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Ein Lieferkettengesetz 3.0 auf UN-Ebene?

Das deutsche und das Lieferkettengesetz der Europäischen Union (EU) markieren einen Paradigmenwechsel von der freiwilligen zur verbindlichen Unternehmensverantwortung. Die Verhandlung über ein UN-Übereinkommen für Wirtschaft und Menschenrechte bietet die Gelegenheit für eine nachhaltige Weltwirtschaft. Deutschland und die EU sollten sie nutzen.

Kohleabbau in Südafrika. UN Photo/Gill Fickling

Zahlreiche Menschenrechtsskandale haben in den letzten Jahrzehnten die Weltöffentlichkeit aufgerüttelt. Dazu gehören die wiederholten, tödlichen und vermeidbaren Einsturz- und Brandkatastrophen in Textilfabriken in Bangladesch und Pakistan, die Ermordung von 34 streikenden Bergarbeitern im südafrikanischen Marikana im August 2012 sowie die ebenfalls vermeidbaren gigantischen Schlammlawinen infolge von Dammbrüchen der Eisenerzminen im brasilianischen Mariana im Jahr 2015 mit 19 Todesopfern sowie in Brumadinho im Jahr 2019 mit 272 Toten. Es handelt sich nur um die Spitze des Eisbergs: Eine Studie der Universität Maastricht zählte allein zwischen den Jahren 2005 und 2014 weltweit 1877 Vorwürfe gegen wirtschaftsbezogene Menschenrechtsverletzungen.[1] 

Über ein Drittel der Fälle betraf den Abbau von metallischen und Energierohstoffen sowie die Energieversorgung und -infrastruktur. Weitere menschenrechtliche Brennpunkte sind die Landwirtschaft, Fertigungsbetriebe für Textilien und Spielzeug, die Elektronik- und Telekommunikationsbranche, die Pharmaindustrie und der Einzelhandel. Die Menschenrechtsverletzungen reichen von der Zerstörung von Umwelt und Lebensgrundlagen, Landvertreibung über Ausbeutung von Arbeiterinnen und Arbeitern, Einschränkung der Meinungsfreiheit und Selbstbestimmungsrechte bis hin zur Ermordung von Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidigern. Nicht selten tragen auch deutsche Unternehmen zu solchen Menschenrechtsverletzungen bei, sei es als Exporteure von Waffen oder gesundheitsschädigenden Pestiziden, als Importeure von Kupfer, Platin, Steinkohle oder Kakao, als Investoren in Kaffeeplantagen oder als Kreditgeber, Versicherer und Zulieferer von Kohlekraftwerken, Staudämmen und Bergwerken.[2]

Eine große Schwäche der UN-Leitprinzipien besteht jedoch in ihrer völkerrechtlichen Unverbindlichkeit.

Es gehört zu den Grundwidersprüchen der Globalisierung, dass Betroffene kaum eine Chance haben, Mutterkonzerne oder ausländische Investoren für die Menschenrechtsverstöße ihrer Tochterunternehmen oder Geschäftspartner gerichtlich zu belangen. Sehr wohl aber können Auslandsinvestoren die Gaststaaten wegen vermeintlicher ›unfairer Behandlung‹ oder ›indirekter Enteignung‹ vor internationalen Investitionsschiedsgerichten auf millionenschweren Schadensersatz verklagen. Als indirekte Enteignung oder unfaire Behandlung werten diese mitunter auch Regulierungen in Bereichen der Wasserversorgung, des Gesundheitsschutzes oder der Landverteilung, die ihre sogenannten ›legitimen Erwartungen‹ auf zukünftige Gewinne einschränken. Dies geschieht oftmals auch in Fällen, wo diese Regulierungen der Umsetzung von Menschenrechten und dem Schutz der Umwelt dienen.[3]

UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte

Genau dieser Grundwiderspruch war auch die Triebfeder für die Entwicklung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (Guiding Principles on Business and Human Rights – UNGP), die im Jahr 2011 einstimmig im Menschenrechtsrat (Human Rights Council – HRC) beschlossen wurden. Diese beruhen auf drei ›Säulen‹: 

  • Erstens liegt die Pflicht zum Schutz der Menschenrechte primär bei den Staaten.
  • Zweitens tragen aber auch Unternehmen eine eigene Verantwortung zur Achtung der Menschenrechte – auch für ihre Geschäftsbeziehungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette.
  • Und drittens sind wiederum Staaten verpflichtet, Betroffenen von wirtschaftsbezogenen Menschenrechtsverletzungen Zugang zu Abhilfe zu garantieren, was den Zugang zu Gerichten wie auch außergerichtlichen Beschwerdemechanismen, etwa den nationalen Kontaktstellen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zu den Leitprinzipien für multinationale Unternehmen, umfasst. Auch Unternehmen sollen für Betroffene zugängliche Beschwerdemechanismen einrichten.

Zweifelsohne haben die UNGP das Bewusstsein in Politik und Wirtschaft für menschenrechtliche Herausforderungen geschärft, einen international anerkannten Standard etabliert und eine neue politische Dynamik entfacht. In 34 Ländern haben Regierungen seither Nationale Aktionspläne (NAP) zur Umsetzung der UNGP beschlossen. Das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) seit Anfang 2023 ist zum Beispiel aus dem Umsetzungsprozess zum deutschen NAP hervorgegangen und orientiert sich – ebenso wie die europäische Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) vom Juli 2024 – am Konzept der Sorgfaltspflichten der UNGP.[4]

Eine große Schwäche der UNGP besteht jedoch in ihrer völkerrechtlichen Unverbindlichkeit. Auch inhaltlich bleiben sie in mancherlei Hinsicht hinter den Rechtsauffassungen von UN-Menschenrechtsvertragsorganen zurück. So hat der Ausschuss für soziale, wirtschaftliche und kulturelle Rechte (Committee on Economic, Social and Cultural Rights – CESCR) im Juli 2017 in der Allgemeinen Bemerkung Nr. 24 zu Wirtschaft und Menschenrechten klargestellt, dass Staaten auch außerhalb ihrer eigenen Territorialgrenzen die Menschenrechte achten, schützen und gewährleisten müssen, insofern sie über entsprechende Kontrollmöglichkeiten verfügen.[5] In den UNGP wurden solche extraterritorialen Staatenpflichten noch nicht anerkannt.

Verhandlungen zu einem rechtsverbindlichen Übereinkommen

Daher ist es sehr zu begrüßen, dass der HRC im Juli 2014 – damals gegen die Stimmen von Deutschland und 16 weiteren Industrieländern – eine Offene zwischenstaatliche Arbeitsgruppe (Open-ended intergovernmental working group – OEIGWG) beauftragt hat, ein verbindliches Menschenrechtsinstrument zu transnationalen Unternehmen und anderen Unternehmen (Legally Binding Instrument – LBI) zu erarbeiten.[6] Ein breites Bündnis von über 1000 Menschenrechts-, Entwicklungs- und Umweltorganisationen weltweit verbindet mit einem solchen UN-Übereinkommen für Wirtschaft und Menschenrechte die Hoffnung auf eine internationale Wirtschaftsordnung, in der Unternehmen auch bei Auslandsgeschäften zur Achtung der Menschenrechte verpflichtet werden, Betroffene von Menschenrechtsverletzungen Zugang zu Gerichten in den Heimatländern der Unternehmen erhalten sowie Menschenrechtsübereinkommen völkerrechtlich Vorrang vor Handels- und Investitionsabkommen genießen.[7]

Seither hat die OEIGWG in Genf neunmal getagt. Hatten an der ersten Sitzung im Jahr 2015 lediglich 60 Staaten teilgenommen und die EU-Mitgliedstaaten gänzlich gefehlt, so waren es im Jahr 2016 bereits 80 und im Jahr 2017 sogar 101 Staaten. Eine solch hohe Teilnehmerzahl war für dieses Verhandlungsformat ungewöhnlich und bezeugte eine wachsende Dynamik des Prozesses. Infolge der COVID-19-Pandemie nahm die Anzahl zwar leicht ab, doch auch die neunte Runde im Jahr 2023 zählte 76 teilnehmende Regierungen. Bemerkenswert ist vor allem das gewachsene Interesse der Staaten der Gruppe der Sieben (G7), die die Einrichtung der OEIGWG im Jahr 2014 noch einhellig abgelehnt hatten und zu Beginn größtenteils ferngeblieben waren. Im Jahr 2023 waren sie bis auf Kanada allesamt vertreten, ebenso andere Schwergewichte wie Argentinien, Australien, Brasilien, China, Indien oder Südafrika.[8] Unter der deutschen G7-Präsidentschaft hatte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil im Jahr 2022 erfolgreich darauf hingewirkt, dass die Notwendigkeit eines international verbindlichen Übereinkommens in der Abschlusserklärung anerkannt wurde.

Zu den Stärken des letzten Entwurfs zählt der breite Anwendungsbereich, der alle Unternehmen – auch transnationale – umfasst.

Bemerkenswert ist auch, dass die USA in den Jahren 2022 und 2023 aktiv an den Verhandlungen teilnahmen – ganz im Gegensatz zur EU und ihren Mitgliedstaaten. Diese haben zwar seit dem Jahr 2016 an den Sitzungen teilgenommen und Vertragsentwürfe kommentiert, sich zu einer Beteiligung an formalen Verhandlungen bislang jedoch nicht durchgerungen. Die EU begründet dies mit dem fehlenden Verhandlungsmandat seitens der Mitgliedstaaten. Zu begrüßen ist, dass Frankreich und Portugal der im Jahr 2022 eingerichteten Freundesgruppe des Vorsitzes zu dessen Unterstützung angehören.

Und dennoch: Obwohl die CSDDD am 25. Juli 2024 in Kraft getreten ist, hat die EU-Kommission den Rat immer noch nicht um ein Mandat ersucht, noch hat dieser eine entsprechende Initiative ergriffen. Und obwohl Bundesarbeitsminister Heil und Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze ein Verhandlungsmandat ausdrücklich befürworten, bleibt die Bundesregierung uneins. Dabei hatte das Europäische Parlament ein solches Mandat in einer Resolution vom 18. Januar 2024 zum wiederholten Mal energisch eingefordert.[9]

Vertragsentwurf mit Stärken und Schwächen

Im Vorfeld der neunten Runde im Jahr 2023 hatte der ecuadorianische Vorsitzende der OEIGWG, Cristian Espinosa Cañizares, ohne vorherige Konsultationen verschiedene ›Aktualisierungen‹ gegenüber dem bereits dritten Entwurf des LBI vorgenommen und den neuen Entwurf als »überarbeiteten Entwurf« bezeichnet.[10]10 Während die EU und die USA die Aktualisierungen größtenteils begrüßten, meldeten zivilgesellschaftliche Organisationen und Regierungen aus dem Globalen Süden zahlreiche prozedurale und inhaltliche Kritikpunkte an.[11] Dennoch wurde der überarbeitete Entwurf als Verhandlungsgrundlage herangezogen, wobei bislang nur die Präambel und die ersten drei von insgesamt 24 Artikeln behandelt werden konnten. In der zehnten Runde im Dezember 2024 wurden[12] die Verhandlungen fortgesetzt. 

Zu den Stärken des letzten Entwurfs zählt zunächst der breite persönliche Anwendungsbereich, der gemäß den UNGP alle Unternehmen und alle wirtschaftlichen Aktivitäten, einschließlich solcher mit transnationalem Charakter, umfasst. Die von einigen Regierungen aus dem Globalen Süden geforderte Beschränkung auf transnationale Unternehmen ist im aktuellen Entwurf nicht vorgesehen. Er geht auch über die europäische CSDDD hinaus, die Sorgfaltspflichten auf Unternehmen ab 1000 Beschäftigen und einem Jahresumsatz von 450 Millionen Euro beschränkt und Finanzgeschäfte zunächst ausklammert. Ebenso breit ist der materielle Anwendungsbereich im überarbeiteten Entwurf, der im Prinzip »alle international anerkannten Menschenrechte und Grundfreiheiten« einschließt.[13]

Anders als frühere Entwürfe klammert der überarbeitete Entwurf Umwelt- und Klimaaspekte allerdings gänzlich aus. Vorgaben des dritten Entwurfs zu umwelt- und klimabezogenen Folgeabschätzungen tauchen als Bestandteil von Sorgfaltspflichten nicht mehr auf. Dies ist teilweise dem Umstand geschuldet, dass der Verhandlungsprozess sich im Rahmen des Mandats des HRC bewegt. Befremdlich ist jedoch, dass im Zuge der ›Aktualisierung‹ auch der Bezug auf das Menschenrecht auf eine sichere, saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt gestrichen wurde, der auch umweltbezogene Bestimmungen menschenrechtlich begründet.[14] Die CSDDD enthält dagegen umweltbezogene Sorgfaltspflichten mit Blick auf eine spezifische Liste internationaler Umweltübereinkommen sowie die Verpflichtung von Unternehmen zur Erstellung von Klimaplänen im Einklang mit dem 1,5-Grad-Celsius-Ziel des Klimaübereinkommens von Paris. 

Deutliche Schwächen weist der überarbeite Entwurf hinsichtlich Sorgfalts-pflichten und Haftungsfragen auf.

Deutliche Schwächen weist der überarbeite Entwurf auch mit Blick auf die Sorgfaltspflichten auf, die die Staaten den Unternehmen auferlegen sollen. Zwar ist die Definition von Sorgfaltspflichten in Artikel 1.8. an die UNGP angelehnt, allerdings bleibt deren Ausgestaltung sehr viel unspezifischer als in der CSDDD. Unklar ist auch, inwieweit Sorgfaltspflichten für die gesamte Wertschöpfungskette eines Unternehmens gelten. Zwar gibt es – anders als in der CSDDD – keine ausdrücklichen Einschränkungen im Bereich der nachgelagerten Lieferkette, etwa mit Blick auf die Verwendung exportierter Güter, jedoch sollen Staaten die Unternehmen gemäß Artikel 6.5. des überarbeiteten Entwurfs lediglich zu Präventionsmaßnahmen gegenüber Drittparteien verpflichten, die das Unternehmen »kontrolliert, verwaltet oder anderweitig überwacht«. Damit droht eine höchst problematische Beschränkung der Sorgfaltspflichten auf Tochterunternehmen und direkte Geschäftspartner, die ein Unternehmen zudem kontrolliert. Dies wäre sogar ein Rückfall gegenüber dem deutschen LkSG, das vollumfängliche Sorgfaltspflichten auf unmittelbare Zulieferer begrenzt. Dabei sind die meisten Menschenrechtsverletzungen gerade am Anfang der Lieferkette zu beklagen, etwa im Bergbau oder auf Plantagen, die damit ausgeblendet würden.

Vage bleibt der überarbeitete Entwurf auch mit Blick auf Haftungsfragen. Zwar verpflichtet Artikel 8 die Staaten zur Etablierung eines »umfassenden und angemessenen Systems rechtlicher Haftung« und erwähnt in 8.2. ausdrücklich »straf-, zivil- oder verwaltungsrechtliche« Haftungsformen, allerdings nur als Optionen, die abhängig von den Rechtsprinzipien des Vertragsstaats und den Umständen zur Anwendung kommen sollen. Im Zuge der ›Aktualisierung‹ hat der Vorsitzende der OEIGWG aus dem dritten Entwurf die ausdrückliche Anforderung gestrichen, dass Schadensersatz ein Element der Haftung sein muss.[15] Zwar sollen die Haftungsformen gemäß Artikel 8.2. (a) die Bedürfnisse von Opfern nach Abhilfe berücksichtigen, allerdings umfasst die Definition von Abhilfe in Artikel 1.9. nicht ausdrücklich einen Schadensersatz. Damit stellt der Entwurf – anders als die CSDDD – nicht zweifelsfrei klar, dass Geschädigte einen zivilrechtlichen Anspruch auf Schadensersatz haben, wenn Unternehmen gegen ihre Sorgfaltspflichten verstoßen und dadurch zu Schäden kausal beitragen.

Komplementarität von CSDDD und UN-Übereinkommen

Diese Schlaglichter machen deutlich, dass die CSDDD in mancherlei Hinsicht über den aktuellen Entwurf des UN-Übereinkommens hinausgeht. Das betrifft vor allem Umweltaspekte, aber auch die Ausgestaltung und Reichweite von Sorgfaltspflichten in Wertschöpfungsketten sowie die Präzision und Rechtssicherheit bei Haftungsfragen. Dabei sollte die EU ein ureigenes Interesse haben, dass das UN-Übereinkommen nicht zu weit hinter eigenen Standards zurückfällt: im Sinne von Menschenrechten, Umwelt und Klima, aber auch im Sinne weltweit gleicher Wettbewerbsbedingungen, die europäische Unternehmen im globalen Wettbewerb nicht benachteiligen. Daher sollten die EU und die deutsche Bundesregierung an den benannten und anderen Schwachstellen des überarbeiteten Entwurfs aktiv für Nachbesserungen eintreten.

Zugleich liegt es in der Natur der Sache, dass UN-Übereinkommen allgemeiner formuliert sein müssen als nationale Gesetze oder EU-Richtlinien, der Vielfalt von Rechtssystemen Rechnung tragen und den UN-Mitgliedstaaten bestimmte Handlungsspielräume lassen müssen. Die EU sollte sich deshalb davor hüten, die CSDDD als Blaupause für das UN-Übereinkommen zu betrachten, zumal auch die CSDDD große Schwächen hat. Im Gegensatz zu den UNGP sieht die CSDDD einen engen Anwendungsbereich auf sehr große Unternehmen vor, klammert Finanzgeschäfte und Waffenexporte sowie große Teile der nachgelagerten Lieferketten aus. Zudem fordert die zivilrechtliche Haftungsregel von Betroffenen, erstens den Schaden selbst, zweitens den Verstoß eines Unternehmens gegen Sorgfaltspflichten und drittens den kausalen Zusammenhang zwischen Verstoß und Schaden zu belegen. Es ist zu befürchten, dass viele Betroffene an diesen hohen rechtlichen und praktischen Hürden scheitern werden.[16] Das UN-Übereinkommen bietet die Chance, diese und andere bestehende Schutzlücken auf nationaler und regionaler Ebene zu schließen.

Ein weiterer Mehrwert des UN-Übereinkommens liegt in seiner Komplementarität zu nationalen und regionalen Regelwerken. So behandelt der überarbeitete Entwurf mehrere Fragestellungen mit internationaler Dimension, die auf nationaler oder regionaler Ebene gar nicht oder nur begrenzt geregelt werden können. Dazu gehören Fragen nach der zuständigen Gerichtsbarkeit (Artikel 9), dem anwendbaren Recht (Artikel 11) und der gegenseitigen Rechtshilfe (Artikel 12) in transnationalen Fallkonstellationen. Dazu gehörten auch die internationale Zusammenarbeit (Artikel 13) bei der Umsetzung des LBI sowie die Einrichtung eines UN-Menschenrechtsvertragsorgans und anderer Institutionen zur Auslegung und Überprüfung der nationalen Umsetzung.

In Artikel 14 geht der überarbeitete Entwurf auch auf das Verhältnis des LBI zu internationalen Handels- und Investitionsabkommen ein. An diesem Punkt bedeutet die ›Aktualisierung‹ des OEIGWG-Vorsitzenden eine Abschwächung: Der frühere Artikel 14.5. b) des dritten Entwurfs enthielt nämlich die zusätzliche Verpflichtung für Staaten, dafür zu sorgen, dass neue bilaterale oder multilaterale Handels- und Investitionsabkommen »kompatibel« mit ihren menschenrechtlichen Verpflichtungen sind. Auch in diesem zentralen Problemfeld, das den eingangs beschriebenen Grundwiderspruch der Globalisierung berührt, gibt es also deutlichen Nachbesserungsbedarf. Und auch hier sollte die EU aktiv werden, die sich schon im Jahr 1992 in den Artikeln 3 und 21 des Vertrags von Maastricht verpflichtet hat, die Menschenrechte auch in ihrer Außenhandelspolitik zu achten und zu fördern.

Glaubwürdigkeitstest für multilateralen Ansatz der EU

Mit Blick auf das LkSG und die CSDDD wurde mitunter der Vorwurf laut, Deutschland und die EU wollten dem Globalen Süden in geradezu kolonialer Manier ihre eigenen Werte überstülpen. Die Geschichte des LBI und der Debatte um transnationale Unternehmen und Menschenrechte insgesamt zeigt hingegen, dass die Initiative zu verbindlichen Vorgaben und Haftung aus dem Globalen Süden kam, von G7-Staaten auf UN-Ebene aber bis heute ausgebremst wurde. Erst mit dem LkSG und der CSDDD haben Deutschland und die EU in dieser Hinsicht einen wichtigen und richtigen Paradigmenwechsel vollzogen. Dass diese unilateralen Initiativen im Globalen Süden mitunter auf Unverständnis stoßen, verwundert kaum vor dem Hintergrund der EU-Blockade multilateraler Initiativen aus dem Globalen Süden, die in eine sehr ähnliche Richtung gehen.[17] Daher wird es höchste Zeit, dass die EU den LBI-Prozess ernst nimmt, ein Verhandlungsmandat beschließt und sich konstruktiv an den Verhandlungen beteiligt. In diesem Sinne sollte das LBI auch kein ›Lieferkettengesetz 3.0‹ sein, sondern Ergebnis multilateraler Verhandlungen auf Augenhöhe – ein multilateraler Glaubwürdigkeitstest, von dem auch die internationale Akzeptanz künftiger Initiativen der EU zum Schutz von Klima, Umwelt und Menschenrechten abhängen dürfte.

 


[1] Menno T. Kamminga, Company Responses to Human Rights Reports. An Empirical Analysis, Business and Human Rights Journal, 1. Jg., 1/2016, S. 95–110.

[2] Cornelia Heydenreich/Armin Paasch, Globale Energiewirtschaft und Menschenrechte – Deutsche Unternehmen und Politik auf dem Prüfstand, Germanwatch/Misereor, Aachen/Berlin 2017 sowie Cornelia Heydenreich/Armin Paasch, Globale Agrarwirtschaft und Menschenrechte: Deutsche Unternehmen und Politik auf dem Prüfstand, Germanwatch/Misereor, Aachen/Berlin 2020.

[3] Heydenreich/Paasch, Globale Energiewirtschaft und Menschenrechte, a.a.O. (Anm. 2), S. 57–65.

[4] Armin Paasch, Das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – Hintergründe, Bewertung und Perspektiven, Zeitschrift für Menschenrechte, 15. Jg., 2/2021, S. 176–195.

[5] UN Doc. E/C.12/GC/24 v. 10.8.2017, Para. 10.

[6] UN Doc. A/HRC/26/9 v. 14.7.2014.

[7] Markus Krajewski, Ensuring the Primacy of Human Rights in Trade and Investment Policies: Model Clauses for UN Treaty on Transnational Corporations, Other Businesses and Human Rights, CIDSE/Misereor u.a., Brüssel 2017.

[8] Karolin Seitz, Bericht über die neunte Tagung der zwischenstaatlichen Arbeitsgruppe für ein verbindliches UN-Abkommen zu Wirtschaft und Menschenrechten, Global Policy Forum/Rosa Luxemburg Stiftung, Bonn 2023.

[9] European Parliament Resolution 2023/2108(INI) v. 18.1.2024.

[10] Updated Draft Legally Binding Instrument (Clean Version) to Regulate, in International Human Rights Law, the Activities of Transnational Corporations and Other Business Enterprises, Juli 2023.

[11] Vgl. Markus Krajewski/Stephanie Regalia/Otgontuya Davaanyam: Analysis of the UN 2023 Updated Draft Legally Binding Instrument on Business and Human Rights, CIDSE, Brüssel 2023 sowie Treaty Alliance Deutschland, UN-Treaty: Politischen Moment nicht verspielen, Juli 2023.

[12] Der Redaktionsschluss lag vor der Verhandlungsrunde vom 16. bis 20. Dezember 2024.

[13] Richtlinie (EU) 2024/1760 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juni 2024 über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit. Vgl. auch Robert Grabosch, Die EU-Lieferkettenrichtlinie. Weltweiter Schutz für Mensch und Umwelt, Friedrich-Ebert-Stiftung, Berlin 2024.

[14] Siehe dazu auch den Beitrag von Sandra Kirchner in diesem Heft.

[15] Vgl. Deutsches Institut für Menschenrechte: Zeit für die EU mitzumischen, Stellungnahme zum überarbeiteten Entwurf für ein verbindliches Menschenrechtsabkommen zu Transnationalen Konzernen und Sonstigen Unternehmen, September 2023, S. 8–9, www.institut-fuer-menschenrechte.de/publikationen/detail/zeit-fuer-die-eu-mitzumischen

[16] Nicolas Bueno/Franziska Oehm, Conditions of Corporate Civil Liability in the Corporate Sustainability Due Diligence Directive, Verfassungsblog.de, 28.5.2024, verfassungsblog.de/conditions-of-corporate-civil-liability-in-the-corporate-sustainability-due-diligence-directive/

[17] Vgl. auch Sikho Luthango/Meike Schulze, The EU and the Negotiations for a Binding Treaty on Business and Human Rights, Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Berlin 2023.

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