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Mali: Rückzug oder mehr Risiko?

Die Beteiligung an der Mehrdimensionalen Integrierten Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali (MINUSMA) ist gegenwärtig der größte Auslandseinsatz der Bundeswehr. Dem scheinbaren starken Signal der Bundesregierung, mehr internationale Verantwortung übernehmen zu wollen, stehen allerdings nationale Vorbehalte entgegen, die den Erfolg der Mission beeinträchtigen könnten.

MINUSMA - Panzerpatrouille
In der Region Menaka im Nordosten Malis patrouillieren MINUSMA-Blauhelme, um die Zivilbevölkerung zu schützen. UN Photo/Marco Dormino

Traditionell ist die Bundesrepublik Deutschland ein »eher zurückhaltender Akteur im internationalen Interventionsgeschehen«[1]. Dies gilt besonders für Beteiligungen im Rahmen der Vereinten Nationen. Vor allem in den vergangenen 20 Jahren war die Nordatlantikvertrags-Organisation (NATO) für die Bundesregierung die bevorzugte Organisation für ihr militärisches Handeln im Ausland. Seit dem Ende ihres Afghanistan-Engagements im Sommer 2021 ist aber eine UN-Friedenssicherungsmission zum größten Auslandsein­satz der Bundeswehr geworden: die Multidimensionale Integrierte Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali (United Nations Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali – MINUSMA). Gegenwärtig beteiligt sich die Bundesregierung hier mit rund 1000 Soldatinnen und Soldaten.[2] Es ist nicht nur der größte, sondern derzeit wohl auch der gefährlichste Einsatz. Die MINUSMA ist eine der verlustreichsten Missionen der UN-Geschichte. Auch die deutschen Kräfte wurden bereits zum Ziel von Anschlägen. Im Juni 2021 wurden zwölf deutsche und ein belgischer Soldat bei einem Selbstmordanschlag verwundet.

Auf den ersten Blick wirkt die deutsche Beteiligung in Mali wie eine Abkehr der häufig beschworenen »militärischen Zurückhaltung«.[3] Wie bei vorherigen Einsätzen erfolgte die Entscheidung der Bundesregierung zur Teilnahme an der MINUSMA, deren Ausweitung und die Aufgabenstellung an die Kräfte aber eher zögerlich, unter Sicherstellung der Kooperation mit Verbündeten sowie vorsichtig mit entsprechenden Restriktionen für die eigenen Truppen. Bündnis- und europapolitische Interessen scheinen teilweise von größerer Bedeutung zu sein, als der Bedarf der Mission oder die Notwendigkeiten vor Ort. Hierdurch wächst das Risiko, den Erfolg der MINUSMA zu gefährden.

Die Mission MINUSMA

Anfang des Jahres 2012 strebten Teile der Bevölkerung Nordmalis gewaltsam nach ihrer politischen Unabhängigkeit. Unterstützung erhielten die Rebellen von dschihadistischen Kämpfern. Gemeinsam gelang es ihnen, alle wichtigen nordmalischen Städte zu erobern. Von einem Militärputsch im Süden Malis noch zusätzlich geschwächt, hatte die malische Führung dem Aufstand wenig entgegenzusetzen. Das Bündnis zwischen Sezessionisten und Dschihadisten währte aber nur kurz. Im Laufe des Jahres drängten die Dschihadisten die Rebellen weitgehend zurück und gingen im Januar 2013 selbst in die Offensive. Auf Bitten der malischen Regierung intervenierten daraufhin Frankreich mit der Operation ›Serval‹ und afrikanische Kräfte in der Mission AFISMA (Afrikanisch geführte internationale Unterstützungsmission in Mali). In kürzester Zeit eroberten sie die größten Städte zurück. Zur Unterstützung einer politischen Konfliktlösung und zum Schutz der Bevölkerung beschloss der UN-Sicherheitsrat im April 2013 die Aufstellung einer eigenen Stabilisierungsmission. Die MINUSMA, deren Stärke zunächst auf 11 200 Soldatinnen und Soldaten und 1440 Polizeikräfte begrenzt war, erhielt von Beginn an ein robustes Mandat. Unter Bezug auf Kapitel VII der UN-Charta wurde sie autorisiert, alle erforderlichen Mittel, also auch militärischen Zwang, zur Durchsetzung ihres Auftrags anzuwenden. Ausdrücklich davon ausgenommen wurde die Aufstandsbekämpfung.[4]

Die MINUSMA wurde angesichts dieser Zielsetzung von Beginn an Ziel dschihadistischer Gewalt. Bis Ende des Jahres 2021 fielen infolge von Angriffen über 260 Angehörige der Mission.[5] Zwar konnte im Jahr 2015 ein Friedensvertrag für einen Teil der im Norden aktiven Gruppen geschlossen werden, da dieser aber nicht die Dschihadisten umfasst, bleibt die Lage gespannt; nach fast zehn Jahren scheint sie schlechter als je zuvor. Insbesondere im Zentrum Malis hat die Gewalt gegen Zivilpersonen zugenommen. Darüber hinaus destabilisieren Dschihadisten mittlerweile auch Teile Nigers und Burkina Fasos. Die MINUSMA, die nach dem Jahr 2015 vorrangig zur Umsetzung des Friedensvertrags dienen sollte,[6] kann dem nur wenig entgegensetzen. In Teilen fehlen der Mission die Fähigkeiten, um ihr Mandat effizient auszuführen. Alle UN-Mitgliedstaaten müssen sich daher fragen, ob sie bereit sind, der MINUSMA die nötigen Ressourcen zur Verfügung zu stellen, um in einem asymmetrischen Konflikt langfristig zu bestehen. Letzteres gilt auch für Deutschland.

Motive des deutschen MINUSMA-Engagements

Der Beginn des deutschen Mali-Engagements war wesentlich von europapolitischen Interessen geprägt. In erster Linie fühlte sich die Bundesregierung im Jahr 2013 verpflichtet, die vor Ort kämpfenden französischen Kräfte zu unterstützen.[7] Zunächst begnügte sie sich aber mittels Transport- und Tankflugzeugen der Luftwaffe auf die Bereitstellung logistischer Hilfe für die französische Operation ›Serval‹ beziehungsweise für die AFISMA. Die Entsendung von Kampftruppen hatte die Bundesregierung frühzeitig abgelehnt.[8] Stattdessen beteiligte sich Deutschland an der von Frankreich initiierten Ausbildungsmission der Europäischen Union in Mali (EUTM Mali) für die malischen Streitkräfte. Nach dem uneinheitlichen Vorgehen im Libyen-Konflikt im Jahr 2011 erhoffte sich die Bundesregierung durch die Beteiligung an der EU-Mission offenbar die Demonstration europäischer Handlungsfähigkeit.

Insgesamt folgte die Bundesregierung damals bekannten Mustern. Im Jahr 2013 war nicht absehbar, dass Mali einmal zum größten Auslands­engagement der Bundeswehr werden könnte. Zwar wurden der neu aufgestellten MINUSMA im Sommer des Jahres die deutschen Lufttransportkapazitäten angeboten, bereits im folgenden Jahr verzichteten die Vereinten Nationen aber bereits wieder auf deren Nutzung. Den deutschen Transall-Flugzeugen mangelte es offenbar an Nachtflugtauglichkeit und sie waren zu hitzeanfällig. Die Stärke der deutschen Beteiligung fiel von 80 Soldatinnen und Soldaten Ende Juni 2014[9] auf sechs im Oktober und November des gleichen Jahres.[10]

Die erneute Aufstockung des Engagements auf zunächst bis zu 650 Soldatinnen und Soldaten wurde erst im Spätsommer 2015 von den Bundesministerien geplant. Sie stand im Zusammenhang mit der Ankündigung des Bundespräsidenten Joachim Gauck, des Außenministers Frank-Walter Steinmeier und der Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen auf der Münchner Sicherheitskonferenz des Jahres 2014, international mehr Verantwortung übernehmen zu wollen. Auch war sie eine Konsequenz aus den 2014 verabschiedeten Afrikapolitischen Leitlinien der Bundesregierung und der im Jahr 2015 vom Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) erlassenen strategischen Leitlinien zu deren Umsetzung.[11] Für deren Anwendung im Rahmen der UN schien Mali ein lohnendes Einsatzland. Seit Sommer 2015 gab es hier einen Friedensvertrag, der auch bei den deutschen Politikerinnen und Politikern die Hoffnung auf Stabilisierung des Landes weckte. Zudem beteiligten sich an der MINUSMA so viele europäische Kräfte wie schon lange nicht mehr an einer UN-Mission. Ein Motiv für das BMVg war daher auch die Möglichkeit, die deutsch-niederländische Militärkooperation zu vertiefen. Im Jahr 2014 war die niederländische ›11 Luchtmobiele Brigade‹, die 2016 Teile des niederländischen MINUSMA-Kontingents stellte, der deutschen ›Division Schnelle Kräfte‹ unterstellt worden. Anfang des Jahres 2016 wurde eine Ausweitung der militärischen Zusammenarbeit beider Länder beschlossen. Ausdrücklich wurde die Entsendung von deutschen Aufklärungskräften daher mit einer Bitte der Niederlande begründet, in Mali enger zu kooperieren und Teile ihrer Kräfte zu ersetzen. In Gao zogen die deutschen Einheiten in das von den Niederländern geführte Feldlager ›Camp Castor‹. Ende des Jahres 2017 übernahmen sie es nach einer Anhebung der Mandatsobergrenze auf bis zu 1100 Soldatinnen und Soldaten sogar ganz,[12] nachdem Deutschland zu Beginn des Jahres begonnen hatte, die zuvor von den Niederländern gestellten luftbeweglichen Fähigkeiten der MINUSMA für eineinhalb Jahre zu ersetzen.

Als Paris im November 2015 von Anschlägen erschüttert wurde, war die deutsche Entscheidung zur Ausweitung des Engagements dagegen bereits gefallen; Außenminister Steinmeier hatte UN-Generalsekretär Ban Ki-moon wohl schon am 31. Oktober über die deutschen Absichten informiert.[13] Zwar diente die Beteiligung der Bundesregierung fortan öffentlich als Geste, Frankreich bei seiner internationalen Extremismusbekämpfung zu unterstützen, entscheidend für die Ausweitung des deutschen Engagements war dieser Aspekt aber eher nicht.[14] Auch das Argument, das Engagement in Mali diene zur Eindämmung der Migration nach Europa, ist nicht schlüssig. Zwar ist Mali ein Herkunfts- und Transitland. Angesichts der im Jahr 2015 mehr als 850 000 über Griechenland nach Europa gekommenen Menschen schien die Zahl der weniger als 60 000 aus Westafrika stammenden Personen doch klein. Statt in Mali hätte diese Lage eher für ein stärkeres Engagement in Syrien – Hauptherkunftsland dieser Menschen – gesprochen.[15]

Das deutsche Engagement erfolgte reaktiv, zögernd und mit Vorbehalten.

Sehr viel wichtiger dürfte für die Entscheidung des Auswärtigen Amtes die Bewerbung der Bundesrepublik um einen nichtständigen Sitz im Sicherheitsrat für die Jahre 2019/2020 gewesen sein,[16] die Außenminister Steinmeier im Juni 2016 ankündigte. Darüber hinaus stand die Bundesregierung europapolitisch in einer Bringschuld. An der militärischen Operation der Europäischen Union in der Zentralafrikanischen Republik (EUFOR RCA) hatte sie sich zwischen den Jahren 2014 und 2015 nur mit Fähigkeiten zur »Durchführung strategischer luftgestützter Verwundetentransporte« sowie mit zehn Soldaten im Stab beteiligt.[17] An den anschließenden Beratungs- und Ausbildungsmissionen EUMAM RCA und EUTM RCA war Deutschland gar nicht beteiligt. Vielmehr hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel bereits im Januar 2014 klargestellt, Deutschland wolle sich auf die Ausbildungsmission in Mali konzentrieren. In der Zentralafrikanischen Republik habe man »wenig Erfahrung«[18]. In der Folge übernahm Deutschland mehrfach die militärische Führung der EUTM Mali und sorgte durch die Entsendung zusätzlicher Fähigkeiten für die MINUSMA für die Entlastung der europäischen Staaten. Dieses Vorgehen ähnelte dem deutschen Verhalten während des Libyen-Konflikts im Jahr 2011, als die Bundesregierung ihr Engagement in Afghanistan zur Entlastung der in Nordafrika operierenden NATO-Partner verstärkte.

Bewertung des deutschen MINUSMA-Engagements

Auf den ersten Blick erscheint das deutsche Engagement bei der MINUSMA – zumindest seit dem Jahr 2016 – als deutliches Signal, international Verantwortung zu übernehmen. Insgesamt erfolgte es aber reaktiv, zögernd und mit entsprechenden Vorbehalten.

Wie bei so vielen UN-Missionen verlief der Beginn der MINUSMA schleppend. Über ein halbes Jahr nach ihrer Aufstellung verfügte sie gerade einmal über 6400 Soldatinnen und Soldaten. Insbesondere bei ihrer Luftbeweglichkeit besaß die MINUSMA Mängel.[19] Unzureichend waren anfänglich auch ihre Pionierfähigkeiten – oft ein willkommenes Feld deutscher Unterstützung. Der Fokus der Bundesregierung lag zu dieser Zeit aber auf der EUTM Mali. Hier wurden im Jahr 2013 nicht nur Sanitätskräfte, sondern auch Pioniere zur Ausbildung malischer Streitkräfte gestellt. Obwohl der schnelle Aufwuchs einer UN-Mission als Voraussetzung für ihren Erfolg gilt, stellte Deutschland im März 2014 gerade einmal 62 militärische und sechs Polizeikräfte.[20] Nur die Niederlande stellten Kampf- und medizinische Rettungshubschrauber. Insbesondere im Sektor Nord (Kidal) fehlten diese wichtigen Fähigkeiten noch Jahre später.

Auch als die Bundesregierung Anfang 2016 Aufklärungskräfte nach Gao entsandte, die dort auf die Luftbeweglichkeit der Niederländer angewiesen waren, blieb sie bei der Stellung von Großgerät zurückhaltend. Obwohl die Niederlande ihre Beteiligung mit einem Enddatum versehen hatten und die Vereinten Nationen im Jahr 2016 Gefahr liefen, fast ohne Hubschrauber agieren zu müssen, betonte Außenminister Steinmeier noch im Juli 2016, dass »[n]icht Deutschland […] in der Pflicht und schon gar nicht in der ersten Reihe [stünde], die bisher von den Niederländern gestellten Hubschrauber zu ersetzen«[21]. Auch wenn die Bundeswehr im Januar 2017 Transport- und Kampfhubschrauber nach Mali verlegte, erfolgte dies allenfalls reaktiv. Zudem war ihr Einsatz mit einem Enddatum, Mitte 2018, und keinem Endstatus verbunden. Angesichts der sich damals bereits verschlechternden Sicherheitslage und der bekannten Fähigkeitslücke der Mission wäre ein langfristiges Engagement ein starkes Signal gewesen, den Erfolg der Mission unbedingt herbeiführen zu wollen.

Andere Fähigkeiten wurden gar nicht erst gestellt. Die Anfrage nach einem von den Vereinten Nationen im Sommer 2015 dringend benötigten Bataillons zum Schutz ihrer Konvois zur Versorgung der eigenen Einheiten, wurde von der Bundesregierung wegen angeblich fehlender Kräfte zurückgewiesen.[22] Bei diesem Bataillon handelte es sich um eine der gefährdetsten Einheiten des UN-Engagements, da Anschläge mit Sprengvorrichtungen zu den größten Sicherheitsrisiken dieser Mision zählen. Erst im Jahr 2017 erklärte sich Ägypten bereit, eine solche Einheit zu stellen. In der Folge hatte es dadurch mehrfach Gefallene zu beklagen.[23] Die Bundesregierung wollte diese Risiken offenbar nicht eingehen. Gegen deutsche Reglements spricht insbesondere, dass dieses Bataillon im Einsatzgebiet größere Distanzen zurücklegen muss. Die deutschen – wie auch die meisten anderen europäischen – Kräfte sind angesichts ihrer engen zeitlichen Vorgaben zur möglichen Verwundetenversorgung aber in ihrer Bewegungsfreiheit begrenzt. Ohne größere Vorbereitungen beschränken sich diese auf einen gewissen Radius um ihr Feldlager in Gao. Ein nicht unwesentlicher Teil des deutschen Kontingents verlässt das Lager überhaupt nicht. Viele deutsche Kräfte stehen den Vereinten Nationen auch gar nicht direkt zur Verfügung, sondern dienen der Versorgung des deutschen Kontingents. Während die Bundeswehr derzeit von etwa 1000 im Rahmen der MINUSMA eingesetzten Kräften spricht, zählen die Vereinten Nationen nur rund 550.[24] Im Unterschied zu den Vereinten Nationen rechnet die Bundeswehr nämlich beispielsweise das Personal am Flughafen in Niamey, Niger, zum deutschen Einsatzkontingent. Letzteres betreibt dort einen Lufttransportstützpunkt zur logistischen Versorgung und zur operativ-taktischen Unterstützung des deutschen Verbands.

Unter Fachleuten wird zur Beschreibung des europäischen Engagements manchmal auch von einer ›Mission innerhalb einer Mission‹[25] gesprochen. Im Unterschied zu asiatischen oder afrikanischen Truppenstellern lackieren die europäischen Staaten viele ihrer Fahrzeuge beispielsweise nicht in der UN-typischen Farbe Weiß, sondern in Wüstentarn, obwohl ihr Auftrag die sichtbare Präsenz und eben nicht die Aufstandsbekämpfung ist. Ebenso tragen die europäischen Truppen im Feld seltener die für UN-Missionen typischen blauen Helme. Auch die gesonderte Unterbringung der europäischen Kräfte fällt auf. In Gao sind die Europäer überwiegend im stark gesicherten, mittlerweile von Deutschland geführten ›Camp Castor‹ untergebracht. Die asiatischen und afrikanischen Truppen kommen im angrenzenden ›Supercamp‹ unter. Zwangsläufig können solche Abgrenzungen zu Spannungen zwischen den verschiedenen Kontingenten führen und den Erfolg der Mission mindern.

Der UN-Mission fehlten gerade im Zentrum Malis lange Zeit geschützte Fahrzeuge, um überhaupt präsent zu sein.

Die für die Vereinten Nationen verlustreichste Region ist zudem Kidal im Norden, die mittlerweile gefährlichste Region für die Zivilbevölkerung ist die Region Mopti im Zentrum des Landes. Gerade hier fehlten der UN-Mission lange Zeit geschützte Fahrzeuge, um überhaupt präsent zu sein.[26] Die Abwesenheit von Sicherheitskräften – neben dem grundsätzlichen Mangel staatlicher, bevölkerungsorientiert ausgerichteter Verwaltung – hatte es Dschihadisten überhaupt erst ermöglicht, sich im Zentrum Malis als Alternative zur staatlichen Obrigkeit auszubreiten. Die Gründung ethnisch geprägter Milizen verschärfte die Konflikte nur weiter. Im Gegensatz zu einigen afrikanischen oder asiatischen Truppenstellern besitzt die Bundeswehr gute Fähigkeiten, sich gegen improvisierte Sprengfallen oder Hinterhalte zu schützen. Ein frühzeitiges Angebot, mit robusten Kräften in Zentralmali zu operieren oder kurzfristig geschützte Fahrzeuge in größerem Umfang für andere Truppen zur Verfügung zu stellen, erfolgte jedoch weder von Deutschland noch von anderen europäischen Staaten, sodass sich auch die deutschen Entscheidungsträger fragen müssen, ob sie alle notwendigen Mittel zur Stabilisierung Malis bereitgestellt haben.

Von der Friedenssicherung weit entfernt

Nach neun Jahren Einsatz internationaler Truppen hat sich die Sicherheit für die Bevölkerung in Mali nicht verbessert. Im Jahr 2020 starben im Konflikt annähernd 1000 Zivilpersonen; mehr als in den Jahren zuvor.[27] Von stabilen Verhältnissen ist das Land nach zwei Militärputschen binnen eines Jahres weit entfernt. Erschwerend kommt hinzu, dass die malischen Sicherheitskräfte zwischenzeitlich für mehr Vergehen an der Zivilbevölkerung verantwortlich waren als die Dschihadisten.[28] Dies belastet die Zusammenarbeit der internationalen Truppen mit der malischen Regierung und konterkariert die Bemühungen zur Stabilisierung des Landes.

Die Beendigung des Konflikts ist eine innermalische Angelegenheit. Die UN können diesen Prozess nur unterstützen. Die MINUSMA leidet aber an konzeptionellen Problemen. Viel zu lange dienten zu wenige ihrer Kräfte dem Schutz der Bevölkerung; noch im Jahr 2019 waren bis zu 40 Prozent im Selbst- und Konvoischutz gebunden.[29] Angesichts ihrer begrenzten Beweglichkeit bestehen zudem Zweifel, was einige Tausend UN-Kräfte in einem Gebiet mit der doppelten Fläche der Bundesrepublik erreichen können. Auch die vom UN-Generalsekretär António Guterres im Jahr 2021 erbetene Aufstockung um rund 2000 Personen mit zusätzlichen luftbeweglichen Kräften wird kaum zur Stabilisierung reichen.[30] In zu vielen ländlichen Gebieten ist die malische Verwaltung nicht in der Lage oder willens, der Bevölkerung adäquate staatliche Leistungen zu bieten.

Deutschland war mit Ausnahme der Jahre 2019/2020 kein Mitglied im Sicherheitsrat und hatte nur geringen Einfluss auf die konzeptionelle Ausgestaltung der Mission. Wie andere Nationen auch, stellte die Bundesregierung den Vereinten Nationen dringend benötigte Fähigkeiten aber eher zögernd zur Verfügung. Eine Führungsrolle nahm sie nie ein, obwohl die alte Bundesregierung nicht müde wurde zu betonen, wie bedeutend die deutsche Präsenz in Mali sei.[31]

Derzeit läuft das deutsche Mandat bis Ende Mai 2022, das MINUSMA-Mandat bis Ende Juni 2022. Für den neuen Bundestag wird sich bald die Frage stellen, ob das Engagement fortgeführt werden soll. Angesichts der gegenwärtigen Lage scheint eine Anpassung dringend erforderlich. Einerseits könnte die Mission entschlossener, entsprechend der Gegebenheiten vor Ort und des Bedarfs der Vereinten Nationen unterstützt werden, also im Zweifel länger und in noch größerem Umfang mit Hochwertfähigkeiten wie Helikoptern oder robusten Einheiten auch außerhalb der Region Gao, um die Fähigkeitslücken der MINUSMA zu schließen. Die erneute Verlegung deutscher Hubschrauber Ende letzten Jahres ist ein Schritt in diese Richtung. Legitim ist es aber auch zu fragen, ob die gegenwärtige Lage überhaupt eine UN-Friedenssicherungsmission zulässt, inwiefern die Anwesenheit internationaler Truppen die Situation für die Menschen in Mali tatsächlich verbessert und ob die innenpolitischen Entwicklungen Malis den außen­politischen Zielen der Bundesrepublik entsprechen. Dies sind gesamtgesellschaftliche Fragen, die in Zukunft häufiger gestellt werden sollten.

 

[1] Anja Seiffert, Aus der Einsatzrealität zurück in den Alltag, Reader Sicherheitspolitik der Bundeswehr, 2/2014. Der Beitrag gibt die persönliche Meinung des Autors wieder.

[2] Bundeswehr, Personalzahlen der Bundeswehr, Einsatzzahlen, 3.1.2022, www.bundeswehr.de/de/ueber-die-bundeswehr/zahlen-daten-fakten/personalzahlen-bundeswehr. Hinzu kommen noch einige Polizeikräfte, deren Beteiligung hier nicht genauer betrachtet wird.

[3] Auswärtiges Amt, »Die Kultur der militärischen Zurückhaltung ist zeitgemäßer denn je.«, Außenminister Guido Westerwelle im Interview, 30.3.2012, www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/120330-bm-waz/249436

[4] UN-Dok. S/RES/2100 v. 25.4.2013; S/2013/338 v. 10.6.2013, Para. 83.

[5] United Nations Peacekeeping, Fatalaties, 31.12.2021, peacekeeping.un.org/en/fatalities

[6] UN-Dok. S/RES/2227 v. 29.6.2015, Para 12f.; S/RES/2295 v. 29.6.2016, Para. 14–28.

[7] Vgl. Markus Kaim, Die deutsche Politik im VN-Peacekeeping. Eine Dienerin vieler Herren, SWP-Studie 7.7.2021, Berlin, S. 12–16.

[8] Hauke Friederichs, Die Bundeswehr ist längst in Mali, Zeit Online, v. 29.10.2012, www.zeit.de/politik/deutschland/2012-10/bundeswehr-mali-einsatz-ausbildung

[9] Bundeswehr, Unterrichtungen der Öffentlichkeit, Nr. 27/14, 2014, S. 10.

[10] Bundeswehr, Unterrichtungen der Öffentlichkeit, Nr. 47/14, 2014, S. 7.

[11] Vgl. BMVg, Strategische Leitlinie Umsetzung der Afrikapolitischen Leitlinien der Bundesregierung im Geschäftsbereich des BMVg, 8.2.2015, S. 10f.

[12] Vgl. BT-Drucksache 19/1098 v. 7.3.2018, S. 6f.

[13] Vgl. United Nations Archives (UNA), S-1943-0146-0003-00024, Schreiben des UN-Generalsekretärs an den Außenminister v. 21.11.2016.

[14] Vgl. Wolfram Lacher, Unser schwieriger Partner. Deutschlands und Frankreichs erfolgloses Engagement in Libyen und Mali, SWP-Studie, Nr. 3, Februar 2021, Berlin, S. 27.

[15] Vgl. International Organization for Migration (IOM), Mixed Migration Flows in the Mediterranean and Beyond, Reporting Period 2015, S. 3, 5 und 17, migration.iom.int/sites/default/files/public/reports/Flows%20Compilation%202015%20Overview.pdf

[16] Vgl. Kaim, Die deutsche Politik im VN-Peacekeeping, S. 19–21.

[17] BT-Drucksache 18/1081 v. 8.4.2014; BT-Drucksache 18/5132 v. 11.6.2015.

[18] Die Bundesregierung, Pressekonferenz von BK’in Merkel und BM Gabriel nach der Kabinettsklausur, 23.1.2014, www.bundesregierung.de/breg-de/suche/pressekonferenz-von-bk-in-merkel-und-bm-gabriel-nach-der-kabinettsklausur-849122

[19] UN-Dok. S/2014/229 v. 28.3.2014, Para. 55 und 57.

[20] United Nations Peacekeeping, UN Mission’s Contributions by Country, 31.3.2014, S. 3, peacekeeping.un.org/sites/default/files/mar14_5.pdf

[21] Auswärtiges Amt, Außenminister Steinmeier zum UN-Engagement in Mali, 10.7.2016, www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/160710-bm-mali/282092

[22] BT-Drucksache 18/8264 v. 27.4.2016, S. 11.

[23] Vgl. United Nations Peacekeeping, MINUSMA Pays Tribute to an Egyptian Peacekeeper Killed in Mali, 25.4.2019, peacekeeping.un.org/en/minusma-pays-tribute-to-egyptian-peacekeeper-killed-mali

[24] United Nations Peacekeeping, Contribution of Uniformed Personnel to UN by Country, Mission, and Personnel Type, 30.11.2021, peacekeeping.un.org/sites/default/files/03_country_and_mission_44_nov_2021.pdf

[25] John Karlsrud, For the Greater Good?: »Good States« Turning UN Peacekeeping Towards Counterterrorism, International Journal, 74. Jg., 1/2019, S. 65–83, hier S. 66. Siehe auch John Karlsrud, UN-Friedenssicherung und Terrorismusbekämpfung: seltsame Bettgenossen?, VEREINTE NATIONEN (VN), 65. Jg., 4/2017, S. 153–158.

[26] Vgl. UN Doc S/2016/281 v. 28.3.2016, Para. 46; S/2016/819 v. 29.9.2016, Para. 57.

[27] Vgl. Arthur Boutellis, MINUSMA’s 2021 Mandate Renewal in Uncertain Times, Norwegian Institute of International Affairs, Oslo 2021, S. 23.

[28] Vgl. MINUSMA, Note sur les Tendances des Violations et Abus de Droits de l’Homme au Mali, 1er Juillet – 30 Septembre 2020, Januar 2021, reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/Final%20version_%20Note%20trimestrielle%20_Juillet-Septembre%202020.pdf

[29] UN Doc S/2019/454 v. 31.5.2019, Para. 25.

[30] UN Doc S/2021/657 v. 16.7.2021.

[31] Vgl. BT-PlPr 19/159 v. 13.5.2020, S. 19754f.

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