Völkerrecht im Härtetest

Das rechtsverbindliche Klimaübereinkommen von Paris stellt den bisher wichtigsten Durchbruch in der Geschichte der Klimaverhandlungen mit ernsthaften Verpflichtungen für alle Staaten dar. Diese einigten sich auf die drei langfristigen Ziele: die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius und möglichst unter 1,5 Grad Celsius zu begrenzen; die Fähigkeit zur Resilienz gegenüber dem Klimawandel zu erhöhen; sowie das Umlenken aller Finanzströme, um sie mit diesen beiden Klimazielen kompatibel zu machen. Das Übereinkommen hat enorme positive Wirkungen. Es zeigt dennoch einen zu langsamen Fortschritt, nicht zuletzt auch, weil es heftige Gegenreaktionen hervorgerufen hat. Wo stehen wir zehn Jahre danach?
Die besondere Erfolgsformel des Pariser Klimaabkommens
Das Design des Klimaübereinkommens von Paris war maßgeblich eine Reaktion auf die im Jahr 2009 gescheiterte UN-Klimakonferenz in Kopenhagen (Conference of the Parties – COP15).
Die Architektur des Klimaübereinkommens von Paris sieht deswegen grundlegend anders aus: Das Temperaturlimit und andere Indikatoren werden für alle Staaten völkerrechtlich verbindlich festgelegt. Die für das Erreichen der Ziele notwendigen nationalen Beiträge (Ziele und Finanzmittel) werden aber nicht verhandelt, sondern jeder Staat bringt seine national beschlossenen Ziele und Gelder mit. Um dies in ein Bild zu bringen: Es wird kein Büfett für alle gemeinsam bestellt, sondern es wird zu einem ›Mitbring-Dinner‹ eingeladen, in der Hoffnung, dass die einzelnen Beiträge zum fairen Erreichen der Ziele ausreichen.
Die Vorteile liegen auf der Hand: das Klimaübereinkommen von Paris wurde auf UN-Ebene verhandelt und danach in Rekordtempo von den Nationalstaaten ratifiziert. Die nationalen Klimaziele und Finanzbeiträge der Staaten werden in eigener Souveränität beschlossen. Nun ist allerdings zu erwarten, dass die ›Tragik der Allmende‹ sowie des kurzfristigen Horizonts dazu führen, dass viele Einzelstaaten nicht genug zum ›Mitbring-Dinner‹ mitbringen.
Um diese Schwäche auszugleichen, wurden zwei innovative Teilstrategien im Klimaübereinkommen von Paris etabliert. Zum einen ein Fünfjahreszyklus mit einer von der Wissenschaft unterstützten globalen Bestandsaufnahme und der dann jeweils folgenden neuen Vorlage von nationalen Zielen für Klimaschutz, Anpassung und Finanzierung, um mehr Klimaambition und Geld zum bislang zu kümmerlichen ›Mitbring-Dinner‹ nachzureichen. Zum anderen wurde in der Governance-Struktur des Übereinkommens sorgfältig die Erwartungskoordination zur Umsetzung der politisch vereinbarten Ziele mit dem wirkungsvollen Handeln wichtiger Teilsysteme und Akteure verankert. Diese Erwartungskoordination setzt sich unter anderem aus den folgenden Aspekten zusammen:
- wissenschaftliche Publikationen, aber auch auf die Umsetzung der Ziele bezogene Indizes und Ranglisten;
- Rahmensetzungen für das Umlenken der öffentlichen und privaten Finanzmittel zum Erreichen der Klima- und Anpassungsziele;
- Berichts- und Sorgfaltspflichten sowie Transitionspläne von Unternehmen, die sich am Klimaübereinkommen von Paris orientieren, schaffen Transparenz und Handlungssicherheit für Unternehmen und Finanzmarkt sowie für Politik und Zivilgesellschaft;
- internationale und nationale Gerichte orientieren sich zunehmend an den völkerrechtlichen Vorgaben des Pariser Klimaabkommens;
- für die Zivilgesellschaft sind die globalen Ziele von Paris zentrale Basis für ihre nationalen und internationalen Forderungen.
Das Klimaübereinkommen von Paris und die damit verbundene Erwartungskoordination hat positive Dynamiken begünstigt: Steuerten wir im Jahr 2014 noch auf einen globalen Temperaturanstieg von 4,1 Grad Celsius in diesem Jahrhundert zu, so sind es jetzt ›nur noch‹ auf 2,6 Grad Celsius.[1] Im globalen Stromsektor stammten im Jahr 2023 mehr als 85 Prozent der zusätzlich erzeugten Leistung aus erneuerbaren Energien, im Jahr 2024 waren es bereits 92 Prozent.[2] Auch die zweite technische Hälfte der Problemlösung – Elektrifizierung von Verkehr, Gebäuden und Industrie – zeigt seit einigen Jahren exponentielle Wachstumskurven.
Da all das noch nicht zum Erreichen der Temperaturziele ausreicht, hat sich die Staatengemeinschaft im Jahr 2023 bei der COP28 in Dubai verständigt, bis zum Jahr 2030 die Kapazitäten der erneuerbaren Energien zu verdreifachen und die Energieeffizienzrate zu verdoppeln. Zudem wurde die Abkehr von Öl, Gas und Kohle festgelegt. Bei der COP29 im Jahr 2024 in Baku beschlossen die Staaten, angesichts der gewaltigen Finanzierungslücke zum Bewältigen der Klimaherausforderungen in vielen Ländern des Globalen Südens, das jährliche Klimafinanzierungsziel bis zum Jahr 2035 auf mindestens 300 Milliarden US-Dollar zu erhöhen. Darüber hinaus soll in diesem Jahr ein Fahrplan beschlossen werden, wie dieses Ziel bis zum Jahr 2035 auf jährlich 1,3 Billionen US-Dollar erhöht werden kann.
Fossiler Gegenwind bei der Umsetzung
Die vom Klimaübereinkommen von Paris angestoßene, geradezu revolutionäre globale Transformation aller gesellschaftlichen Sektoren bedeutet auch den zügigen Abschied von Kohle, Öl und Gas sowie den Umbau des globalen Agrar- und Lebensmittelsektors. Wie bei praktisch jeder Revolution gibt es auch hier eine reaktionäre Phase. In diesem Fall ist diese von Staaten und Unternehmen angetrieben, die viel zu verlieren haben: ihr fossiles Geschäftsmodell. Sie setzen alles daran, die Koordinierungsleistung des Klimaübereinkommens von Paris für die verschiedenen globalen gesellschaftlichen Teilsysteme zu untergraben:
Wissenschaft: In den vergangenen Jahrzehnten gab es immer wieder Versuche, die Klimawissenschaft zu unterminieren. Beispiele dafür sind die so genannte ›Climate Gate‹-Affäre[3] im Jahr 2009, die die Integrität der Wissenschaft anzweifelte; die systematische Finanzierung und Vernetzung von Organisationen, die Klimawandelleugnung verbreiten – unter anderem durch das Atlas-Netzwerk[4]; sowie die Blockade, Zensur und systematische Verfälschung wissenschaftlicher Ergebnisse durch die US-Regierung unter Präsident Donald Trump.[5]
Politik: Der fossile Sektor leistet weltweit maßgebliche finanzielle und strategische Unterstützung für die Aktivitäten rechtspopulistischer oder -radikaler Regierungen oder Parteien, die zugleich Rahmensetzungen für die Verlängerung des fossilen Geschäftsmodells vorantreiben. Die Umsetzung des der Europäischen Union (EU) aufgezwungenen ›Zoll-deals‹, der die Zusage für fossile Brennstoffimporte in die EU im Wert von 750 Milliarden US-Dollar beinhaltet, würde die ambitionierte Klimapolitik der EU untergraben. Schon am Tag seines zweiten Amtsantritts hatte US-Präsident Trump das Dekret zum Ausstieg aus dem Klimaübereinkommen von Paris unterzeichnet, was ein Jahr später vollzogen wird. Saudi-Arabien, Russland und nun auch die USA versuchen, die Umsetzung des Beschlusses der COP28 in Dubai, »sich von fossilen Energien wegzubewegen«,[6] zu torpedieren. Das Ausrichten der drei letzten COPs durch die fossil ausgerichteten autoritären Staaten Aserbaidschan, die Vereinigten Arabischen Emirate und Ägypten, kann ebenfalls als versuchte Einflussnahme gewertet werden. Durch die Abwicklung der Internationalen Entwicklungsbehörde der USA (USAID) und den Rückzug der USA von früheren Zusagen zur Klimafinanzierung ist rund ein Zehntel der weltweiten Klimafinanzierung für ärmere Länder und Staaten mit mittlerem Einkommen gefährdet. Auch in vielen anderen Industrieländern gerät die internationale Klimafinanzierung unter Druck.
In den vergangenen Jahrzehnten gab es immer wieder Versuche, die Klimawissenschaft zu unterminieren.
Wirtschaft: Um ihre Öleinnahmen zu stabilisieren, koordiniert sich die Organisation der erdölausführenden Länder (OPEC) seit dem Jahr 2016 mit Russland und anderen ölexportierenden Staaten in der OPEC+. Die OPEC hat beispielsweise während der COP28 ihre Mitgliedstaaten dazu aufgefordert, sich bei jeglichen Beschlüssen zur Abkehr von fossilen Energien zu widersetzen. Eine Reihe fossiler Unternehmen, unter anderem Shell und British Petroleum, hat – sobald sich der politische Wind drehte – ihre selbst gesteckten Klimaziele wieder aufgegeben. Stark steigende fossile Subventionen konterkarieren die schnell wachsenden Wettbewerbsvorteile für erneuerbare Energien, Batterien und Elektrifizierung.
Finanzmarkt: Insbesondere die neue US-Regierung übt massiven Druck auf Finanzmarktakteure aus, klimapolitische Risiken zu ignorieren und fossile Investitionen zu tätigen. So klagten US-Bundesstaaten beispielsweise gegen Finanzunternehmen, die durch Klimaziele angeblich fossile Energien verteuerten und dadurch den Wettbewerb verzerrten.
Justiz: Die US-Umweltschutzbehörde (USEPA) hat kürzlich vorgeschlagen, das Urteil des Obersten Gerichtshofs der USA aus dem Jahr 2007 zu kippen, das Treibhausgasemissionen als gesundheitsschädlich einstuft. Damit entfiele die rechtliche Grundlage zur Regulierung von Kohlendioxid. Es kommt zudem vermehrt zu strategischen Klagen gegen kritische Stimmen aus der Zivilgesellschaft, die für diese Organisation sogar existenzgefährdend sein können. Greenpeace International und Greenpeace USA wurden beispielsweise vorerst zu einer Zahlung in Höhe von 660 Millionen US-Dollar verurteilt, wobei das finale Urteil weiterhin aussteht.
Zivilgesellschaft: Vielerorts, inzwischen auch in den USA und zunehmend der EU, beschneidet der oft stark von fossilen Akteuren unterstützte und finanzierte Einfluss rechtsextremer und rechtslibertärer Gruppen den Raum für die sich selbst erneuernde Triebkraft der Zivilgesellschaft – rechtlich, regulativ und finanziell.
Wie resilient erweist sich das Klimaübereinkommen von Paris?
Zum zehnjährigen Jubiläum des Übereinkommens Ende des Jahres kommt angesichts dieses fundamentalen Härtetests keine Feierlaune auf. Dabei ist klar: Der Klimawandel wartet nicht auf uns. Solange die Emissionen nicht auf netto null sinken, nimmt die Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre jedes Jahr zu. Das Jahr 2024 war nicht nur das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen – es war zudem das erste vollständige Jahr, in dem die globale Jahresdurchschnittstemperatur 1,5 Grad Celsius über vorindustriellem Niveau lag. Der Temperaturrekord begünstigt extreme Wetterereignisse wie Überschwemmungen, Hitzewellen und Waldbrände.[7]
Wie sieht es angesichts dieser Situation mit der Resilienz des Klimaübereinkommens von Paris aus? Positiv ist, dass nun nicht nur das Übereinkommen, sondern inzwischen auch sein gesamtes Regelbuch verabschiedet ist. Für die Umsetzung bedarf es jetzt zwar einer kritischen Masse aktiver Staaten, aber im Einzelfall keines Konsenses der gesamten Staatengemeinschaft.
Spannend ist nun, ob im Rahmen des ersten Zyklus’ zur Ambitionssteigerung viele Staaten bis zur COP30 im November 2025 in Brasilien stark nachgebesserte Ziele und Finanzzusagen zur neuen Runde des ›Mitbring-Dinners‹ einbringen. Fristgerecht bis Februar haben das nur wenige Staaten gemacht. Da es im vergangenen Jahr weltweit eine Rekordzahl an Wahlen und neuen Regierungen gab, ist das einerseits verständlich. Andererseits braucht es zur COP30 unbedingt neue ambitionierte nationale Klimabeiträge. Schwung könnte die gemeinsame Ankündigung der Großemittenten China und die EU bringen, eine Führungsrolle zu übernehmen und ihre verbesserten Klimaziele rechtzeitig vor der COP in Brasilien vorzulegen – idealerweise im Zusammenspiel mit dem diplomatischen Druck, den Brasilien als Gastgeber gezielt aufbaut. Dennoch ist praktisch sicher, dass nicht ausreichend Dynamik entstehen wird, um die Lücke zur Zielerreichung zu schließen.
Wichtig aber wird sein, ob die etablierte globale Erwartungskoordination in zentralen Teilsystemen der Weltgesellschaft jetzt Bestand hat. Dafür gibt es tatsächlich eine Reihe ermutigende Anzeichen:
Politik: Verschiedene internationale Foren haben gezeigt, dass eine kritische Masse von Staaten große Vorreiterallianzen organisieren kann. So vereinbarte der Ausschuss für den Schutz der Meeresumwelt (Marine Environment Protection Committee – MEPC) der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation (International Maritime Organization – IMO) der UN im April 2025 ein Maßnahmenpaket zur Reduktion der Treibhausgasemissionen im internationalen Schiffsverkehr. Dieses soll im Herbst dieses Jahres noch rechtsverbindlich umgesetzt werden. Der Durchbruch dabei ist, dass hier mit einem System zur Bepreisung von Kohlendioxid für die Verursacher von Emissionen in der Schifffahrt erstmals das Verursacherprinzip weltweit zur Geltung kommt. Dies stellt, wenn auch noch unzureichend, einen wichtigen Präzedenzfall auch für andere Sektoren dar.
Die größte Schubkraft für eine beschleunigte Transformation kommt derzeit von der ökonomisch-technischen Seite.
Hervorzuheben sind auch oft übersehene Entwicklungen in China, Indien und den USA: Beim mit Abstand größten Emittenten, China, zeichnet sich, angetrieben von massiven Investitionen in erneuerbare Energien und Elektrifizierung, eine Trendwende ab. Seit März 2024 fallen die Emissionen dort erstmals auch in Nichtkrisenjahren. China steht vermutlich kurz vor oder hinter dem Emissionshöhepunkt.[8] Gleichzeitig ist es irritierend, dass China allein im Jahr 2024 mit dem Bau neuer Kohlekraftwerke in einer immensen Größenordnung von 95 Gigawatt begonnen hat. Das entspricht 93 Prozent des weltweiten Zuwachses an Kohlekapazitäten im vergangenen Jahr. Spannend ist jedoch, dass dennoch die Nutzung der Kohle in absoluten Zahlen im Stromsektor sinkt. Als Schlüsselfaktoren hinter dieser widersprüchlichen Entwicklung werden unkoordinierte Reaktionen auf Stromausfälle, schlecht designte Preisanreize sowie eine unzureichende Netzverwaltung genannt. Es scheint jedoch derzeit unwahrscheinlich, dass »diese Entwicklungen die Transformation des Energiesystems in China vom Pfad abbringen«[9]9. In Indien stammte im Jahr 2025 erstmals mehr als die Hälfte der Stromkapazität aus kohlendioxidfreien, vor allem erneuerbaren Energien, fünf Jahre früher als in Paris zugesagt.[10] Und in den USA wurden seit dem Inkrafttreten des ›Inflation Reduction Act‹ (IRA) im Jahr 2022 mehr als drei Viertel der Solar-, Wind- und Batterieneuanlagen in von Republikanern regierten Regionen gebaut:[11] Markt schlägt Ideologie.
Wirtschaft: Die größte Schubkraft für eine beschleunigte Transformation kommt derzeit von der ökonomisch-technischen Seite. Fast überall sind inzwischen erneuerbare Energien samt Stromspeicher wettbewerbsfähiger als fossile Energieträger. Auch die Elektrifizierung von Verkehr, Gebäuden und Industrie, die pro Dienstleistung den Bedarf an Primärenergie drastisch reduziert, wächst global sehr schnell. China ist die dynamischste Kraft auf diesem Pfad, aber der Trend wächst exponentiell in der gesamten Gruppe der 20 (G20), von der 80 Prozent der globalen Energienachfrage stammen.
Während US-Präsident Trump mit der Parole ›Drill, baby, drill‹ die Dominanz des fossilen Sektors beschwört, deuten aktuelle Trends in die entgegengesetzte Richtung: die weltweite Überproduktion von Öl und Gas, wachsende Wettbewerbsfähigkeit erneuerbarer Energien sowie Speicher und der ökonomische Bumerangeffekt von Trumps Zollpolitik. Mitte dieses Jahres stehen die Ölpreise auf dem niedrigsten Niveau seit vier Jahren. Seit Beginn des Jahres 2025 wurden die Erwartungen für das Wachstum der globalen Ölnachfrage mehrmals nach unten korrigiert.[12]
Finanzmarkt: In Folge dieser Trends reduzierten die sechs größten Banken der Wall Street in diesem Jahr bis zum 1. August ihre Finanzierung für fossile Energien um 25 Prozent im Vergleich zum selben Zeitraum im Jahr 2024.[13]
Das Netzwerk ›Greening the Financial System‹ (NGFS), bestehend aus mehr als 140 Zentralbanken und Aufsichtsgremien, hat neue Kurzfristszenarien veröffentlicht, die eine kritische Lücke füllen. Sie erlauben es nun endlich Zentralbanken, Supervisoren und Finanzmarktinstitutionen weltweit, die kurzfristigen Risiken der Klimakrise abzuschätzen, und sie zeigen, dass Klimarisiken bereits heute sehr relevant sind. So bedeuten etwa extreme Wetterereignisse bereits in den nächsten fünf Jahren für jeden Euro Wirtschaftsleistung in der Eurozone fünf Prozent zusätzliche Risiken.[14] Diese Szenarien können eine wichtige Grundlage für entsprechende Stresstests weltweit werden. Die Europäische Zentralbank ist Teil des NGFS und appelliert in ihren Veröffentlichungen mit drastischen Szenarien, sich auf klimabezogene und ökologische Risiken vorzubereiten.
Justiz: Das Jahr 2025 markiert einen Wendepunkt mit wegweisenden rechtlichen Entwicklungen. Hervorzuheben sind dabei drei Verfahren: Der Internationale Gerichtshof (International Court of Justice – ICJ) legte in einem Gutachten im Juli 2025 dar, dass Staaten konkrete rechtliche Pflichten haben, um klimawandelbedingte Schäden zu verhindern und entsprechende rechtliche Vorgaben für Unternehmen zu treffen.[15] Damit kann völkerrechtswidrige Klimapolitik Konsequenzen haben. Staaten mit hohen Emissionen können zukünftig mit Finanz- und Schadensersatzforderungen konfrontiert werden. Sie können sich auch durch einen Austritt aus dem Klimaübereinkommen von Paris nicht dieser Pflicht entbinden.
Im Mai 2025 hat auch der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte (IAGMR) ein Gutachten veröffentlicht. Er definiert die Klimakrise als Menschenrechtsnotstand, erkennt das Menschenrecht auf ein gesundes Klima an, aus dem sich spezifische Klimaschutzpflichten für Staaten ableiten lassen.[16] Im Fall des Peruaners Saúl Luciano Lliuya gegen das Energieunternehmen RWE entschied das Oberlandesgericht Hamm im Mai 2025, dass Großemittenten grundsätzlich für die Folgen der Klimakrise haftbar gemacht werden können – auch über Landesgrenzen hinweg.
Vor dem Hintergrund dieser rechtlichen Entwicklungen spricht vieles dafür, dass Staaten nun ihre nationalen Gesetze überprüfen und für angemessenen Klimaschutz – auch von stark emittierenden Unternehmen – sorgen müssten, um juristische Risiken zu vermeiden. Zugleich sollten auch die Rechte von vulnerablen Gruppen gestärkt werden.
Zivilgesellschaft: Vier von fünf Menschen weltweit sind laut einer UN-Umfrage aus dem Jahr 2024 für mehr Klimaschutz.[17] Eine weitere internationale Studie zeigt in Ländern mit hohem und mittlerem Einkommen in diesem Jahr eine erhebliche Unterstützung für globale Klimapolitik und eine globale Steuer für die Reichsten, um die Entwicklung von Ländern mit niedrigem Einkommen zu unterstützen. Auch in wohlhabenden Staaten gibt es eine Mehrheit dafür.[18] Zwei Herausforderungen seien allerdings auch benannt: zum einen das Problem der ›pluralistischen Ignoranz‹. Diese Mehrheit denkt allzu oft, sie sei in der Minderheit.[19] Zum anderen gilt: Sobald es konkret wird, stehen die Mehrheiten nur, wenn die Umsetzung als wirkungsvoll, fair und bezahlbar erlebt wird.
Auf dem Weg nach Belém
Zehn Jahre nach der Verabschiedung des Klimaübereinkommens von Paris wird es auf der COP30 im brasilianischen Belém wichtig sein, neue Allianzen zu schmieden und die größten Gräben zwischen Nord und Süd zu überwinden. Es wird darum gehen, wirkmächtige Süd-Nord-Allianzen zwischen denen aufzubauen, die eine gemeinsame Zukunft nach faireren Regeln als bisher aufbauen wollen und sich nicht von denen irritieren zu lassen, die das fossile Geschäftsmodell verlängern wollen.[20] Darauf basierend gilt es, in Politik, Wirtschaft und auf Finanzmärkten neue Nord-Süd-Allianzen zu schmieden. Und es wird auch wichtig sein, der Zivilgesellschaft, die sich an der Menschenwürde für alle orientiert, wieder mehr Raum zu geben, damit diese ihrer Rolle als sich selbst erneuernde Triebkraft positiver Entwicklung gerecht werden kann.
[1] Berechnung basierend auf aktueller Politik mit Stand November 2024. Die Zahl variiert je nach zu Grunde liegenden Annahmen: Basierend allein auf den Zielen für das Jahr 2030 wird die Erwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts 2,6 Grad Celsius betragen. Berücksichtigt man verbindliche langfristige Ziele, wird die Erwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts auf 2,1 Grad Celsius geschätzt, siehe Climate Action Tracker, www.climateactiontracker.org/global/cat-thermometer/
[2]International Renewable Energy Agency (IRENA), Renewable Capacity Statistics 2025 sowie Renewable Capacity Statistics 2024, www.irena.org/Data/Statistical-publications/Yearbooks
[3] Klimafakten, Klimawissen, Fakt ist…, August 2021, www.klimafakten.de/klimawissen/fakt-ist/fakt-ist-der-sogenannten-climategate-affaere-wurden-die-forscher-mehreren
[4] Susanne Götze/Annika Joeres, Die Klimaschmutzlobby, München 2022.
[5]Michael E. Wysession et al., The Executive Order »Restoring Gold Standard Science« is Dangerous for America, AGU Advances, 6. Jg., 4/2025, www.doi.org/10.1029/2025AV002011
[6]UNFCCC, COP28 Agreement Signals »Beginning of the End« of the Fossil Fuel Era, 13.12.2023, unfccc.int/news/cop28-agreement-signals-beginning-of-the-end-of-the-fossil-fuel-era
[7]European Commission, Climate Change Service, Global Climate Highlights 2024, climate.copernicus.eu/global-climate-highlights-2024#:~:text=2024%20had%20a%20global%20average,exceed%201.5%20above%20that%20level
[8]Climate Action Tracker, China, www.climateactiontracker.org/countries/china/
[9]Qi Qin/Lauri Myllyvirta, Why China is Still Building New Coal – And When It Might Stop, CarbonBrief, 12.8.2025, www.carbonbrief.org/guest-post-why-china-is-still-building-new-coal-and-when-it-might-stop/
[10]Times of India, Indias Energy Milestone: Half of Power Capacity Now From Non-fossil Sources Clean Energy Capacity Driven by Developers, 18.7.2025, www.timesofindia.indiatimes.com/business/india-business/indias-energy-milestone-half-of-power-capacity-now-from-non-fossil-sources-clean-energy-capacity-driven-by-developers/articleshow/122768091.cms
[11]Vgl. Michael Thomas, LinkedIn, Juni, www.linkedin.com/posts/michael-thomas-4b01054a_congress-is-currently-deciding-the-fate-of-activity-7330265997280452608-rvgf/
[12]International Energy Agency (IEA), Oil Market Report, August 2025, www.iea.org/reports/oil-market-report-august-2025
[13]Alastair Marsh/Lauren Rosenthal, Wall Street Sees Decline in Dealmaking for Oil and Gas Clients, Bloomberg, 6.8.2025, www.bloomberg.com/news/newsletters/2025-08-06/wall-street-sees-decline-in-dealmaking-for-oil-and-gas-clients
[14]European Central Bank, Climate Risks: No Longer the Tragedy of the Horizon, The ECB Blog, 9.7.2025, www.ecb.europa.eu/press/blog/date/2025/html/ecb.blog20250709~aed804c955.en.html
[15] ICJ, Obligations of States in Respect of Climate Change, www.icj-cij.org/case/187; siehe dazu ausführlich den Beitrag von Michael Lysander Fremuth in diesem Heft.
[16]IAGMR, Advisory Opinion, AO-32/25, 29.5.2025, www.corteidh.or.cr/docs/opiniones/seriea_32_en.pdf
[17] UNRIC, Weltweite UN-Umfrage: 4 von 5 Menschen wünschen sich mehr Klimaschutz, 20.6.2024, www.unric.org/de/weltweite-un-umfrage-4-von-5-menschen-wuenschen-sich-mehr-klimaschutz/
[18]Adrien Fabre/Thomas Douenne/Linus Mattauch, Majority Support for Global Redistributive and Climate Policies, Nature Human Behaviour, 9. Jg., 2025, S. 1583–1594, www.doi.org/10.1038/s41562-025-02175-9
[19]Peter Andre et al., Globally Representative Evidence on the Actual and Perceived Support for Climate Action, Nature Climate Change, 14. Jg., 2024, S. 253–259, www.nature.com/articles/s41558-024-01925-3
[20] Vgl. etwa Jule Könneke/Ole Adolphsen, Traditionelle Konflikte und dynamische Koalitionen auf der Weltklimakonferenz, SWP-Aktuell 2024/A 02, 19.1.2024, www.swp-berlin.org/publikation/traditionelle-konflikte-und-dynamische-koalitionen-auf-der-weltklimakonferenz




