Der Blick zurück
Wir befinden uns gegenwärtig in epochalen weltpolitischen Umbrüchen. Geopolitische Konflikte spiegeln sich mehr denn je auch im Sicherheitsrat, in der Generalversammlung und an anderen Orten in den Vereinten Nationen wider. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine oder die jüngste Gewalteskalation im Nahen Osten sind nur zwei prominente Beispiele, die tiefe Spuren im internationalen System hinterlassen. Um die aktuellen Entwicklungen in den Vereinten Nationen besser einordnen zu können, kann ein Blick in die Geschichte der Weltorganisation durchaus hilfreich sein. Historische Ereignisse, so einst die Gründung der Vereinten Nationen im Jahr 1945, prägten die Weltgeschichte maßgebend und legten den Grundstein für jene Weltordnung, die sich nun seit einiger Zeit im Umbruch befindet. Diese Grundsteine wurden von zahlreichen Persönlichkeiten geprägt, die in San Francisco, New York oder anderswo zugegen waren und gewiss ihren wichtigen Beitrag zur heutigen UN – ob an den Amtssitzen oder im Feld – geleistet haben. Die Autorinnen und der Autor gehen in diesem Heft auf ausgewählte Wegmarken, Entwicklungen und Persönlichkeiten in der Entstehungsgeschichte der UN ein. Diese sollen helfen, die aktuellen Umbrüche in einen größeren zeithistorischen Kontext zu stellen, einzuordnen und einen klaren Blick nach vorne zu richten.
Vor 70 Jahren beendete der erste UN-Generalsekretär Trygve Lie seine Amtszeit. Kirsten Haack zeigt auf, dass Lie trotz des aufkommenden Ost-West-Konflikts fähig war, das Amt erfolgreich und grundsätzlich zu definieren. Für die gegenwärtige internationale Lage erkennt die ehemalige langjährige Leiterin des Büros für die ›New York Times‹ bei den UN in New York, Barbara Crossette, – historisch betrachtet – keine wirklich neue Krisenqualität für die UN. Lise Howard widmet sich dem diesjährigen 75. Jahrestag der UN-Friedenssicherung: Die UN-Blauhelme haben in der Vergangenheit empirisch belegbar dazu beigetragen, dass Konfliktparteien eine politische Einigung erzielten und der Übergang von Krieg zu Frieden gelang. Doch mittlerweile erscheint die Friedenssicherung als ein Relikt der Geschichte. Jan Lüdert widmet sich der Entstehung des UN-Treuhandsystems, die Einblicke in Kontinuitäten und Veränderungen von souveränen Staaten bietet, und offenbart die UN als Forum für normative und materielle Auseinandersetzungen.