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Die Kraft der Innovation

Die Vereinten Nationen werden oft für ihren fehlenden Innovationsgeist kritisiert. Es gibt jedoch viele wegweisende Innovationen, die von den UN ausgehen. Wichtige Impulsgeber hierfür sind unternehmerisches Handeln und digitale Technologien, die es auch großen bürokratischen Organisationen ermöglichen, neue Fähigkeiten zu entwickeln und Transformationsprozesse zu starten.

Der 16-jährige Daniel (links) ist Schüler einer Sekundarschule in Kitwe, Sambia, wo das WFP bei der Einrichtung eines Hydrokultur-Gartens geholfen hat, um die von der Regierung bereitgestellten Mahlzeiten für die Schüler zu ergänzen und zu verbessern. FOTO: WFP/ANDY HIGGINS

Große, bürokratische Organisationen wie die Vereinten Nationen werden in der Regel als die am wenigsten innovativen Organisationen angesehen.[1] Insbesondere das Verständnis und die Förderung von unternehmerischen Aktivitäten innerhalb der Organisation stellen vielfältige Herausforderungen dar. Sie erfordern einen ganzheitlichen Ansatz für Innovationen. Zwar rief UN-Generalsekretär António Guterres zum Handeln auf: »Wir alle – vom Amtssitz bis zur Länderebene – müssen proaktiv mit den Pionieren der Techno­logie, den Innovatoren, den politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern und den Nutzerinnen und Nutzern zusammenarbeiten«[2], doch die meisten UN-Organisationen scheinen schlecht darauf vorbereitet zu sein, sich auf diesen neuen Zeitgeist einzulassen und Innovationen im Zeitalter digitaler Technologien hervorzubringen.

Dabei stellt sich die Frage, ob und wie unternehmerische Innovation in internationalen Organisationen möglich ist und welche Auswirkungen sie hat.[3] Unternehmerisches Handeln entwickelt sich tatsächlich zu einer treibenden Kraft in Organisationen wie dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (United Nations Development Programme – UNDP), dem Welternährungsprogramm (World Food Programme – WFP) und dem Hohen Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (Office of the United Nations High Commissioner for Refugees – UNHCR). Wenn Organisationen lernen, diese Art von Innovation, die von unteren Hierarchien nach oben erfolgt (›Bottom-up‹-Innovation), zu nutzen und digitale Technologien einzusetzen, können sie wichtige Transformationsprozesse einleiten.

Viele wegweisende wirtschaftliche und soziale Innovationen haben ihren Ursprung in unternehmerischen Aktivitäten.[4] Während die Bedeutung von unternehmerischem Handeln als Innovationsquelle im gewinnorientierten Kontext bereits bekannt ist, beginnen internationale Organisationen gerade erst damit, das Potenzial unternehmerischer Initiativen als Treiber für soziale Innovation zu nutzen.[5] Dabei spielt die Technologie, insbesondere ihr Einsatz zur Verbreitung von ›Bottom-up‹-Innovationen, eine wichtige Rolle. Die digitale Technologie birgt das Potenzial, die Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals – SDGs) zu adressieren. Aber leider sind internationale Organisationen nur unzureichend gerüstet, um in einer Welt, die zunehmend mit Legitimitätsfragen konfrontiert, mit Budgetkürzungen belastet und durch ein sich wandelndes technologisches Umfeld überfordert ist, In­novationen voranzutreiben.[6] Die Vereinten Nationen werden in der Regel als bürokratisch, langsam und ineffektiv charakterisiert und in verschiedenen Reformwellen wurde versucht, einen stärkeren Unternehmergeist zu wecken. Es gibt einige bemerkenswerte Beispiele wie etwa das ›RapidPro‹ des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen (United Nations Children’s Fund – UNICEF) – eine Plattform mit ›Open Source‹-Anwendungen, die Regierungen dabei unterstützt, lebenswichtige Informationen in Echtzeit zu liefern und Gemeinden mit lebensrettenden Diensten zu verbinden.[7] Sie geht auf eine ›Bottom-up‹-Innovation zurück und hatte enorme Auswirkungen auf die Organisation. Es ist jedoch verhältnismäßig wenig über die wichtigsten Faktoren bekannt, die bestimmen, wie sich unternehmerische Aktivitäten innerhalb komplexer, hierarchisch aufgebauter und oft langsam arbeitender Organisationen entwickeln und soziale Innovationen fördern.

Die Zukunft internationaler Organisationen ist ungewiss, wenn sie nicht in der Lage sind, ihre Organisationsstrukturen zu erneuern und digitale Technologien einzubeziehen, um die globalen Herausforderungen besser bewältigen zu können. Die enorme Aufgabe, die SDGs weltweit zu erreichen, hat in jüngster Zeit einen Aufruf zur Reform internationaler Organisationen ausgelöst.[8] Um unsere Welt effektiv zu verändern, müssen internationale Organisationen zunächst ihre gegenwärtigen Grenzen erkennen und daraufhin neue Kompetenzen und Prozesse aufbauen, um diese Hindernisse zu überwinden. Der Schlüssel zum Erfolg für internationale Organisationen liegt darin, sowohl innerhalb als auch außerhalb ihrer Organisationen auf das vorhandene Wissen zurückgreifen zu können.

Unsere Motivation, diese Themen zu erforschen, geht auf drei Punkte zurück: erstens, Verständnis für die Herausforderungen zu erlangen, vor denen internationale Organisationen stehen, um unternehmerisches Handeln als einen Katalysator für ›Bottom-up‹-Innovation zu nutzen. Zweitens sollen die potenziellen Auswirkungen identifiziert werden, die Innovation auf das Leben der Empfänger sowie auf die Organisation selbst haben kann. Und drittens sollen bewährte Praktiken zur Förderung von sozialer Innovation aufgezeigt werden.

In den vergangenen drei Jahren führten wir Interviews sowie Workshops durch mit führenden Innovationsexpertinnen und -experten aus Organisationen wie dem UNDP, UNHCR, WFP, der Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization – WHO), dem Gemeinsamen Programm der Vereinten Nationen für HIV/Aids (Joint United Nations Programme on HIV/AIDS – UNAIDS), der Internationalen Arbeitsorganisation (International Labour Organization – ILO) und dem Internationalen Handelszentrum (International Trade Centre – ITC). Auf Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse erstellten wir eine Datenbank mit 57 Initiativen und zehn umfassenden Fallstudien, die zeigen, wie soziale Innovation durch unternehmerisches Handeln in internationalen Organisationen vorangetrieben wird.[9] Die Organisationen unterscheiden sich zwar stark in Bezug auf Struktur, Organisationskultur und Mandat, aber alle konzipieren und entwickeln Arbeitsabläufe und Projekte (›Initiativen‹). Der Schwerpunkt liegt auf diesen Initiativen, um die Erfahrungen vergleichen zu können. Eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst die Auswirkung dieser Initiativen auf ihre Organisationen und Begünstigten. Eine erfolgreiche innovative Initiative zielt darauf ab, die Art und Weise zu verändern, wie ein Produkt, ein Prozess oder eine Politik auf die Begünstigten wirkt.

 

Wie Initiativen sich entwickeln

Im digitalen Zeitalter überrascht es nicht, dass viele unternehmerische Initiativen maßgeblich von moderner Technologie abhängen, insbesondere, wenn sie in vielen verschiedenen Ländern eingesetzt werden. Neue Technologien stehen oft im Fokus der Innovation, während den organisatorischen Faktoren, die die Entwicklung und das Gedeihen von Initiativen ermöglichen, häufig nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt wird. Nach Ansicht von Innovationsfachleuten ist die Technologie oft der einfachste Teil der Lösung: Schwieriger und kritischer ist es, die Bedürfnisse und Erwartungen der Endnutzerinnen und -nutzer zu erfüllen und deren Herausforderungen, wie medizinische Versorgung oder Zugang zu Bildung, zu lösen. Technologie ist zwar ein nützliches Mittel zur Charakterisierung innovativer Initiativen, aber kein Maßstab für deren Erfolg.

Neue Technologien stehen oft mehr im Fokus von Innovation als organisatorische Faktoren.

Um ein besseres Verständnis des Zusammenspiels von Technologie und Organisation zu ermöglichen, haben wir Initiativen anhand von zwei Schlüsselvariablen charakterisiert: ihre Entwicklung und ihre Technologie (Abbildung 1). Der Entwicklungsstatus bezieht sich darauf, ob das Projekt erfolgreich auf mehrere Standorte übertragen und dort genutzt wird. Pilotinitiativen befinden sich noch in der Testphase, haben aber bereits an einem Standort nachweisliche Umsetzungsergebnisse erzielt; Wachstumsini­tiativen befinden sich im Prozess der Umsetzung in einer Region oder einem Land. Replikationsinitiativen werden bereits in drei oder mehr Staaten erfolgreich eingesetzt.

Die zweite Dimension bezieht sich auf die Technologie der Initiative. Auf Basis der drei großen Dimensionen von Daten – Datengeschwindigkeit, Datenmenge und Datentyp (strukturiert versus unstrukturiert) sowie der Anzahl der Verbindungen, auf die sich die Technologie stützt, haben wir die Technologieintensität von hoch bis niedrig eingestuft. Als hoch werden sehr datenintensive Technologien bezeichnet, als niedrig solche mit geringer Datenintensität, wie beispielsweise Hardware. Keine Technologieart ist einer an­deren überlegen oder unterlegen, und dies soll auch nicht als Maßstab dienen. Diese Technologie ermöglicht es, Initiativen zu vergleichen und zu sehen, wie diese erfolgreich entwickelt werden. Benötigen beispielsweise Initiativen mit dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) mehr Unterstützung der Organisation oder lassen sich Anwendungsprogramme leichter verbreiten?

Wir haben die 57 Initiativen mit Projektbeispielen in allen neun Feldern unseres Modells abgebildet (siehe Abbildung 1). Erfolgreiche Initiativen bewegen sich im Laufe der Zeit dynamisch zwischen den einzelnen Feldern dieses Modells, sowohl wenn ihr Einsatzbereich wächst als auch wenn sich Technologie ändert. Die SMS-Plattform ›U-Report‹ von UNICEF, die vor kurzem um eine KI-Komponente erweitert wurde (Box 9), begann beispielsweise als SMS-basiertes Instrument, hat aber inzwischen KI-Roboter (Bots) hinzugefügt, die die Fragen der Nutzerinnen und Nutzer in Echtzeit beantworten. Diese Initiative wurde auf über 54 Staaten ausgeweitet.

Es gibt Beispiele für Initiativen im gesamten technologischen Spektrum, angefangen von der KI-Nutzung zur Vorhersage von Konflikten und Bevölkerungsbewegungen, wie beispielsweise das Projekt ›Jetsons‹ des UNHCR (Box 7), über die Nutzung von SMS-basierten Kommunikationsplattformen zur Förderung der Gleichstellung der Geschlechter und des Ideenaustauschs, wie etwa ›SheTrades‹ des ITC (Box 5), bis hin zur Entwicklung einer hydroponischen Pumpe, die das Wachstum von Nahrungsmitteln in Containern ermöglicht, wie die ›H2Grow‹-Initiative des WFP (Box 2).

Unternehmerisches Handeln muss gefördert werden, es braucht Anreize, es muss ständig angepasst werden.

Neue Technologien müssen jedoch in der Organisation verankert werden. Das Projekt ›e-Cash Cards‹ der Internationalen Organisation für Migration (International Organization for Migration – IOM) (Box 5) beispielsweise verwendet eine verschlüsselte Identifikationskarte, die die Bargeldkonten und die Datenerfassung für Migrantinnen und Migranten vereinfacht. Die Umsetzung des Projekts ging jedoch weit über die Konzeption dieser Technologie hinaus; die eigentliche Innovation bestand darin, Migrantinnen und Migranten nicht mehr mit physischen Waren zu versorgen, sondern ihnen Bargeld zur Verfügung zu stellen, damit sie ihre eigenen Waren kaufen können. Die Umsetzung des Projekts erforderte ein Umdenken der beteiligten Institutionen sowie umfangreiche Gespräche und Schulungen mit Ladenbesitzern und Migrantinnen und Migranten, um die Durchführbarkeit zu gewährleisten.

 

Erfolgsfaktoren für unternehmerisches Handeln

Unternehmerisches Handeln in internationalen Organisationen entsteht nicht von selbst. Es muss gefördert werden, es braucht Anreize, es muss ständig angepasst werden und schließlich braucht es Raum, sich zu entfalten. Es ist ein Lernprozess, der Zeit und Hingabe erfordert. Auch wenn alle internationalen Organisationen und großen Unternehmen verschieden sind, gibt es bestimmte Erkenntnisse, die für alle gelten.

 

Der organisatorische Nährboden und das richtige ›Saatgut‹

Es ist nicht einfach, ›Bottum-up‹-Innovation voranzutreiben, insbesondere in großen internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen. Was muss also getan werden, um die ›Saat‹ für Innovationen zu legen? Unsere Forschung hat gezeigt, dass Initiativen, die sich verbreiten und Wirkung zeigen, gemeinsame Merkmale aufweisen: Erstens auf der Ebene der Initiative und zweitens auf der Ebene der Organisation (Abbildung 2).

Das Projekt ›Instant Network Schools‹ des UNHCR, eine Initiative für digitale Lerninhalte für Flüchtlinge, wurde beispielsweise in der Innova­tionsabteilung des UNHCR entwickelt. Ein engagiertes Team hat das Projekt mit Ressourcen, Schulungen und Erfahrung international einsetzbar gemacht. Das UNHCR verfügt über eine ausgeprägte Innovationskultur, die in den letzten Jahren vorangetrieben wurde (Faktoren auf Organisationsebene: Innovationskultur, engagierte Mitarbeiterzeit). ›Instant Network Schools‹ ist das Ergebnis einer Partnerschaft mit der Vodafone-Stiftung, einem Unternehmen mit klaren und ehrgeizigen Plänen für die Wirkung des Projekts (Faktoren auf Initiativebene: Partner, klare Ziele von Anfang an).

Organisationen haben festgestellt, dass Partnerschaften entscheidend sind, um Innovationen voranzutreiben.

Ein weiteres Beispiel ist die ›H2Grow‹-Initiative. Das peruanische Landesbüro des WFP hat den Bedarf erkannt, den Menschen in den Armenvierteln außerhalb Limas den Zugang zu frischem Gemüse zu ermöglichen. Der WFP-›Accelerator‹ arbeitete mit dem Landesbüro und einer Reihe von Partnern zusammen, um einen hydroponischen Garten und eine Pumpe zu entwickeln und es den Menschen so zu ermöglichen, auf engem Raum und ohne Erde Lebensmittel anzubauen. Das Projekt wurde während des gesamten Prozesses von einem Projektmanager des ›Accelerators‹ betreut. Auf der Ebene der Initiative waren die wichtigsten Faktoren diverse Partner, Benutzerorientierung, Ausrichtung auf den Menschen und starke Projektverantwortlichkeit. Nach Abschluss des Pilotprojekts unterstützte das WFP-›Accelerator‹-Team andere Länderbüros bei der Neuausrichtung, Modifizierung und Umsetzung der Initiative, um die spezifischen lokalen Herausforderungen zu bewältigen, zum Beispiel beim Anbau von Tierfutter in Flüchtlingslagern in der Wüste. Zu den wesentlichen Faktoren auf organisatorischer Ebene gehörten die Zustimmung der Interessengruppen zur Innovation, ein engagiertes Team und Zeit.

 

Partnerschaften zur wechselseitigen Bereicherung

Zu den wichtigsten Partnern gehören Ministerien, gemeinnützige Organisationen, Stiftungen, Privatunternehmen, junge Unternehmen und andere internationale Organisationen. Oft spielt ein Akteur mehr als eine Rolle. Das ›Baidu Recycle Project‹ des UNDP beispielsweise ist eine Initiative, die das Modell der öffentlich-privaten Partnerschaft nutzt und den chinesischen Bürgerinnen und Bürgern hilft, wiederverwertbare Abfälle sicher zu entsorgen und dafür Geld zu erhalten. Baidu, das ›Google Chinas‹, hatte die Vision, einen sozialen Beitrag zu leisten, wusste aber nicht genau, wie das geschehen sollte. Die Initiative kombinierte das technische Fachwissen und die Ressourcen von Baidu, das Netzwerk und das soziale Fachwissen des UNDP mit der Genehmigung und dem politischen Input der globalen Umweltorganisation sowie des chinesischen Ministeriums für Umweltschutz.

In dem Maße, wie sich Partnerschaften entwickeln, ändern sich auch die Arbeitsweisen dieser Organisationen. Viele Organisationen nutzen das technologische Wissen von jungen Unternehmen, um Produkte zu entwickeln und zu bauen und holen sich dieses Wissen manchmal ins Haus – wie bei der ›Building Blocks‹-Initiative des WFP. Hier eignete sich das WFP zunächst Grundkenntnisse über Blockchain, also dezentrale Datenbanken, an und entwickelte diese dann intern weiter. Bei einer anderen Partnerschaft etwa wird die Organisation als Dienstleister positioniert. UNICEF, beispielsweise, ermöglichte nichtstaatlichen Organisationen (NGOs) und Regierungen das SMS-basierte ›U-Report‹-Instrument für ihre eigenen lokalen Anforderungen zu nutzen. Seltener dagegen sind gemeinsame Projekte zwischen UN-Organisationen. Meist geht es darum, die Bedürfnisse der Endnutzerinnen und -nutzer zu verstehen und die Zusammenarbeit zu verbessern, um zu erkennen, an welchem Punkt welche Organisation am besten helfen kann. Es gilt, Informationen auszutauschen und von den Stärken der jeweils anderen Organisation zu profitieren.

Das Spektrum der Partnerschaften in den untersuchten Organisationen reicht von einer Initiative mit einem Partner bis zu Initiativen mit drei oder mehr Partnern. Die einzelnen Partner decken vielfältige Rollen ab: Bereitstellung des erforderlichen Umfelds, von Finanzmitteln, Unterstützung bei der Konzeption, bei der Umsetzung oder parallele Durchführung der Initiative. Das Zusammenspiel zwischen diesen Rollen ist entscheidend für die erfolgreiche Durchführung von Initiativen.

Die meisten Organisationen haben festgestellt, dass Partnerschaften entscheidend sind, um Innovationen voranzutreiben. Dennoch ist es in vielen Organisationen üblich, keine Partnerschaften einzugehen. Der größte Vorteil von Partnerschaften liegt im Wissensaustausch, der durch die Zusammenarbeit nicht nur mit dem privaten Sektor, sondern auch mit anderen internationalen Organisationen ermöglicht wird. Die Idee ist, dass die Menschen experimentieren, Pilotprojekte durchführen, erfolgreich sein oder scheitern können – und dabei aus beiden Szenarien lernen und ihre Erfahrungen austauschen.

 

Ressourcen für Innovation

Die Umverteilung von Ressourcen ist ein unabdingbarer Faktor für erfolgreiches unternehmerisches Handeln. Organisationen aus allen Bereichen verlagern ihre Ressourcen, um besser auf die Endnutzerinnen und -nutzer einzugehen, obgleich sie sich bewusst sind, dass Innovation teuer ist und nicht alle Initiativen erfolgreich sein werden. Es herrscht Einigkeit darüber, dass dieser Wandel von der Spitze geführt, aber von unten vorangetrieben werden muss: Die Erkenntnis zur Veränderung ist ein schwieriger Schritt, aber entscheidend, um Transformation in typischen internationalen Organisationen einzuleiten.

Jeder Initiative muss eine ethische Analyse vorangestellt werden.

Schließlich hat sich nicht nur die Zuweisung von Ressourcen grundlegend geändert, sondern auch die Unternehmenskultur und das Anreizsystem, um innovativen Talenten Zeit zu geben, an ihren Ideen zu arbeiten. Seit dem Wechsel der Direktion des ITC vor vier Jahren wurde eine Innovationskultur gefördert und in Genf ein Innovationslabor eingerichtet. Obwohl es keine Vollzeitbeschäftigen für den Bereich Innovation gibt und das Labor von Freiwilligen betrieben wird, ist es den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gestattet, einen bestimmten Prozentsatz ihrer Arbeitszeit für kreative Projekte innerhalb und außerhalb des Büros zu verwenden. Das Innovationslabor hat etwa 15 Mitwirkende und gewinnt durch Schulungen, Workshops und Veranstaltungen, die unternehmerische Aktivitäten anerkennen und belohnen, an Dynamik und Bedeutung innerhalb der Organisation.

 

Ethische Dimension beachten

Inmitten des derzeitigen Innovationsbooms dürfen internationale Organisationen nicht vergessen, jeder Initiative eine ethische Analyse voranzustellen. Datenschutz und der Schutz der Privatsphäre der Beteiligten sind wichtige Bestandteile der Innovationsethik vor dem Hintergrund der Erfassung und Nutzung von Daten. Internationale Organisationen arbeiten daran, Innovation mit dem Gebot ›Anderen nicht zu schaden‹ zu verknüpfen. Für den Erfolg von Innovationen ist es von entscheidender Bedeutung, dass Arbeitsprozesse und Arbeitskultur nachhaltig verändert werden und nicht nur eine Reihe von schnellen Erfolgen erzielt werden. So ist die IOM beispielsweise führend im Bereich des Datenschutzes, veranstaltet Workshops zum Datenschutz für internationale Organisationen und veröffentlicht Richtlinien zu diesem Thema. Die vorsichtige Herangehensweise der IOM an Innovationen rührt von dem Bestreben her, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oder Begünstigte nicht ungewollt durch neue Projekte zu schädigen. Ein gutes Beispiel ist das UNDP-Projekt ›Telefone gegen Korruption‹, das anonyme SMS-Meldungen über Korruption in Papua-Neuguinea sammelt. Es beruht auf einem zweistufigen Verschlüsselungssystem, das die Anonymität gewährleistet.

 

Förderung von Unternehmergeist

Vorreiter auf dem Gebiet der Innovationen sind meist etablierte Teams, die ihre Aufgaben kennen und die Ziele der Organisation verstehen. Es sind die Visionäre, die einen besseren Weg für ihre Arbeit und die Erreichung dieser Ziele sehen. Diese Menschen streben in der Regel nicht nach individuellem Lob und Beförderung, sondern wollen ihre Organisation besser machen und andere Pioniere unterstützen. Vorreiter in internationalen Organisationen haben bewiesen, dass sie sich leidenschaftlich für die Erfüllung des Mandats der internationalen Organisationen einsetzen und gleichzeitig mutig genug sind, oft Grenzen zu überschreiten. Viele von ihnen sind erfahrene Innovatoren innerhalb ihrer internationalen Organisationen und haben wiederholt bewiesen, dass Innovationen im Kontext der internationalen Organisationen erfolgreich sein können. Sie verankern Innovation in der gesamten Organisation, anstatt sie nur in einer Innovationsabteilung zu isolieren. Es ist wichtig, die Führungsebene zu überzeugen, dass Innovation ein entscheidender Bestandteil der aktuellen und zukünftigen strategischen Pläne der internationalen Organisationen sein muss, um gewünschte Wirkungen zu erzielen.

 

Was können wir lernen?

Die wichtigste Schlussfolgerung ist, dass Innova­tion in Organisationen wie den Vereinten Nationen tatsächlich stattfindet. Es ist nicht nur möglich, in einer großen, bürokratischen, globalen Organisation innovativ zu sein, sondern das Ziel dieser Innovation kann auch soziale Wirkung haben. Darüber hinaus können diese Initiativen dazu beitragen, dass diese Organisationen schneller, leichter und proaktiver werden und besser in der Lage sind, die SDGs zu erreichen. Für internationale Organisationen, die diese Art von Transformation von innen heraus herbeiführen wollen, gibt es drei wesentliche Erkenntnisse:

  1. Die Kraft der ›Bottom-up‹-Innovation nutzen: Die erfolgreichen Beispiele für Innovation zeigen, dass Initiativen, die von unten nach oben gerichtet sind, manchmal wirkungsvoller sind als hierarchische Anweisungen. Diskussionen über Innovation drehen sich oftmals mehr um Schlagworte als um die Lösung von Problemen. An den Diskussionen über Innovationen müssen nicht nur die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in zentralen Innovationsteams einbezogen werden, sondern auch das Personal im Feld, das die Bedürfnisse der Empfänger am besten kennt, sowie die Entscheidungsträger, die Innovationen unterstützen und fördern müssen. Organisationen können ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ermöglichen, Fachleute zu begleiten und von ihnen zu lernen, damit sie bei ihrer beruflichen Tätigkeit innovative Denkanstöße erhalten können. Dies bedeutet auch, dass Anreize für Innovation gesetzt werden müssen.
  2. Ergebnisorientierung statt Leistungsorientierung: Die Leistungsorientierung ist zwar einfach und ›glänzt‹, aber ohne Wirkungsmessung wird sie dem Engagement der internationalen Organisation letztlich schaden. Aus diesem Grund sollten die Organisationen die erforderlichen Indikatoren festlegen, um sicherzustellen, dass ihre Projekte Wirkung zeigen. Wir unterscheiden hier zwischen externer sozialer Wirkung – etwa direkte Hilfe für Begünstigte oder Einfluss auf Regelwerke – und interner Wirkung – wie zum Beispiel neue Teams oder Kompetenzen in der Organisation.
  3. Erfolge und Misserfolge teilen: Die ausgewählten und vorgestellten Initiativen stammen von sehr unterschiedlichen Organisationen in sehr unterschiedlichen Kontexten. Auch wenn jeder Fall anders ist, fordern die Innovatoren einen stärkeren Austausch untereinander, um aus Erfolgen, aber auch aus Misserfolgen zu lernen. Ebenso erkennen sie die Notwendigkeit einer besseren Vernetzung mit jungen Unternehmen und Unternehmen des Privatsektors, um gemeinsam an Lösungen und neuen Geschäftsmodellen für soziale Innovation im digitalen Zeitalter zu arbeiten.

 

Die Herausforderung für Führungskräfte in den UN

Führungskräfte in den UN spielen eine Schlüsselrolle in der Transformation. Um in großen bürokratischen Organisationen Innovation zu fördern, müssen Führungskräfte die Probleme gut strukturieren und gleichzeitig ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Raum und Ressourcen geben, um diese kreativ zu lösen. Wir sehen schon einen starken Druck für ›Bottom-up‹- als auch ›Top-down‹-Innovation von den Direktorinnen und Direktoren. Die größte Herausforderung liegt jedoch bei den mittleren Rängen, die Teams führen und ermutigen müssen, aber gleichzeitig auch die Verantwortung für potenzielle Fehler tragen. Oft fehlt es an Unterstützung und an Ressourcen, Innovationsprojekte zusätzlich zu der ohnehin hohen Arbeitsbelastung zu starten. Ein Erfolgsrezept ist ein kontinuierlicher Austausch zwischen Führungskräften in der eigenen Organisation und über Organisationen hinweg sowie ein ständiges Lernen, das neue Wege und Techniken fördert.

Aus dem Englischen von Monique Lehmann

 

[1] Dieser Artikel basiert auf Forschungsarbeiten, die am Zentrum für Innovation und Partnerschaften der Universität Genf zusammen mit Katherine Tatarinov durchgeführt wurden, siehe www.unige.ch/gsem/en/research/centers/ip/research/

[2] UN Secretary-General’s Strategy on New Technologies, S. 6, www.un.org/en/newtechnologies/images/pdf/SGs-Strategy-on-New-Technologies.pdf

[3] Tina C. Ambos/Katherine Tatarinov, Building Responsible Innovation in International Organizations Through Intrapreneurship, Journal of Management Studies, 59. Jg., 1/2021, S. 92–125.

[4] Robert A. Burgelman, A Model of the Interaction of Strategic Behavior, Corporate Context, and the Concept of Strategy, Academy of Management Review, 8. Jg., 1/1983, S. 61–70.

[5] Paul Tracey/Neil Stott, Social Innovation: A Window on Alternative Ways of Organizing and Innovating, Innovation: Organization & Management, 19. Jg., 1/2017, S. 51–60.

[6] Fabrizio Ferraro/Dror Etzion/Joel Gehman, Tackling Grand Challenges Pragmatically: Robust Action Revisited, Organization Studies, 36. Jg., 3/2015, S. 363–390.

[7] UNICEF, Real Time Information – RapidPro, www.unicef.org/innovation/rapidpro

[8] Thomas Weiss/Tatiana Carayannis, Windows of Opportunity for UN Reform: Historical Lessons for the Next Secretary-General, International Affairs, 92. Jg., 2/2017, S. 309–326.

[9] Tina C. Ambos et al., Initiaitives with Impact: Unleashing Bottom-up Innovation in International Organizations, Oktober 2018, www.unige.ch/gsem/files/1016/2193/7051/Report_Initiatives_with_Impact.pdf

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