Über lange Zeit war es herrschende Lehre, dass es sich bei dem Recht auf Selbstbestimmung um ein rein politisches Konzept ohne rechtlichen Gehalt handele. Diese Auffassung galt vor dem Zweiten Weltkrieg ungeachtet der Tatsache, dass es die Deklaration der bolschewistischen Revolutionsregierung von 1917 über das Recht der europäischen wie der kolonisierten Völker auf Freiheit oder die 14 Punkte Präsident Wilsons aus dem Jahre 1918 und auch einige praktische Anwendungen des Nationalitätenprinzips in den Friedensverträgen nach dem Ersten Weltkrieg gab. Erst während des Zweiten Weltkriegs und danach waren einige grundlegende Dokumente auch mit völkerrechtlicher Bedeutung versehen. So verpflichteten sich die Unterzeichner der Atlantik-Charta vom 14. August 1941, »das Recht aller Völker, die Regierungsform zu wählen, unter der sie leben wollen« zu achten, und sie sprachen sich dafür aus, dass die souveränen Rechte und die Selbstregierung der Völker, denen diese gewaltsam entrissen wurden, wiederhergestellt werden. Die Charta der Vereinten Nationen führt in Artikel 1 Ziffer 2 das Ziel auf, »freundschaftliche, auf der Achtung vor dem Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker beruhende Beziehungen zwischen den Nationen zu entwickeln«. Eine konkrete Anwendung dieses Grundsatzes wird in der UN-Charta nicht vorgenommen, abgesehen von einer Bezugnahme im Kapitel XII in Art. 76 b zum Treuhandsystem, wo die Förderung der »fortschreitende(n) Entwicklung zur Selbstregierung oder Unabhängigkeit« dieser Hoheitsgebiete sowie die »frei geäußerten Wünsche« ihrer Bevölkerung angesprochen werden. Doch galt dieses Prinzip noch immer nicht als Bestandteil völkerrechtlicher Doktrinen; zumeist wurde es ausschließlich dem Bereich der Politik zugerechnet.