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Eine Nachkriegsordnung mit oder ohne die UN?

Der Syrien-Konflikt spaltet den Sicherheitsrat, die Genfer Friedensgespräche stagnieren. Angesichts dieser eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten ist schwer absehbar, welche Rolle die Vereinten Nationen in einer Nachkriegsordnung spielen werden.

Drei UN-Fahrzeuge fahren durch einen von Bomben zerstörten Stadtteil von Homs.
Im März 2017 bahnt sich ein Konvoi von UN-Fahrzeugen, unter anderem mit dem UNICEF-Regionaldirektor für den Nahen Osten und Nordafrika Geert Cappelaere, seinen Weg durch die zerstörte Altstadt von Homs. (UNICEF/UN056256/Ebo)

Im Syrien-Konflikt haben sich die Vereinten Na­tionen als wenig handlungsfähig erwiesen. Es ist eine der größten humanitären Krisen nach dem Zweiten Weltkrieg, mehr als die Hälfte der Bevölkerung wurde vertrieben.

Das syrische Regime ist mithin Gewaltakteur weit über das militärische Geschehen hinaus. Rechtsexpertinnen und -experten sprechen von einem »Töten industriellen Ausmaßes« in syrischen Regime-Gefängnissen.[1] Eine friedensorientierte Lösung würde daher erfordern, sich nicht nur auf das militärische Geschehen, sondern ebenso auf eine politische Neuordnung Syriens zu konzentrieren. Derzeit spricht jedoch alles dafür, dass es in der nächsten Zeit keine wie eigentlich in den Genfer Friedensgesprächen vorgesehene Macht­über­gabe geben wird, sondern dass sich die syrische Regierung unter Präsident Baschar Al-Assad mit militärischen Mitteln an der Macht behauptet.

Aus den Erfahrungen, die die Vereinten Nationen über die Jahre des Konflikts mit dem Regime gemacht haben, lassen sich Rückschlüsse über den künftig zu erwartenden Kooperationswillen des Regimes ziehen, der den Handlungsspielraum der einzelnen UN-Organisationen bedingen wird.

Das UN-Engagement in Syrien

Das für die Konfliktbearbeitung entscheidende Gremium, der UN-Sicherheitsrat, ist tief gespalten: Seit dem Jahr 2011 verabschiedete er 15 Resolutionen zu Syrien, weitere 15 sind gescheitert – zumeist am russischen und chinesischen Veto.[2] Russland engagiert sich in Syrien als Konfliktpartei auf der Seite des syrischen Regimes und flankierte sein mili­tärisches Eingreifen in Syrien diplomatisch mit seinem Veto im Sicherheitsrat.

Grundlage der Friedensgespräche in Genf ist die Sicherheitsratsresolution 2254 aus dem Jahr 2015.[3] Sie beinhaltet eine Friedenslösung über eine Machtübergabe, weg von Präsident Baschar Al-Assad hin zu einer inklusiven Nachfolge. Ein Abdanken ­Assads ist somit nicht, wie es oft dargestellt wird, eine Maximalforderung der Opposition, sondern eine Minimalanforderung an eine friedensorientierte Nachkriegsordnung, die nur dann eine Chance hat, wenn nicht nur Assad, sondern auch der Machtapparat der Geheimdienste an weiteren Menschenrechtsverbrechen gehindert und für begangene zur Verantwortung gezogen wird.

Die Arabische Liga und die Vereinten Nationen ernannten im Februar 2012 den ehemaligen Ge­neralsekretär der Vereinten Nationen Kofi Annan zum gemeinsamen Sondergesandten für Syrien. ­Bereits im August desselben Jahres legte er sein Amt nieder – der »destruktive Wettstreit« westlicher und arabischer Mächte sowie Russlands habe es unmöglich gemacht, in Syrien Frieden herbei­zuführen.[4] Die Bemühungen seiner Nachfolger ­Lakhdar Brahimi (2012–2014) und Staffan de Mistura (2014–2018) waren nicht von mehr Erfolg gekrönt. Auch in kleinerem Maßstab konnten keine Kompromisse zwischen den Konfliktparteien gefunden werden, wobei der massivste Widerstand vom syrischen Regime ausging, das sich auch nicht zu humanitären – und potenziell vertrauensbildenden – Maßnahmen wie einer Freilassung politischer Gefangener oder der Aufklärung des Schicksals Zehntausender Verschwundener bereit zeigte. Die Geringschätzung des syrischen Regimes für den UN-geführten Friedensprozess zeigt sich nicht zuletzt daran, dass Staffan de Mistura die letzten zweieinhalb Jahre seiner Amtszeit kein Visum für Damaskus mehr erhielt.

Auch in kleinerem Maßstab konnten keine Kompromisse zwischen den Konfliktparteien gefunden werden.

Obwohl Russland den Genfer Prozess offiziell unterstützt, etablierte es im Jahr 2016 das ›Astana-Format‹: Konferenzen, die weniger den Verhandlungen dienen, als vielmehr den Vereinbarungen zwischen Iran, Russland und der Türkei, die den UN-geführten politischen Prozess vor vollendete Tatsachen stellen und ihn somit schwächen. Wenngleich die Ende des Jahres 2016 daraus hervorgegangenen Deeskalationszonen zunächst die Situation der Zivilbevölkerung zu verbessern schienen, hat sich seither gezeigt, dass sie nicht einer inklusiven Friedenslösung dienten, sondern militärisches Kalkül waren.[5] Während Interventionskritikerinnen und -kritiker stets betonten, dass es keine militärische Lösung gebe, sind das syrische Regime und seine Verbündeten gerade dabei, eine ebensolche durchzusetzen.

Außerdem erhalten UN-Menschenrechtsinstitutionen vom Regime keinen Zugang. Das betrifft das Hohe Kommissariat der Vereinten Nationen für Menschenrechte (Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights – OHCHR) ebenso wie die im August 2011 durch den Menschenrechtsrat (Human Rights Council – HRC) geschaffene unabhängige internationale Untersuchungskommission für die Arabische Republik Syrien[6] und den durch die Generalversammlung im Dezember 2016 etablierten internationalen, unparteiischen und unabhängigen Mechanismus zur Unterstützung der Ermittlungen gegen die Verantwortlichen für die seit März 2011 in der Arabischen Republik Syrien begangenen schwersten völkerrechtlichen Verbrechen und ihrer strafrechtlichen Verfolgung (International, Impartial and Independent Mechanism to Assist in the Investigation and Prosecution of Persons Responsible for the Most Serious Crimes under International Law Committed in the Syrian Arab Republic since March 2011 – IIIM).[7]

Prominente UN-Menschenrechtsvertreterinnen und -vertreter haben ihre Frustration über die Unfähigkeit der Vereinten Nationen, Menschenrechten zur Geltung zu verhelfen, zum Ausdruck gebracht. Carla del Ponte, frühere Chefanklägerin der UN-Untersuchungskommission für Syrien, kritisierte bei ihrem Rücktritt, sie sei nur als »Alibi-Ermittlerin« eingesetzt worden, die Mitglieder des Sicherheitsrats hätten keine Gerechtigkeit gewollt.[8] Der ehemalige Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte Zeid Ra’ad Al-Hussein sieht das Problem in der Vetomacht der fünf ständigen Mitglieder (Permanent Five – P5) im Rat.[9]

Laut Schätzungen des Hohen Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen (Office of the United Nations High Commissioner for Refugees – UNHCR) sind mittlerweile mehr als 13 Millionen Syrerinnen und Syrer auf humanitäre Hilfe angewiesen.[10] Das entspricht mehr als der Hälfte der syrischen Bevölkerung vor dem Jahr 2011. Humanitäre Angelegenheiten sind daher äußerst wichtig, doch auch hier zeigt sich, wie begrenzt die Handlungsmöglichkeiten der UN in einem politischen Konflikt dieser Tragweite sind. Humanitäre Hilfe sollte sich unabhängig von der politischen Zugehörigkeit der zu Versorgenden an den Bedürfnissen orientieren. So lieferten die Vereinten Nationen in den ersten Jahren des Konflikts Hilfsgüter ausschließlich in Regimegebiete. Grenz- und Konfliktlinien überschreitende humanitäre Hilfe wurde erst im Jahr 2014 möglich.[11] Der sogenannte ›Gesamtsyrien-Ansatz‹ stellte einen positiven Schritt dar, der grundsätzlich erlaubte, mehr Menschen in Not zu erreichen.

Allerdings begann das Regime schon im Jahr 2012 mit Belagerungen – einer Strategie, mit der das Verhindern und Zerstören der humanitären Versorgung in großem Stil als Waffe gegen die ei­gene Bevölkerung eingesetzt wird. Millionen von Menschen wurden durch das syrische Regime und seine Verbündeten eingeschlossen, die Gesundheitsinfrastruktur in diesen Gebieten zerstört und die Zugänge abgeriegelt. Keine der Belagerungen wurde durch Verhandlungen wieder aufgehoben – die erzwungene Kapitulation und Wiedereroberung der Gebiete durch das Regime war mithin der einzige Weg zum Ende einer Belagerung.

Die Vereinten Nationen befinden sich in einer schwierigen Situation: Zweifelsohne müssen sie humanitäre Hilfe leisten, können dies jedoch nicht ethischen Standards entsprechend tun. Das liegt daran, dass die Geldgeber sich nicht genügend dafür einsetzen und auf diese Weise zulassen, dass das syrische Regime die Bedingungen für die Hilfe setzt.

Belagerungen folgen dem zynischen Kalkül, die Zivilbevölkerung zu schwächen, um einen militärischen Sieg zu befördern. Angesichts des Ausmaßes menschlichen Leids, den bestimmte Orte und Landstriche erfahren haben – Aleppo, Daraya, Madaya, Ost-Ghuta oder Yarmouk, um nur einige zu nennen –, hätten mehr Hilfskonvois einen großen Unterschied für die Bevölkerung ausgemacht. Sie wären jedoch nicht kriegsentscheidend gewesen. Dennoch hat das syrische Regime nur wenige Genehmigungen erteilt und selbst dann noch die Verteilung der Güter durch Bombardements verhindert, in einem Fall sogar einen ge­nehmigten Konvoi bombardiert. Es war und ist gängige Praxis, dass das Regime insbesondere medizinische Güter aus den Lieferungen entfernt.[12]

Der Grund, aus dem das syrische Regime humanitäre Hilfe in begrenztem Maß zulässt, ist offensichtlich nicht die Sorge um das Wohlergehen der Menschen, sondern der Umstand, dass es selbst davon profitieren kann. Wie sehr das Regime von humanitären Hilfen profitierte, unfreiwillig oder aus Verkennung des Umstands, beschreibt ein ­Bericht der nichtstaatlichen Organisation (NGO) ­Syria Campaign aus dem Jahr 2016.[13]

Im Vorfeld der Friedensverhandlungen in Genf im Januar 2014 (›Genf II‹) und im Februar 2016 (›Genf III‹) trieb das syrische Regime augenscheinlich das Leid in bestimmten Orten besonders in die Höhe. Infolgedessen wurden internationale Konferenzen, bei denen es eigentlich um eine Machtübergabe gehen sollte, von humanitären Fragen dominiert.

Der Gesundheitssektor ist mit am stärksten vom Krieg in Syrien betroffen.

Der Gesundheitssektor ist mit am stärksten vom Krieg in Syrien betroffen. Mehr als 50 Prozent der syrischen Krankenhäuser sind zerstört, mehr als 70 Prozent der syrischen Ärztinnen und Ärzte, Pflegekräfte und Krankenschwestern wurden getötet, gekidnappt oder vertrieben.[14] Insbesondere die Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization – WHO) gilt jedoch als regimenah. Bisher trug sie wenig dazu bei, den Gesundheitssektor zu schützen und im Sinne ihres Mandats das allgemein gültige Recht auf medizinische Versorgung zu unterstützen. Ein Beispiel dafür ist die von der WHO finanzierte Blutbank in Syrien, die dem syrischen Verteidigungsministerium untersteht. Es liegt nahe, dass hier nicht zivile Interessen im Vordergrund stehen, sondern dass diese Maßnahme möglicherweise kriegsrelevant ist.[15]

Wo können die UN aktiv sein?

Bislang hat das syrische Regime kein authentisches Interesse an einem politischen Prozess unter der Ägide der Vereinten Nationen erkennen lassen. In Bereichen wiederum, aus denen es finanziell und innenpolitisch profitieren konnte, hat es sich auf eine begrenzte Kooperation eingelassen, darunter Maßnahmen zur Instandsetzung beschädigter Infrastruktur durch das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (United Nations Development Programme – UNDP). Dennoch verhindert das Regime auch hier, dass die UN-Organisationen dem Anspruch auf neutrale Unterstützung der Bedürftigsten nachkommen können.

Die ehemalige Sonderbeauftragte des UN-Generalsekretärs für sexuelle Gewalt in Konflikten, Zainab Hawa Bangura hat keine glorreiche Rolle gespielt. Nach einer Mission im Jahr 2015, bei der sie mit Überlebenden sexualisierter Gewalt, ihren Angehörigen und Frauenrechtsorganisationen sprach, legte die Presseerklärung nahe, dass es lediglich um sexualisierte Gewalt durch den sogenannten Islamischen Staat (Da’esh – IS) gegangen sei.[16]

Zweifelsohne ist der IS mit der Entführung, Vergewaltigung und dem ›Verkauf‹ Tausender jesidischer Frauen massiv an sexualisierter Gewalt in Syrien beteiligt. Doch gleichzeitig haben auch Zehntausende syrische Frauen, Männer und Kinder in der Haft der syrischen Regierung direkte und indirekte sexualisierte Gewalt erfahren. Dass diese Vorfälle im öffentlichen Diskurs der Sonderbeauftragten kaum Erwähnung fanden, ist ein bedenkliches Zeichen, denn die Zurückhaltung der UN hat keinesfalls zu einer Verbesserung der Situation geführt. Den Überlebenden, die intimste Erlebnisse geteilt hatten, wurde vermittelt, dass ihre Stimme nur dann Gehör findet, wenn sie sexualisierte Gewalt durch die Kriegspartei erfahren, über deren Ächtung international Konsens besteht. Erst in einem späteren Bericht der UN-Untersuchungskommission zu Syrien wurden die Vorwürfe systematischer sexualisierter Gewalt durch Regimetruppen bestätigt und offiziell thematisiert.[17]

Darüber hinaus wurden die Vorstöße des UN-Sondergesandten für Syrien Staffan de Mistura, Frauen in die Verhandlungen einzubeziehen, eher skeptisch betrachtet. Schnell wurde deutlich, dass die jeweiligen Verhandlungsdelegationen, die über einen kaum wahrnehmbaren Frauenanteil verfügten, von ihm – wie auch seinen Vorgängern – nicht dazu angehalten wurden, Männer und Frauen gleichermaßen an der Lösung eines für sie gleichermaßen relevanten Konflikts zu beteiligen. Stattdessen fügte de Mistura den Genfer Treffen einen unabhängigen Frauenbeirat (Women’s Advisory Board) hinzu, in dem sich Frauen in beratender Funktion äußern dürfen. Daran ist jedoch keinerlei Verpflichtung geknüpft, dem Gesagten Rechnung zu tragen. Anstatt Frauenrechte und Frauenbeteiligung zu stärken, dient diese Konstellation eher dazu, Vereinbarungen einen Anschein von Legitimität zu verleihen.

Am Verhalten der syrischen Geheimdienste ist nicht erkennbar, dass Syrien dem Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe im Jahr 2004 beigetreten ist. Schon vor dem Jahr 2011 war Folter in syrischen Gefängnissen nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Seit Beginn des Konflikts hat diese ein ungeahntes Ausmaß an­genommen. Mehr als 70 000 Menschen gelten in ­Syrien als ›verschwunden‹, die meisten nach der ­Verhaftung durch das syrische Regime. Die Do­kumente des Militärfotografen ›Caesar‹ haben ­gezeigt, dass Tod durch Folter, die Verweigerung ­medizinischer Hilfe und Verhungernlassen systematisch stattfinden und als ›Strategie der Eliminierung‹ bezeichnet werden können.

Auch der Einsatz von Chemiewaffen ist ein Beispiel sowohl für die ›Verlässlichkeit‹, mit der sich das syrische Regime an internationale Vereinbarungen hält, als auch für die Zahnlosigkeit der Vereinten Nationen in deren Umsetzung. 98 Prozent der Chemiewaffeneinsätze erfolgten durch das syrische Regime, der Rest (Senfgas) durch den IS.[18] Obwohl Russland einem Mandat der Organisation für das Verbot Chemischer Waffen (Organization on the Prohibition of Chemical Weapons – OPCW) zugestimmt hatte, das seit dem Jahr 2018 auch ­erlaubt, die Urheberschaft zu benennen, zweifelte es die Erkenntnisse der OPCW an.

Der UN-Sicherheitsrat verabschiedete Resolutionen gegen den Einsatz von Chemiewaffen in ­Syrien. In der Resolution 2209 werden sogar Maßnahmen unter Kapitel VII der UN-Charta angedroht – bis hin zu einer Intervention.[19] Obwohl auf der Hand liegt, dass das syrische Regime entgegen seiner mit dem Beitritt zum Übereinkommen über das Verbot der Entwicklung, Herstellung, Lagerung und des Einsatzes chemischer Waffen und über die Vernichtung solcher Waffen (Convention on the Prohibition of the Development, Production, Stockpiling and Use of Chemical Weapons and on Their Destruction – CWC) einhergehenden Verpflichtung sein Arsenal nicht vollständig zerstört hat und weiterhin Chemiewaffen einsetzt, ahndet der Sicherheitsrat diese Verstöße nicht.

Prioritäten und Perspektiven

Priorität bei einer Nachkriegsordnung sollte es sein, Sicherheit für die syrische Bevölkerung zu gewährleisten, auch im Hinblick darauf, dass dies die elementare Voraussetzung für eine Rückkehr geflüchteter Syrerinnen und Syrer darstellt. Zwar ist die derzeitige Debatte weit von der Entsendung einer Friedensmission entfernt, dennoch sollte dieser Aspekt in Überlegungen zur Rolle der Vereinten Nationen in einer Nachkriegsordnung nicht ausgeblendet werden.

Sicherheit, so wichtig sie ist, stellt jedoch gleichzeitig aus drei Gründen das schwierigste Kapitel dar: die Präsenz auswärtiger bewaffneter Gruppen und Militärs, syrischer bewaffneter Gruppen auf Oppositionsseite, die nach einem Sieg Assads nicht verschwunden sein werden und Anschläge verüben könnten, und die Erosion des Machtmonopols des syrischen Regimes.

Momentan befinden sich zahlreiche externe bewaffnete Akteure in Syrien: russisches Militär und Militärpolizei, Tausende von Iran unterstützte ­Milizen wie die Hisbollah, afghanische, pakistanische, irakische und iranische Kräfte auf Regimeseite; die Türkei ist militärisch engagiert und bleibt perspektivisch so lange, wie sie einen Grund sieht, kurdische Unabhängigkeitsbestrebungen zu unterbinden. Trotz der Ankündigung des US-Präsidenten Donald Trump, amerikanische Truppen abziehen zu wollen, scheint es, als würden die USA zumindest mittelfristig Hunderte Soldaten östlich des Euphrats belassen. Zudem befinden sich IS-Kämpferinnen und -Kämpfer aus Nordafrika und Europa in Gefangenschaft der Kurden, für die es bislang keine Lösung gibt.

Priorität bei einer Nachkriegsordnung sollte es sein, Sicherheit für die syrische Bevölkerung zu gewährleisten.

Oppositionelle bewaffnete Gruppen machten während des Konflikts die Erfahrung, dass sie von westlichen Staaten keinen Schutz und kaum Unterstützung erhielten und von arabischen Staaten lediglich in deren eigenem Sinne und nicht bei ­ihren eigentlichen Anliegen unterstützt wurden. Der Mangel an Glaubwürdigkeit westlicher Staaten und auch der Vereinten Nationen dürfte sie einer Präsenz von UN-Friedenssicherungskräften nicht gewogen machen. Das würde ein Risiko bedeuten – insbesondere, wenn UN-Truppen als Handlanger des Regimes wahrgenommen werden, weil sie nicht in der Lage sind, ausreichend Schutz zu gewähren.

In den Gegenden unter formaler Kontrolle des syrischen Regimes ist die durch den Konflikt sehr geschwächte syrische Armee keinesfalls der einzige sicherheitsrelevante Akteur. Teile der syrischen Armee befinden sich unter iranischer und russischer Kontrolle. Daneben gibt es eine Vielzahl anderer Milizen und Bürgerwehren, die Ortschaften oder Stadtteile kontrollieren.[20]

Auch deswegen wäre die Entsendung einer UN-Friedensmission mit Risiken behaftet: Ob mit der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), bewaffneten palästinensischen Gruppen oder der Hisbollah, das syrische Regime hat stets versucht, diese für seine eigenen Interessen gegen Feinde einzusetzen oder benachbarte Staaten zu destabilisieren, während es seine Hände gleichzeitig in Unschuld gewaschen und jegliche Beziehungen zu diesen Gruppen a­bgestritten oder verharmlost hat. Es ist unwahrscheinlich, dass es dies in Zukunft aufgeben wird. Ebenso erfolgreich setzte das Regime ­islamistische Gewaltakteure zu seinen Zwecken ein: von der Rekrutierung für den Irak zwischen den Jahren 2003 und 2006 über das gezielte Freilassen von Dschihadisten aus syrischen Gefängnissen oder ungeschriebene Stillhalteabkommen mit dem IS. Die Präsenz und Aktivität dieser Gruppen löst in westlichen Staaten den unmittelbaren Reflex aus, das Regime selbst als geringeres Übel zu betrachten, sodass das Verbleiben Assads an der Macht auch in dieser Hinsicht eine Fortdauer der Gefährdung bedeutet.

Nur wenige Handlungsmöglichkeiten?

So wie das Regime innerhalb Syriens eine Politik der verbrannten Erde verfolgt, wirkt der Syrien-Konflikt auf internationaler Ebene vergleichbar verheerend für internationale Normen und somit auch die Vereinten Nationen als deren Hüter. Bereiche, in denen die UN mit einem eingeschränkten Kooperationswillen des Regimes rechnen können, sind humanitäre Hilfe, Instandsetzungs- und Wiederaufbaumaßnahmen sowie Minderheitenschutz.

Ebenso wichtig wäre es, dass die UN bei von ihnen unterstützten Wiederaufbaumaßnahmen prüfen, inwieweit diese im Sinne der Zivilbevöl­kerung sind, oder ob diese erlittenes Unrecht fortsetzen und sanktionieren – so zum Beispiel bei Bauprojekten auf zuvor entvölkerten Gegenden, bei denen den Bewohnerinnen und Bewohnern eine Rückkehr verwehrt oder durch administrative Maßnahmen unmöglich gemacht wird.[21]

Das ist insbesondere wichtig, weil die russische Regierung das derzeitige Leitmotiv westlicher Staaten und der UN – ›Wiederaufbau nur, wenn es eine politische Machtübergabe gibt‹ – zu entkoppeln versucht und die Rückkehr von Flüchtlingen als Gegenleistung für einen Wiederaufbau verspricht. Gleichzeitig demonstriert das syrische Regime, dass es an einer Rückkehr von Flüchtlingen wenig interessiert ist und Wiederaufbau im Wesentlichen als Investitionen in Luxusprojekte und Geschäftsmodelle begreift. Während viele Syre­rin­nen und Syrer durch die flächendeckende Zer­störung von Wohnvierteln und Infrastruktur alles verloren haben und sozialer Wohnungsbau somit oben auf der internationalen Agenda stehen sollte, sieht sich das Regime geradezu gezwungen, sich in gehobenen Bauvorhaben zu engagieren.[22]

Was Menschenrechtsverletzungen betrifft, ist klar, dass diese nicht vor syrischen Gerichten verhandelt werden können. Da Versuche des UN-Sicherheitsrats, Syrien an den Internationalen Strafgerichtshof (International Criminal Court – ICC) in Den Haag zu verweisen, gescheitert sind, ist unwahrscheinlich, dass dies in Zukunft möglich sein wird. Insofern kommt dem IIIM eine zentrale Rolle dabei zu, Gerichtsprozesse in Staaten, in denen syrische Bürgerinnen und Bürger ihre Rechte im Rahmen des Weltrechtsprinzips geltend machen, zu unterstützen. Nationale Gerichtsverfahren stellen eine große Herausforderung für die betreffenden Staaten dar, weil sie mit einem erheblichen finanziellen und personellen Aufwand verbunden sind. Insofern kann der IIIM eine maßgebliche Rolle dabei spielen, diese Verfahren mit seiner Expertise und mit den von ihm gewonnenen Erkenntnissen zu erleichtern.

Sofern sich die politische Situation in Syrien nicht grundlegend ändert, werden die Vereinten Nationen auch in einer Nachkriegsordnung in Syrien nur eingeschränkt und punktuell eine kon­struktive Rolle spielen können.

[1]  Susanne Koelbl, The War Crimes Lawyer Hunting Syrian War Criminals, Spiegel Online, 6.6.2016, www.spiegel.de/international/world/david-crane-is-creating-database-of-assad-war-crimes-a-1095735.html

[2]  Siehe Security Council Report, UN Documents for Syria, abrufbar unter www.securitycouncilreport.org/un-documents/syria/

[3]UN-Dok. S/RES/2254 v. 18.12.2015.

[4]Ian Black, Kofi Annan Attacks Russia and West’s ›Destructive Competition‹ Over Syria, The Guardian, 6.7.2012, www.theguardian.com/world/2012/jul/06/kofi-annan-syria-destructive-competition

[5]Christian Böhme/Thomas Seibert, Der Frieden in Syrien muss warten, Der Tagesspiegel, 20.12.2018, www.tagesspiegel.de/politik/verfassungskommission-der-frieden-in-syrien-muss-warten/23779898.html

[6]Siehe OHCHR, Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic, www.ohchr.org/en/hrbodies/hrc/iicisyria/pages/independentinternationalcommission.aspx

[7] Siehe dazu auch den Beitrag von Patrick Kroker in diesem Heft.

[8]Carla Del Ponte, »Der Sicherheitsrat will keine Gerechtigkeit«, Zeit Online, 7.8.2017, www.zeit.de/politik/ausland/2017-08/carla-del-ponte-syrien-vereinte-nationen

[9]Outgoing UN Rights Chief Rails Against Security Council Veto System, Times of Israel, 21.8.2018, www.timesofisrael.com/outgoing-un-rights-chief-rails-against-security-council-veto-system/

[10]UNCHR, Syria Emergency, www.unhcr.org/en-us/syria-emergency.html

[11] UN-Dok. S/RES/2165 v. 14.7.2014.

[12] Siehe UN-Berichte UN Doc. S/2019/157 v. 19.2.2019; S/2019/321 v. 16.4.2019 über die Umsetzung von UN-Dok. S/RES/2139 v. 22.2.2016.

[13]The Syria Campaign, Taking Sides: The United Nations’ Loss of Impartiality, Independence and Neutrality in Syria, Mai 2016, verfügbar unter takingsides.thesyriacampaign.org/wp-content/uploads/2016/06/taking-sides.pdf

[14]Omer Karasapan, The War on Syria’s Health System, Brookings, 23.2.2016, www.brookings.edu/blog/future-development/2016/02/23/the-war-on-syrias-health-system/

[15]Annie Sparrow, Enabling Assad, Foreign Affairs, 11.1.2017, www.foreignaffairs.com/articles/syria/2017-01-11/enabling-assad

[16]Marc Pitzke, Interview mit Zainab Hawa de Bangura, Sexuelle Sklaverei unter dem IS, »Dies ist ein Krieg gegen Frauen«, Spiegel Online, 11.6.2015, www.spiegel.de/politik/ausland/is-und-gewalt-gegen-frauen-uno-beauftragte-zainab-bangura-im-interview-a-1038073.html

[17] UN Doc. A/HRC/37/CRP.3 v. 8.3.2018.

[18]Tobias Schneider/Theresa Lütkenfend, Nowhere to Hide: The Logic of Chemical Weapons Use in Syria, Global Public Policy Institute (GPPI), 17.2.2019, verfügbar unter www.gppi.net/2019/02/17/the-logic-of-chemical-weapons-use-in-syria

[19] UN-Dok. S/RES/2209 v. 6.3.2015.

[20]Tobias Schneider, The Decay of the Syrian Regime Is Much Worse Than You Think, War on the Rocks, 31.8.2016, verfügbar unter warontherocks.com/2016/08/the-decay-of-the-syrian-regime-is-much-worse-than-you-think/

[21]Das im April 2018 in Kraft getretene sogenannte Dekret 10 ermöglicht es der syrischen Regierung, Besitzer zu enteignen, wenn sie ihre Eigentumsrechte nicht innerhalb eines Jahres beim lokalen Amt für Wiederaufbau nachweisen, siehe hierzu unter anderem Sune Haugbolle, Law No. 10: Property, Lawfare, and New Social Order in Syria, Syria Untold, 26.7.2018, syriauntold.com/2018/07/26/law-no-10-property-lawfare-and-new-social-order-in-syria/

[22]Syrian Law Journal, The New Urban Renewal Law in Syria, 14.5.2018, online unter www.syria.law/index.php/new-urban-renewal-law-syria/

 

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