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Das UN-Entwicklungssystem im Umbruch?

Seit dem Jahr 2019 unterläuft das UN-Entwicklungssystem (UNDS) eine ambitionierte Reform, die es kohärenter machen und auf die heutigen Anforderungen nachhaltiger Entwicklung ausrichten soll. Erfolge in der Reformumsetzung stoßen vor Ort jedoch auf systemische Hindernisse, für deren Überwindung es noch stärkerer Anstrengungen bedarf.

Marktszene
Indigene Frauen in Guatemalas Polochic-Tal ernähren ihre Familien, bauen ihre Geschäfte aus und sparen Geld. Ein gemeinsames UN-Programm von FAO, IFAD, WFP und UN Women fördert die Gleichstellung der Geschlechter und die wirtschaftliche Stärkung von Frauen auf dem Land in Äthiopien, Guatemala, Kirgisistan, Liberia, Nepal, Niger und Ruanda. Foto: UN Women/Ryan Brown

Als weltweit größter multilateraler Entwicklungsakteur mit weitreichenden Mandaten und umfangreicher Expertise kommt dem UN-Entwicklungssystem (United Nations Development System – UNDS) eine Schlüsselrolle bei der Unterstützung für die Umsetzung der Agenda 2030 für nachhal­tige Entwicklung (Agenda 2030) zu.[1] 132 UN-Landesteams (United Nations Country Team – UNCT), die sich durchschnittlich aus rund 18 Organisationen zusammensetzen – einige davon ohne eigene Präsenz vor Ort – unterstützen vornehmlich Entwicklungsländer. Je nach Zusammensetzung, nationalem Bedarf und Finanzierungsmöglichkeiten bieten Landesteams eine breite Palette von Aktivitäten an, die die Mandate und Funktionen der unterschiedlichen Organisationen spiegeln: Kapazitätsaufbau und technische Hilfe, Unterstützung in der Politikformulierung, Beratung, Anwaltschaft für benachteiligte Gruppen, aber auch direkte Umsetzung von Projekten. Dazu kommen in einer Vielzahl von Ländern noch humanitäre Hilfe und Arbeit am Nexus Frieden, Sicherheit und Entwicklung. Jedes Landesteam wird von einer Residierenden Koordinatorin oder einem Koordinator (Resident Coordinator – RC) geführt – es ist eine Herkulesaufgabe, die verschiedenen Organisationen auf eine einheitliche Stoßrichtung, Komplementarität und Synergien einzuschwören.

Seit dem Jahr 2019 in der Umsetzung, zielt die aktuelle Reform darauf ab, das komplexe und fragmentierte UNDS sektor- und organisationsübergreifend kohärenter zu machen. Ziel ist eine auf die nationalen Bedürfnisse besser zugeschnittene Unterstützung, die die verschiedenen Dimensionen der Nachhaltigkeit integriert angeht und dort ansetzt, wo die UN ihren multilateralen Mehrwert am besten ausspielen können – etwa im Bereich Politikberatung. Dies ist keine einfache Aufgabe. Wie integrierte Politikansätze am besten formuliert, gewichtet und umgesetzt werden, treibt auch andere nationale wie internationale Akteure um. Darüber hinaus hat das UNDS, das aus rund 40 sehr unterschiedlichen Organisationseinheiten besteht, historisch gewachsene Altlasten, die jegliche Reform erschweren: Im Laufe der Jahrzehnte hat sich das UNDS zu einem stark fragmentierten System mit einer schwachen zentralen Autorität entwickelt, das von einer unsicheren Finanzierung abhängt und mit divergierenden Interessen und Erwartungen der Mitgliedstaaten konfrontiert ist.[2]


Mehr als die Summe der Teile im Dienste der Agenda 2030

Reformen mit dem Ziel, die Fragmentierung des UNDS zu überwinden, sind daher keineswegs neu.[3] Ein mindestens ebenso wichtiger Beweggrund ist aber, das UNDS im Einklang mit den Anforderungen der Agenda 2030 funktional neu auszurichten.[4] Die Agenda 2030 fordert nicht weniger als eine Transformation hin zu einer nachhaltigen Entwicklung mit einem integrierten und ausgewogenen Ansatz in allen Dimensionen der Nachhaltigkeit. Mit dem Grundsatz ›Niemanden zurücklassen‹ und Verweisen auf andere Menschenrechtsverpflichtungen gibt die Agenda zudem eine klare Marschrichtung für die von ihr angestrebten normativen Veränderungen vor.

Nach langen Verhandlungen ebnete die UN-Generalversammlung im Jahr 2018 den Weg für die aktuelle Reform des UNDS.

Nach langen Verhandlungen ebnete die UN-Generalversammlung im Jahr 2018 mit ihrer Resolution zur Neupositionierung des UNDS den Weg für die aktuelle Reform.[5] Die Reform ist ein vielschichtiges Unterfangen, das komplexe Veränderungen im gesamten System – auf globaler, regionaler und nationaler Ebene – mit sich bringt.[6] Der Schwerpunkt der Reform liegt jedoch eindeutig auf der Länderebene, mit dem übergeordneten Ziel, die Unterstützung der UN-Landesteams für Entwicklungsländer zu verbessern. Insbesondere drei Reformelemente sollen den Weg für ein kohärentes und anspruchsvolleres kollektives Angebot ebnen:

  1. Die Stärkung der RCs: Mehrere Reformmaßnahmen stärken die Autorität, Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der RCs und geben ihr oder ihm eine politischere Rolle. Zuvor waren die RCs und ihre Unterstützungsstrukturen dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (United Nations Development Programme – UNDP) unterstellt, was zu Interessenkonflikten führen konnte zwischen ihrer ›Systemverpflichtung‹ – inklusive einer Wertorientierung und Vertretung aller Mitglieder des Landes­teams – und ihrer Verantwortung für die Förderung der UNDP-Interessen, zu denen Ressourcen und gute Regierungskontakte zählen.
  2. Überarbeitete Programmierungs- und Umsetzungsinstrumente: Ein weiterer Schwerpunkt der Reform liegt auf den Instrumenten zur gemeinsamen Planung und Umsetzung von Programmen und Projekten der UN-Landesteams. Im Zentrum steht dabei das programmatische Rahmendokument für das gesamte Landesteam, der Kooperationsrahmen der Vereinten Nationen für die nachhaltige Entwicklung (UN Sustainable Development Cooperation Framework – UNSDCF). Dieses Rahmendokument, das verbindlicher und relevanter sein soll als frühere Versionen, ist in einen Analyse-, Planungs- und Umsetzungszyklus eingebettet, der den Landesteams helfen soll, Überschneidungen zu vermeiden und ein integriertes Vorgehen zu entwickeln. Zusätzlich erhielten die Landesteams eine Fülle von Leitlinien, um ihre Unterstützung in einer Reihe von Themenbereichen zu verbessern, die als potenzielle Stärken des UNDS bei der Umsetzung der Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals – SDGs) identifiziert wurden.
  3. Eine flexiblere Finanzierung: Die Reform befasst sich auch mit der Frage der Finanzierung. Die derzeitigen Finanzierungsmuster des UNDS mit einem hohen Anteil an zweckgebundenen Mitteln sind nicht nur problematisch, weil sie die Fragmentierung fördern. In ihrer vorherrschenden Form der zweckgebundenen Finanzierung für bestimmte Projekte einzelner UN-Organisationen orientiert sich die Zweckbindung stark an den Anforderungen der Geberländer. Meist sind solche Projekte in ihrem thematischen Umfang, ihrer Dauer und nachhaltigen Wirkung begrenzt gegenüber stärker programma­tischen Ansätzen.[7] Ein Finanzierungspakt, geschlossen zwischen Mitgliedstaaten und UNDS, soll nun die Qualität der Finanzierung verbessern.


Erste Ergebnisse: Verbesserte Kooperationsmuster …

Verschiedene UN-interne und externe Studien haben die Umsetzung und Auswirkungen der Reform in den letzten Monaten untersucht.[8] Alle Studien stimmen darin überein, dass die Reform zu weitreichenden Veränderungen auf Länderebene geführt hat, auch wenn diese nicht notwendigerweise einheitlich über alle Organisationen hinweg, auf allen Hierarchiestufen und in allen Länderkontexten erfolgten.

Der Übergang zu einem unabhängigen RC-System ist ein Reformbereich, dem große Fortschritte attestiert werden. Viele Partnerregierungen erkennen die neuen Strukturen zunehmend als wertvolles Instrument zur Vereinfachung der Zusammenarbeit mit dem UNDS an. Das gilt besonders für solche Regierungen, die eine große UN-Präsenz im Land haben wie etwa Kenia oder Äthiopien.[9] Und auch von Seiten der Entwicklungspartner wird die unabhängigere und mit mehr Befugnissen ausgestattete RC-Rolle weitgehend anerkannt. Kleinere Organisationen und UN-Einheiten ohne physische Präsenz in einem Land fühlen sich besser in die Planungs- und Programmprozesse eingebunden als vor der Reform. In den Landesteams wird die aufgewertete Führungsrolle ebenfalls anerkannt, wenn auch nicht von allen begrüßt. Das neu gewichtete RC-System hat sich zudem positiv auf eine gemeinsame Antwort der UN auf die COVID-19-Pandemie ausgewirkt. Wie in fast allen Studien hervorgehoben, ist allerdings die neue Rolle des UNDP als ›Integrator‹ für die SDGs noch problematisch. Das UNDP hat einerseits die Expertise und traditionell guten Zugang zu Regierungen, um zu integrierten Ansätzen zu beraten. Aber es ist noch unklar, wie das UNDP diese Stärke auch in die jeweiligen Landesteams für ein UN-Angebot aus einem Guss einbringt. 

Alle Studien stimmen darin überein, dass die Reform zu weitreichenden Veränderungen auf Länderebene geführt hat.

Viele Mitglieder von Landesteams schätzen die neu strukturierten Vorbereitungs- und Planungsprozesse im Kontext der Erstellung der Kooperationsrahmen, da diese einen intensiveren Austausch ermöglichten und auch der Regierung und anderen Akteuren die Möglichkeit böten, die jeweiligen Prioritäten besser einzubringen. Sie berichten meist über ein höheres Maß an Zusammenarbeit, was zu kohärenteren Plänen mit einer stärkeren Ausrichtung auf gemeinsame Ergebnisse führe. Allerdings wird vielfach davor gewarnt, das zusätzliche, zeitintensive bürokratische Prozesse entstünden, deren Mehrwert sich erst zeigen müsse. Außerdem behinderten organisationsspezifische Vorgaben weiterhin die Zusammenarbeit und die Loyalität gegenüber der eigenen Organisation sei vielfach noch deutlich größer als gegenüber dem gesamten Landesteam.

Trotz Finanzierungspakt ist zudem noch keine Trendwende bei der Art und Weise eingetreten, wie einzelne UN-Landesteams finanziert werden. Zwar steigt der Anteil an zusammengelegten Finanzierungsmechanismen wie dem Friedenskonsolidierungsfonds (Peacebuilding Fund – PBF), die die Zusammenarbeit zwischen UN-Organisationen für die Mittelvergabe voraussetzen. Studien berichten jedoch auch, dass vor Ort Geber immer noch häufig einzelne Projekte von individuellen UN-Organisationen finanzieren – sei es aus Unkenntnis, sei es aufgrund von gewachsenen Partnerschaften, sei es, um bestimmte thematische Prioritäten sicherzustellen. Auch UN-Organisationen selbst werben für ihre individuelle Arbeit Mittel ein, ohne notwendigerweise den RC einzubeziehen. Diese Finanzierungsmuster werden durchgängig als ein Haupthindernis für Zusammenarbeit und Kohärenz vor Ort genannt.

Alles in allem scheint die Reform also eine verstärkte organisations- und sektorübergreifende Koordinierung zu fördern, die im Einklang mit den Anforderungen der Agenda 2030 steht. Jedoch bleiben die Fortschritte unvollständig, fragil und unterliegen strukturellen Beschränkungen.


… aber der systemische Wandel steht aus

Schwieriger zu beantworten ist die Frage, inwiefern sich Verbesserungen in der Zusammenarbeit von UN-Akteuren im Land tatsächlich in besser integrierten Maßnahmen der Politikberatung und -umsetzung niederschlagen. Die Überwachung der UN fokussiert sehr differenziert auf verschiedene Aspekte und Prozesse der Zusammenarbeit in den Landesteams, während die faktischen, nach außen wirkenden Verbesserungen allenfalls gestreift oder nur pauschal erhoben werden. So gibt es immerhin den positiven Befund, dass 79 Prozent der Entwicklungsländer einen größeren Fokus auf gemeinsame Ergebnisse sehen in Folge der UN-Reform.[10] Zu wesentlichen programmatischen Reformzielen wie einer verbesserten Integration der SDGs existiert keine systematische Berichterstattung.

Die Anpassung des UNDS an die Agenda 2030 entspricht noch nicht den von den UN selbst gesetzten Erwartungen.

Die Anpassung des UNDS an die Agenda 2030 entspricht nach unserer Forschung noch nicht den von den UN selbst gesetzten Erwartungen. Sofern es in den Kernbereichen von integrierter SDG-Bearbeitung und einem stärkeren Fokus auf Menschenrechte Verbesserungen gibt, scheinen diese anekdotischer und nicht systematischer Natur zu sein.

SDG-Integration bedeutet, die positiven und negativen Wechselwirkungen von Entwicklungszielen und -maßnahmen in den Blick zu nehmen und im Rahmen einer Systemperspektive zu adressieren.[11] Industrielle Entwicklung darf nicht auf Kosten der Umwelt gehen (Vermeidung negativer Auswirkungen); die Position von Frauen zu stärken kann der Schlüssel sein, um gleichermaßen Verbesserungen beim Kindeswohl und demokratischer Repräsentanz zu erzielen (Nutzung von Synergien). UN-Akteure müssen dazu in der Analyse und Umsetzung zusammenarbeiten und gegebenenfalls auch als Korrektiv wirken, wenn eine integrierte Herangehensweise politisch nicht opportun ist.[12]

Auch wenn der Begriff SDG-Integration ein omnipräsentes Schlagwort in den UN ist, so finden sich in den von uns betrachteten Analyse- und Planungsdokumenten der UN-Landesteams kaum konkrete Auseinandersetzungen damit, die handlungsleitende Wirkung entfalten könnten. Laut Interviews ist eine integrierte Herangehensweise bislang kein wesentlicher Gesichtspunkt der Programmgestaltung, wobei allerdings einzelne Landesteams Arbeitsgruppen geschaffen haben, die sich damit im Zuge der Programmumsetzung beschäftigen. Bedenkenswert ist unser Befund, dass es unter UN-Praktikerinnen und -Praktikern bislang kein einheitliches Verständnis davon zu geben scheint, was SDG-Integration bedeutet.

Ein ähnliches Bild ergibt sich in Bezug auf die normative Wirkungsweise der UN. Menschenrechte sollen ein leitender Gesichtspunkt der UN-Länderarbeit sein. Unter dem für die Agenda 2030 zentralen Prinzip ›Niemanden zurücklassen‹ sollen die UN gegen diskriminierende Strukturen kämpfen und sich auf die am stärksten Benachteiligten konzentrieren. Zwar zeigt die UN-eigene Überwachung, dass die RCs stärker als vor der Reform als Protagonisten einer normativen Wirkungsweise wahrgenommen werden.[13] Das ist auch unser Eindruck aus Gesprächen mit Praktikerinnen und Praktikern. Aber wiederum fehlt es in den Programmdokumenten an klaren Analysen zu struktureller Diskriminierung. Statt Ursachen für nachhaltige Lösungen zu bekämpfen, wird eher auf materielle Unterstützung gesetzt. Bei der Programmgestaltung werden in 80 Prozent der Fälle die Geber einbezogen, aber in nur 52 Prozent die nationalen Menschenrechtsinstitutionen.[14] Ungelöst ist die Frage, wie stark Residierende Koordinatoren politisch intervenieren sollen und was dabei ihre Handlungsspielräume sind.[15] Ein Konflikt mit Gast­-regierungen ist immer problematisch. Häufig beziehen die RCs im Rahmen der ›stillen Diplomatie‹ Position, aber es lässt sich fragen, ob eine öffentliche Vertretung von UN-Werten nicht glaubwürdiger und wirksamer wäre.[16]


Drei Problemkomplexe

Einige der diskutierten Ergebnisse zur Wirkung der Reform auf Länderebene lassen sich zwar mit dem komplexen und noch andauernden Veränderungsprozess erklären. Sie weisen aber auch auf die großen Schwierigkeiten hin, das UNDS stärker als System agieren zu lassen und seine Funktionen auf das auszurichten, was im Zeitalter der Agenda 2030 und möglichweise abnehmender finanzieller Unterstützung für Entwicklungshilfe erforderlich ist.


Die Einstellung ›meine UN-Organisation zuerst‹ besteht fort

Zwar bekennen sich alle UN-Organisationen zur Reform und haben nach eigenen Verlautbarungen entsprechende institutionelle Anpassungen vorgenommen. Gleichwohl ist häufig nicht klar, wie tiefgreifend und wirksam diese sind. Hinter den Kulissen hört man weiter von teils erheblichen Vorbehalten gerade auch bei den zentralen Fonds und Programmen gegen die Reform und unterbliebenen Anstrengungen, die Handlungsanreize für das Personal wirksam zu ändern. Letztlich handeln Organisationen mehr in ihrem eigenen als im kollektiven Interesse; die gemeinsame Identität ist noch schwach ausgeprägt und die Autorität des RCs hat klare Grenzen. Das Motto ›meine UN-Organisation zuerst‹ gilt auch für die Regierungen der Gast- und Geberländer: Pflegen sie separate Beziehungen zu bestimmten Organisationen, untergraben sie die internen Bemühungen um mehr Einheitlichkeit. Die Erfahrung zeigt aber auch, dass wenn Gastregierungen eine UN-interne Zusammenarbeit aktiv einfordern – wie etwa in Ruanda –, es dann unter dem externen Druck in den Landesteams auch besser läuft. 


Die Vielfalt in den Landesteams macht Integration schwierig

Die Umsetzung von Reformen ist nicht nur eine rein technische Angelegenheit, sondern bringt Konflikte mit sich, da Kosten und Nutzen ungleich verteilt sind und es vermeintliche Gewinner und Verlierer gibt. Einige Organisationen befürchten, den Zugang zur Regierung oder zu Geldgebern, ihre Sichtbarkeit oder gar die Möglichkeit zur Umsetzung ihrer Mandate zu verlieren. Dies sind in der Regel die größeren Organisationen wie das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (United Nations Children’s Fund – UNICEF) und das UNDP. Insbesondere kleinere Organisationen wie UN Women oder die Organisation der Vereinten Nationen für industrielle Entwicklung (United Nations Industrial Development Organization – UNIDO), die auch nicht in jedem Entwicklungsland mit einem eigenen Büro vertreten sind, sehen dagegen ein positives Kosten-Nutzen-Verhältnis für sich. Sie profitieren von der größeren Reichweite der oder des RC, von der Unterstützung durch das RC-Büro, von Synergien mit Schwesterorganisationen und dem Zugang zu Finanzmitteln. UN-Organisationen unterscheiden sich auch in anderer Hinsicht, wie etwa ihrer Nähe zu Regierungen oder Geldgebern, ihren Personal­kapazitäten vor Ort, ihrer Unterstützung der Umsetzung von Normen und Standards gegenüber eher operativen Funktionen, ihrer Finanzierung und ihrer Position im entwicklungspolitischen und humanitären Spektrum. Daraus folgt, dass ein Koordinierungsansatz, der ungleiche Organisationen als gleichwertig behandelt, zwangsläufig zu Reibungen und Frustrationen führen muss. Es gibt nicht einen Königsweg, wie UN-Organisationen ihre einzigartigen Ansätze zu einem gemeinsamen Angebot kombinieren können.

Ein Hindernis für eine nachhaltige Wirkungsweise liegt in den kommerziell orientierten Geschäftspraktiken vieler UN-Organisationen.


Geschäftsmodelle untergraben kollektive Ergebnisorientierung

Ein anhaltendes Hindernis für eine wirklich kollektive und nachhaltige Wirkungsweise liegt in den kommerziell orientierten Geschäftspraktiken vieler UN-Organisationen. Mit Geschäftspraktiken ist die Art und Weise gemeint, wie Organisationen ihre Ziele, Fähigkeiten und Finanzen miteinander verbinden und gewichten. Das derzeitige Geschäftsmodell basiert auf einem opportunistischen Verhalten, das auf Einnahmengenerierung ausgelegt ist und im Widerspruch zu einer multilateralen, auftragsorientierten und an nachhaltiger Wirkung orientierten Arbeitsweise steht. Trotz der seit den 1990er Jahren unternommenen Anstrengungen, auf einer stärker programmatischen, politikrelevanten Ebene zu arbeiten, dominiert praktisch die Projektarbeit. In ihr verbindet sich die kleinteilige zweckgebundene Finanzierung mit der Notwendigkeit, für die Geldgeber schnelle und greifbare Ergebnisse zu erzielen, statt die ›dicken Bretter‹ von Nachhaltigkeitstransformationen und politischem Wandel zu bohren. Projektarbeit erzeugt auch Fragmentierung und Koordinierungsbedarf, der zugleich erschwert wird, weil hinter jeder Finanzierung in der Regel ein Geber steht. Und sie heizt den Wettbewerb unter den Organisationen an. Ein weiterer Nebeneffekt ist, dass die UN überwiegend mit externen Beraterinnen und Beratern arbeiten und es ihnen damit an der Art von eigenem Fachpersonal fehlt, das über langjährige Erfahrung und soziales Kapital verfügt und für eine integrierte Politikberatung notwendig ist.[17]


Stärkung der UN vor Ort

Der Erfolg der Reform ist also nicht garantiert, wobei die Dringlichkeit für ein kohärentes, integriert agierendes und politisch auftretendes UNDS weiter zunimmt: Die weltweiten Mehrfachkrisen bedrohen bisherige Entwicklungserfolge und könnten die schon vom Kurs abgekommene Agenda 2030 unerreichbar machen. UN-Mitgliedstaaten sollten deutlich intensiver die einzelnen UN-Organisationen für die Anpassung an systemweite Prioritäten zur Rechenschaft ziehen und darauf dringen, dass sich auf allen Ebenen des Systems ein Sinneswandel durchsetzt. Außerdem kommt der Veränderung der Finanzierungsmuster, die bislang das System auseinandertreiben, große Bedeutung zu. Was technisch anmutet ist letztendlich, genau wie die Reform, von politischer Relevanz: An­gesichts des wachsenden Widerstands gegenüber liberal-demokratischen Werten und Normen, dem Druck auf Zivilgesellschaften sowie globalen Herausforderungen von Ungleichheit und Klimawandel, um nur die wichtigsten zu nennen, kommt es darauf an, die Stimme der Vereinten Nationen und ihre Rolle in Entwicklungsprozessen zu stärken – nicht nur global, wo viele Debatten politisiert sind, sondern auch dezentral in den Ländern.

 

[1] Dieser Beitrag baut auf einer im Jahr 2021 durchgeführten Studie zur Umsetzung der Reform auf, siehe Silke Weinlich et al., New Rules, Same Practice? Analysing UN Development System Reform Effects at the Country Level, Bonn 2022.

[2] Für eine Analyse der Problemlagen des UNDS siehe Timo Mahn, The United Nations in Development: Confronting Fragmentation?, in: Stephan Klingebiel/Timo Mahn/Mario Negre (Eds.), The Fragmentation of Aid: Concepts, Measurements and Implications for Development Cooperation, Basingstoke 1999, S. 247–260; Max-Otto Baumann/Silke Weinlich, Funding the UN: Support or Constraint?, in: Stephen Browne/Thomas G. Weiss (Eds.), Routledge Handbook on the UN and Development, Abingdon 2021, S. 151–164; Max-Otto Baumann, Forever North-South? The Political Challenges of Reforming the UN Development System, Third World Quarterly, 39. Jg., 4/2018, S. 626–641.

[3] Silke Weinlich, Die Reform der Entwicklungszusammenarbeit der Vereinten Nationen: eine Analyse des Verhaltens und der Positionierung wichtiger Staaten gegenüber Reformoptionen, Bonn 2010.

[4] Max-Otto Baumann, Reformdruck durch die 2030-Agenda, VEREINTE NATIONEN (VN), 65. Jg., 3/2017, S. 104–109.

[5] UN-Dok. A/RES/72/279 v. 31.5.2018.

[6] Lesley Connolly/Jimena Leiva, Unpacking the UN’s Development System Reform, New York 2020.

[7] Silke Weinlich et al., Earmarking in the Multilateral Development System – Many Shades of Grey, Bonn 2020.

[8] Siehe etwa Dag Hammarskjöld Foundation, The Way Forward: Fulfilling the Potential of the Funding Compact at the Country Level, Uppsala 2021; Multilateral Organisation Performance Assessment Network (MOPAN), Is This Time Different? UNDS Reform: Progress, Challenges, and Opportunities, Paris 2021; David Passarelli/Fatima Denton/Adam Day, Beyond Opportunism: The UN Development System’s Response to the Triple Planetary Crisis, New York 2021; UN Office of Internal Oversight Services (OIOS), Evaluation of the Resident Coordinator System Contribution to Country-level Programme Coherence, New York 2021; UN, Early Lessons and Evaluability of the UN COVID-19 Response and Recovery MPTF, New York 2021; David Passarelli/Adam Day, Stress Testing the UN’s Regional Prevention Approaches, New York 2022.

[9] MOPAN, Is This Time Different?, a.a.O. (Anm. 8), S. 74.

[10] UN Doc. A/77/69–E/2022/47 v. 21.4.2022, S. 8.

[11] United Nations Sustainable Development Group (UNSDG), Foundational Primer on the 2030 Agenda for Sustainable Development, 2019, S. 21, unsdg.un.org/SDGPrimer

[12] Vgl. Alexander Brand/Mark Furness/Niels Keijzer, Promoting Policy Coherence Within the 2030 Agenda Framework: Externalities, Trade-offs and Politics, Politics and Governance, 9. Jg., 1/2021, S. 108–118.

[13] United Nations, ANNEX: QCPR Monitoring Framework, 2021–24, New York 2022, S. 8.

[14] Ebd., S. 7.

[15] Siehe auch Passarelli/Denton/Day, Stress Testing, a.a.O. (Anm. 8).

[16] Gert Rosenthal, A Brief and Independent Inquiry Into the Involvement of the United Nations in Myanmar from 2010 to 2018, New York 2019, digitallibrary.un.org/record/3809543

[17] Siehe auch Weinlich et al., Earmarking in the Multilateral Development System, a.a.O. (Anm. 7), Bonn 2020.

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