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Ein Hilfswerk braucht Hilfe

René Wildangel war bis zum Jahr 2015 Leiter des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung im Staat Palästina. Er fordert eine anhaltende politische Unterstützung für das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA).

Drei UNRWA-Mitarbeiter verpacken portionsweise Hülsenfrüchte.
UNRWA-Mitarbeiter verpacken Nahrungsmittel, die an Palästinaflüchtlinge in Gaza verteilt werden. Im Jahr 2020 werden etwa eine Million palästinensische Flüchtlinge im Gazastreifen auf die Nahrungsmittelhilfe angewiesen sein. Die Verteilung von Nahrungsmitteln ist ein lebenswichtiger Dienst und wird auch während der COVID-19-Pandemie fortgesetzt. Foto: UNRWA/Khalil Adwan

Es gibt kaum eine andere UN-Organisation, die so stark angefeindet wird wie das im Jahr 1949 gegründete Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East – UNRWA). Obwohl sich UNRWA in der Definition des Flüchtlingsstatus kaum vom UNHCR und dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention) unterscheidet, wird ihm immer wieder vorgeworfen, den Status der Flüchtlinge von Generation zu Generation weiterzugeben und so zu perpetuieren. Entsprechend stellte die US-Regierung unter Präsident Donald Trump im August 2018 ihre Finanzbeiträge ein. Könnte UNRWA jedoch die rund zwei Millionen Flüchtlinge allein in Gaza und im Westjordanland nicht mehr versorgen, wäre Israel als Besatzungsmacht mit den Folgen konfrontiert.
 
Nach vier Jahren Trump-Regierung, die dem israelischen Premierminister Benjamin Netanyahu grünes Licht für dessen Siedlungspolitik bis hin zu Annexionsplänen signalisiert hat, ist die Zweistaatenlösung und damit eine Regelung der Flüchtlingsfrage in weite Ferne gerückt. Die palästinensischen Flüchtlinge zahlen den Preis dafür – umso mehr in Zeiten von COVID-19, regionalen Krisen und akuten Finanzierungslücken der Hilfsorganisationen. Daher sollten folgende kurz- und langfristige Ansätze verfolgt werden:

  • Auf absehbare Zeit bleibt UNRWA für die Versorgung der palästinensischen Flüchtlinge unersetzlich. Die Europäische Union (EU) als verbliebene Verfechterin der Zweistaatenlösung sollte ihre Hilfszusagen erhöhen und sich bei dem neuen US-Präsidenten für ein erneutes Engagement der USA einsetzen, um die massiven Finanzierungslücken zu schließen.
  • Es ist und war viel von einer Reform von UNRWA die Rede. Tatsächlich ist die Effektivität und Transparenz der Organisation vor allem nach der jüngsten Vertrauenskrise wegen des Missmanagements unter dem ehemaligen Generalkommissar Pierre Krähenbühl grundlegend. Kritikerinnen und Kritiker sehen darin die Chance, UNRWA zu schwächen oder gar abzuschaffen. Zehntausende Jobs, die UNRWA bietet, sowie die Bildung und Gesundheit von Millionen Menschen wären gefährdet.
  • Auch ohne umfassende Regelung des Konflikts ist mehr gefordert als humanitäre Interventionen, um die Lage der Flüchtlinge zu verbessern. Ein Ende der Gaza-Blockade wäre die wirksamste Maßnahme für die Versorgung von einer Million Flüchtlingen im Gazastreifen. Im Rahmen der internationalen Aufbauhilfen in Libanon muss sich die internationale Gemeinschaft dafür einsetzen, dass die palästinensische Bevölkerung genauso wie Flüchtlinge aus Syrien Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung und dem Arbeitsmarkt erhalten.
  • Mit der formalen ›Normalisierung‹ der Beziehungen arabischer Staaten mit Israel sind die Opportunitätskosten für Besatzung und Annexion gesunken. Es ist kein Zufall, dass die Staaten, die diese Einigung geschlossen haben, keine nennenswerten Zahlen von palästinen­sischen Flüchtlingen beherbergen. Diese Staaten sollten gedrängt werden, ihren Beitrag zur Versorgung der Flüchtlinge durch UNRWA zu leisten.
  • Mit einer schleichenden Einstaatenrealität vor Ort geht auch eine dauerhafte Entrechtung von Flüchtlingen einher, die in Israel und dem Staat Palästina wie den Nachbarländern viel Potenzial für gewaltsame Konflikte birgt. Neben finanzieller Unterstützung ist daher die Rückkehr zu ernst zu nehmenden Verhandlungen grundlegend. Zahlreiche Regelungsansätze, zum Beispiel die ›Genfer Initiative‹, hatten bereits gangbare Lösungen in der Flüchtlingsfrage gefunden, die nicht mit einer umfassenden Rückkehr, sondern Entschädigungsleistungen einhergehen sollten. Mit dem künftigen US-Präsidenten Joe Biden besteht die Chance, dem Völkerrecht als Grundlage für Verhandlungen wieder mehr Geltung zu verschaffen.

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