Sollte Deutschland einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat erhalten? Nein!
Es passiere selten, »dass ein Land gebeten« wird, »eine privilegierte Stellung einzunehmen«, das müsse es »schon selber wollen« – so ließ sich im Jahr 2004 ein anonym bleibender Kanzleramtsmitarbeiter in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zitieren, als Deutschland »unter dem Gesichtspunkt größerer regionaler Ausgewogenheit« sowie veränderter »geopolitischer Realitäten« seinen Anspruch auf einen ständigen Sitz formulierte.
In den vergangenen fast zwei Jahrzehnten ist diese Forderung zum Mantra deutscher UN-Politik geronnen – verklausuliert als die Erklärung einer »Bereitschaft«, »als ständiges Mitglied größere Verantwortung zu übernehmen«, wie Bundeskanzler Olaf Scholz zuletzt im September 2022 vor der UN-Generalversammlung formulierte.
Schon im Jahr 2004 gab es aber kaum einen guten Grund, warum ein Land, das – wie die nationale Sicherheitsstrategie gerade in Erinnerung rief – »in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt dienen« will, eine »privilegierte Stellung« anstrebt. Richtig ist zwar, dass sich neben der Geberposition im Laufe der letzten zwei Jahrzehnte auch der deutsche Anteil der Zahlungen für Entwicklungshilfe am Bruttonationaleinkommen, die sogenannte ›ODA‹-Quote, die als ein Ausweis der UN-Zusammenarbeit gilt, über die erwünschten 0,7 Prozent hinaus erhöht hat. Dies war aber nur deshalb möglich, weil der starke Zuwachs an geflüchteten Menschen nach Deutschland ab dem Jahr 2015 in Teilen angerechnet werden konnte.
Zweitens sollten aus einer starken Geberposition gerade dann keine Privilegien abgeleitet werden, wenn eine »regelbasierte internationale Ordnung mit starken Vereinten Nationen in ihrem Zentrum« auf der Grundlage des Prinzips der »souveränen Gleichheit der Staaten« befördert werden soll. Auch dies findet sich in der nationalen Sicherheitsstrategie. Dies gilt umso mehr, wenn man die weitere Schwächung der deutschen Position seit dem Jahr 2004 in Rechnung stellt, die üblicherweise mit dem Anteil am Weltbruttosozialprodukt und an der Weltbevölkerung bemessen wird. Zwischen den Jahren 2004 und 2022 ist ersterer von 4,2 Prozent auf 3,27 Prozent gesunken, letzter von 1,34 auf mittlerweile nur noch 1,08 Prozent. Gerade wenn man diese Zahlen mit anderen Staaten vergleicht, die ebenfalls einen Anspruch auf einen ständigen Sitz erheben, wird die Legitimität des deutschen Anspruchs zusätzlich geschwächt: Brasilien kann auf einen Anteil von 2,35 Prozent am Weltbruttosozialprodukt und von 2,8 Prozent an der Weltbevölkerung verweisen, Indien sogar auf 7,2 beziehungsweise 18,3 Prozent.
Die ins Feld geführten »geopolitischen Realitäten« haben im Verlauf der letzten beiden Jahrzehnte also gerade den nationalen Anspruch Deutschlands auf einen ständigen Sitz zusätzlich unter-
graben. Bestenfalls ein gemeinsamer Sitz der Europäischen Union (EU) wäre noch zu rechtfertigen. Dies gilt umso mehr, wenn man die »regionale Ausgewogenheit« der Besetzung des Sicherheitsrats hinzunimmt: Dass die UN neben den bereits drei europäischen ständigen Mitgliedern noch einen weiteren europäischen Staat mit Sitz brauchen, klingt geradezu absurd, weil Afrika und Lateinamerika bislang überhaupt nicht und Asien – alleine mit China – nur relativ schwach vertreten sind.
Alles spricht dafür, dass Deutschland seine Position revidiert. Das kann recht einfach – und konsistent mit seiner normativen Positionierung – dadurch geschehen, dass man sich für eine Reform des Sicherheitsrats einsetzt, die unter anderem die Aufhebung des Wiederwahlverbots nach Artikel 23, Absatz 2 der UN-Charta realisiert. Dann könnte etwa Deutschland sich alle zwei Jahre bewerben und wäre zudem durch mögliche Wiederwahlen mit einer weit höheren Legitimation ausgestattet als jene, die sich an ihre ständigen Sitze klammern.
Zum Standpunkt von Florian Laudi (pro), Beauftragter für die Vereinten Nationen und Terrorismusbekämpfung im Auswärtigen Amt.