterres dazu veranlasst, im Jahr 2019 einen Bericht zur wirkungsvollen Bekämpfung des illegalen Handels mit Klein- und Leichtwaffen zu veröffentlichen, der konkrete Maßnahmen zur nationalen Umsetzung vorsieht. Beispielsweise soll eine Diskussion über freiwillige nationale Zielvorgaben für Rüstungskontrolle und Abrüstung im Juni 2020 in New York fortgesetzt werden.[14] Solche nationalen Fortschrittsberichte, die ähnlich wie die Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals – SDGs) wichtige Ziele über einen gewissen Zeitraum festschreiben, können sich viel stärker an den regional sehr unterschiedlichen Problemlagen der illegalen Kleinwaffenverbreitung orientieren.

Internationaler Waffenhandel

Izumi Nakamitsu wies in ihrer Begrüßungsrede auf der fünften ATT-Staatenkonferenz im August 2019 in Genf darauf hin, dass sich der weltweite konventionelle Waffenhandel seit Inkrafttreten des ATT weiter intensiviert hätte. Die Hoffnung vieler Staaten, unter anderem afrikanischer Länder, dass der Handel mit konventionellen Waffen weltweit reduziert wird, hat sich bislang nicht erfüllt. Im Jahr Fünf seines Bestehens zeigen sich bereits Ermüdungserscheinungen – diese betreffen vor allem die Berichtspflicht, aber auch die Zahlung der Mitgliedsbeiträge. Den Weg, den europäische Staaten nun befürworten, nämlich Staaten, die nicht kooperieren, von den ATT-Unterstützungsmaßnahmen auszuschließen oder ihnen gar das Stimmrecht zu entziehen, läuft in die falsche Richtung. Der regelmäßige Informationsaustausch auf derartigen Staatenkonferenzen ist gerade für solche Länder wichtig, die Rüstungsgüter importieren oder lediglich als Transitland fungieren. Das globale NGO-Netzwerk ›Control Arms‹ warnt vor einer weiteren Erosion der Glaubwürdigkeit des internationalen Waffenhandelsvertrags. Die Kritik entzündet sich vor allem an westlichen Mitgliedstaaten, die gegen die Normen des ATT verstoßen, indem sie weiterhin Waffen und Rüstungsgüter an Mitgliedstaaten der Kriegskoalition in Jemen liefern, die ihrerseits mit den unterschiedslosen, luftgestützten Bom­bardements humanitäres Völkerrecht verletzen.[15] NGOs kritisieren, dass Staaten die ATT-Kriterien nur selektiv befolgen würden – langfristig würde dadurch die Effektivität dieses wichtigen globalen Vertrags geschwächt.[16] Bislang haben 104 Staaten den internationalen Waffenhandelsvertrag ratifiziert, 33 haben ihn unterzeichnet. US-Präsident Trump hatte im Mai 2019 angekündigt, den ATT wieder zu verlassen.[17]

Ein kleiner Lichtblick

Die Krise der bilateralen nuklearen Abrüstungsbeziehungen zwischen Russland und den USA haben auch Auswirkungen auf die Handlungsfähigkeit der Institutionen für Rüstungskontrolle und Abrüstung in den UN. Die Trump-Regierung steht der multilateralen Rüstungskontrolle und Abrüstung insgesamt skeptisch gegenüber. Dies offenbart sich auch in der konventionellen Rüstungskontrolle. Der Austritt der USA aus dem ATT ist das wohl sichtbarste Zeichen dafür.

Doch es gibt auch Anlass zur Hoffnung, wenngleich der Hintergrund der Initiative ein beklagenswerter ist. EWIPA möchte den Einsatz von explo­siven Waffen in dicht besiedelten Gebieten wie Städten regulieren und vorhandenes humanitäres Völkerrecht stärken. Gerade die humanitäre Rüstungskontrolle mit der Stigmatisierung von Waffenkategorien wie den Antipersonenminen und der Streumunition hat modellhaft gezeigt, dass es enge thematische Überschneidungen zwischen dem Schutz der Zivilbevölkerung und der Rüstungskontrolle gibt. Allerdings werden vermutlich bestenfalls Einsatzbeschränkungen und -regulierungen zu erwarten sein. Immerhin würde eine solche von zahlreichen Staaten verabschiedete politische Deklaration den NGOs, vor allem den humanitären Hilfsorganisationen in dicht besiedelten Gebieten in Konfliktregionen wie Syrien oder Jemen, die Möglichkeit bieten, noch stärker ein öffentliches Benennen und Verurteilen zu betreiben. Für die multilaterale Rüstungskontrolle und Abrüstung in den Vereinten Nationen zeigt sich mit dieser diplomatischen Initiative, wie wichtig die UN als Forum auch weiterhin bleiben.

 

[1] Reaching Critical Will, United Nations Disarmament Commission, www.reachingcriticalwill.org/disarmament-fora/others/dc

[2] António Guterres, Remarks Before the Conference on Disarmament, 25.2.2019, www.un.org/sg/en/content/sg/speeches/2019-02-25/remarks-the-conference-disarmament

[3] Izumi Nakamitsu, Opening Statement to the First Committee of the General Assembly at Its 74th Session, 10.10.2019, www.un.org/disarmament/wp-content/uploads/2019/10/Opening-statement-to-the-First-Committee-74th-General-Assembly.pdf

[4] Ray Acheson, Through the Smoke, We See the Fire, First Committee Monitor, 17. Jg., 1/2019, S. 1. Die Entscheidungsvorlage L.57/Rev.1 wurde mit 18 Ja-Stimmen, 69 Nein-Stimmen und 72 Enthaltungen abgelehnt. Siehe dazu Ray Acheson, Multilateralism, First Committee Monitor, 17. Jg., 6/2019, S. 24–26.

[5] Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI), Military Expenditure by Country 1988–2018, www.sipri.org/sites/default/files/Data%20for%20all%20countries%20from%201988%E2%80%932018%20in%20constant%20%282017%29%20USD%20%28pdf%29.pdf

[6] UN Office for Disarmament Affairs (UNODA), Securing Our Common Future. An Agenda for Disarmament, New York 2018, www.un.org/disarmament/publications/more/securing-our-common-future/

[7] Allison Pytlak, Chemical Weapons, First Committee Monitor, 17. Jg., 6/2019, S. 8–9.

[8] Jessica West, Outer Space, First Committee Monitor, 17. Jg., 4/2019, S. 25.

[9] UN Doc. S/2019/373 v. 7.5.2019.

[10] Reaching Critical Will, Reports From the Political Declaration Process on Explosive Weapons in Populated Areas, reachingcriticalwill.org/disarmament-fora/ewipa/political-declaration/reports

[11] Laura Boillot, Explosive Weapons in Populated Areas, First Committee Monitor, 17. Jg., 4/2019, S. 18.

[12] Simone Wisotzki, »Es ist die Munition, die tötet, nicht die Waffe allein«: Zwei Wochen Verhandlungen zur Überprüfung des Kleinwaffenaktionsprogramms, HSFK, 16.7.2018, blog.prif.org/2018/07/16/es-ist-die-munition-die-toetet-nicht-die-waffe-allein-zwei-wochen-verhandlungen-zur-ueberpruefung-des-kleinwaffenaktionsprogramms/

[13] Aaron Karp, Estimating Global Civilian-Held Firearms Numbers, Small Arms Survey Briefing Paper, Juni 2018.

[14] UN Doc. A/74/187 v. 17.7.2019.

[15] Simone Wisotzki, Violating the Arms Trade Treaty. Arms Exports to Saudi Arabia and the Humanitarian Crisis in Yemen, PRIF Spotlight 1/2018, Frankfurt am Main 2018.

[16] Siehe dazu Allison Pytlack, Editorial: From Making it Binding, to Making it Work, ATT Monitor, 12. Jg., 1/2019.

[17] Jeff Abramson/Greg Webb, US to Quit Arms Trade Treaty, Arms Control Today May 2019, www.armscontrol.org/act/2019-05/news/us-quit-arms-trade-treaty

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