Menü

Ein Aggressor wird haftbar gemacht

Dr. Hanns Schumacher, Botschafter a.D., war in den Jahren 2011 und 2012 Vorsitzender des Verwaltungsrats der UN-Entschädigungskommission (UNCC). Er zeigt am Beispiel irakischer Kriegsentschädigungen, wie reibungslos die UN agieren könnten, wenn der Sicherheitsrat es will.

Der UN-Sicherheitsrat stimmte im Februar 2022 über einen Resolutionsentwurf zur Ukraine ab. UN Photo: Mark Garten

Dies könnte eine aktuelle Überschrift zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine sein. Leider steht sie über einem Artikel von Karl-Heinz Böckstiegel aus dem Jahr 1997 in dieser Zeitschrift (Heft 3/1997) und analysiert die beginnende Arbeit der Entschädigungskommission der Vereinten Nationen (United Nations Compensation Commission – UNCC) für Ansprüche gegen den Irak aus dem Zweiten Golfkrieg. Nach mehr als 30 Jahren steht fest: Der Sicherheitsrat, aber vor allem das UN-Sekretariat, haben mit dem Abschluss der Arbeit demonstriert, wie zielgerichtet sie agieren können, wenn die Großmächte zusammenarbeiten. Die ›regelbasierte Weltordnung‹ hat einen eindrucksvollen und historischen Präzedenzfall geschaffen, wenn diese Regeln verletzt werden.

Am 2. August 1990 besetzten die irakischen Truppen Kuwait. Sie richteten im Verlaufe der knapp achtmonatigen Besetzung fürchterliche Verwüstungen an. Noch am gleichen Tage verurteilte der Sicherheitsrat einstimmig die Invasion als Bruch des Weltfriedens. Die Waffenstillstandsresolution des Sicherheitsrats 687 vom 3. April 1991 ist ein komplexes Konstrukt, das eine umfassende Haftung Iraks für alle »unmittelbaren Verluste, Schäden – einschließlich Umweltschäden und der Erschöpfung der natürlichen Ressourcen« festlegte. Verantwortlich für die Durchführung wurde die UNCC mit Sitz in Genf, kontrolliert durch einen Verwaltungsrat und bestehend aus den Vertretern der Sicherheitsratsmitglieder. Das Vetorecht der fünf Ständigen Mitglieder (P5) wurde »ausdrücklich« ausgeschlossen.

Fast auf den Tag genau 31 Jahre später, am 22. Februar 2022, nahm der Sicherheitsrat mit der Resolution 2621 »mit Anerkennung« Kenntnis vom Bericht des Verwaltungsrats über die Arbeit der UNCC, bestätigte, dass Irak allen völkerrechtlichen Verpflichtungen nachgekommen ist, erklärte das Entschädigungsverfahren für beendet und löste die dafür zuständigen Einrichtungen – Verwaltungsrat, Kommission und Entschädigungsfonds – endgültig auf.

In diesem Zeitraum wurden

  • bis zum Jahr 2011 alle Öleinnahmen Iraks kontrolliert über den UN-Fonds abgewickelt und an die Anspruchsberechtigten überwiesen. Danach übernahm die irakische Regierung mit Zustimmung des Verwaltungsrats diese Aufgabe direkt;
  • insgesamt 2,7 Millionen Ansprüche bearbeitet, davon 1,5 Millionen bewilligt und abgewickelt;
  • Ansprüche von über hundert Regierungen, internationalen Organisationen und von Privatpersonen in Höhe von insgesamt 352 Milliarden US-Dollar gestellt; als berechtigt anerkannt wurden Ansprüche in Höhe von 52,4 Milliarden US-Dollar;
  • Umweltschäden in Kuwait bestimmt und bewertet, die im Jahr 2005 zur Definition von insgesamt zwölf großen Umweltprojekten führten; deren Umsetzung muss vom UN-Sekretariat weiter überwacht werden.

Die irakische Aggression gegenüber Kuwait ist sicher nicht anders zu bewerten als die flagrante Verletzung der territorialen Integrität der Ukraine durch Russland. Eine beachtenswerte Blaupause, wie der Sicherheitsrat darauf reagieren könnte, liegt also vor. Sie wird wohl leider nie angewandt. Im Sicherheitsrat herrschte im Jahr 1991 eine ungemein kooperative Atmosphäre auch unter den P5, begünstigt durch ein Ende des Ost-West-Konflikts und die deutsche Wiedervereinigung. Doch Francis Fukuyamas damals prognostiziertes »Ende der Geschichte« hat sich längst in einen Albtraum verwandelt und stellt die UN heute auf die schwierigste Bewährungsprobe seit ihrer Gründung.
 

Lesen Sie auch den Standpunkt von Helmut Volger, Mehr wissenschaftliche Beratung nötig, in diesem Heft.

Das könnte Sie auch interessieren