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Bevölkerung und nachhaltige Entwicklung

Eine wachsende Weltbevölkerung mit einer nachhaltigen Entwicklung in Einklang zu bringen, ist eine geteilte Verantwortung der internationalen Gemeinschaft. Die größte Herausforderung ist dabei nicht das Bevölkerungswachstum, sondern der steigende Konsum einer kleinen Gruppe mit dem höchsten Einkommen.

Abbildung: Ökologischer Fußabdruck 2017, Quelle: Kartografie BiB 2022, Datenquelle: Global Footprint Network et al., National Footprint and Biocapacity Accounts 2021 (data.footprintnetwork.org); Kartengrundlage © EuroGeographics und UN-FAO, Bearbeitung und Generalisierung BiB.

Bevölkerungsfragen gehören zu den wichtigsten Zukunftsaufgaben der Menschheit und stellen eine zentrale Herausforderung der internationalen Gemeinschaft dar, mit der sich die Vereinten Nationen seit ihrer Gründung kontinuierlich beschäftigen. Parallel zur stetig wachsenden Weltbevölkerung hat sich die Sicht auf die globale Bevölkerungsentwicklung seit der Mitte des letzten Jahrhunderts jedoch grundlegend verändert. An die Stelle von Geburtenkontrolle zur Vermeidung einer drohenden ›Überbevölkerung‹ sind rechte­basierte Ansätze einer modernen Familienplanung getreten.[1] Gleichzeitig zeigen der fortschreitende Klimawandel und die stetig zunehmende Beeinträchtigung der Umwelt durch den Menschen, dass nicht mehr viel Zeit bleibt, die globale Bevölkerungsentwicklung mit den ökologischen Nachhaltigkeitsgrenzen in Einklang zu bringen. Mit der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung (Agenda 2030) wurden dazu im Jahr 2015 die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals – SDGs) verabschiedet, deren Umsetzung bis zum Jahr 2030 eng mit der globalen Bevölkerungsdynamik verbunden ist. Mit den SDGs bietet die Agenda 2030 einen neuen Orientierungsrahmen für bevölkerungsrelevante Politiken, der erstmals Aspekte der menschlichen Entwicklung einer wachsenden Welt-bevölkerung und die Folgen der Bevölkerungsentwicklung für Klima und Umwelt in einem Ansatz integriert.[2] Aspekte, die im Kontext der UN zuvor in jeweils eigenen Agenden behandelt wurden.[3]

 

Bevölkerungsfragen im Kontext der Vereinten Nationen

Bereits kurz nach der Gründung der UN wurde im Jahr 1946 eine Bevölkerungskommission des Wirtschafts- und Sozialrats (Economic and Social Council – ECOSOC) eingesetzt.[4] Im Jahr 1994 wurde sie, aus Anlass der Internationalen Konferenz für Bevölkerung und Entwicklung (International Conference on Population and Development – ICPD) von Kairo, in Kommission für Bevölkerung und Entwicklung (Commission on Population and Development – CPD) umbenannt.[5] Die CPD hat seither eine wichtige Aufgabe bei der Umsetzung des Aktionsprogramms (Programme of Action – PoA) der ICPD für die Bekämpfung von Armut und Förderung menschlicher Entwicklung.[6] Seit der Weltbevölkerungskonferenz von Kairo im Jahr 1994 werden Bevölkerungsfragen dabei unter dem Gesichtspunkt Sexueller und Reproduktiver Gesundheit und Rechte (SRHR) betrachtet, bei dem die individuelle freie Entscheidung über die Anzahl und den Zeitpunkt der Geburt erwünschter Kinder im Mittelpunkt steht. Die Förderung von Gesundheit, Bildung und Geschlechtergerechtigkeit geht dabei in der Regel mit einem geringeren Kinderwunsch einher. Allerdings fehlen vielen Mädchen und Frauen weltweit noch immer Informationen und Zugang zu modernen Methoden der Familienplanung. Frühe Schwangerschaft und Geburt sind – vor allem in Ländern mit einem niedrigen Index menschlicher Entwicklung – ein erheb­liches Gesundheitsrisiko für Mutter und Kind.[7]

Parallel zur Gründung der Bevölkerungskommission wurde im Jahr 1946 unter der UN-Hauptabteilung Wirtschaftliche und Soziale Angelegenheiten (UN Department of Economic and Social Affairs – UN DESA) eine Bevölkerungsabteilung (Population Division – PD) eingerichtet, der für die Beratung von Regierungen und für den Bedarf der UN und ihrer spezialisierten Agenturen die Aufgabe übertragen wurde, Forschung zur Bevölkerungsentwicklung und ihren Wechselwirkungen mit sozioökonomischen Faktoren durchzuführen.[8] Im Rahmen dieser Aufgabe veröffentlichte die PD im Jahr 1951 erstmals eine Vorausberechnung der Weltbevölkerung. Seither sind 26 aktualisierte Fassungen des Weltbevölkerungsausblicks (World Population Prospects – WPP) erschienen, zuletzt die Revision im Jahr 2019.[9] Die Daten der WPP sind Grundlage zahlreicher globaler Statistiken und Indikatoren der SDGs.[10] Neben den von der PD zur Verfügung gestellten Bevölkerungsdaten und -prognosen erscheinen regelmäßig auch analytische Berichte zu Bevölkerungsfragen, so aus Anlass der jährlichen CPD.[11] Der Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (United Nations Population Fund – UNFPA) veröffentlicht, basierend auf WPP-Daten, einen jährlichen Weltbevölkerungsbericht[12] und die DESA-PD eine eigene Serie mit Studien zur nachhaltigen Bevölkerungsentwicklung.[13] Bevölkerungsfragen werden auch im Rahmen der Berichterstattung über die Umsetzung der SDGs berücksichtigt.[14] Im Folgenden geht es um die wichtigsten Trends und Muster der globalen Bevölkerungsdynamik und die Zusammenhänge mit den sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Aspekten nachhaltiger Entwicklung.[15]

 

Wo wächst die Weltbevölkerung am stärksten?

Kurz bevor eine noch immer stetig, aber zunehmend langsamer wachsende Weltbevölkerung die Marke von acht Milliarden Menschen erreicht – nach Prognosen der UN wird dies für Anfang des Jahres 2023 erwartet – stellt sich die Frage nach der Zukunft der globalen Bevölkerungsentwicklung. Gegenwärtig wächst die Weltbevölkerung um jährlich rund 80 Millionen Menschen oder um etwa ein Prozent pro Jahr. Das entspricht in etwa einem jährlichen Zuwachs im Umfang der Bevölkerung Deutschlands. Damit ist das Bevölkerungswachstum seit seinem Höhepunkt im Jahr 1968 mit einer Wachstumsrate von 2,1 Prozent pro Jahr deutlich gesunken. Der Rückgang des Wachstums ist vor allem Folge eines weltweit stark rückläufigen Geburtenniveaus. Die Geburtenrate hat sich von rund fünf Kindern je Frau vor 50 Jahren auf heute etwa 2,5 Kinder je Frau halbiert und der Rückgang setzt sich gegenwärtig weiter fort. Mittlerweile haben zahlreiche Staaten bereits ein Geburtenniveau erreicht, das unterhalb der für den Ersatz der Elterngeneration erforderlichen durchschnittlichen 2,1 Kindern je Frau liegt. Dies trifft vor allem für Länder mit einem hohen oder sehr hohen Index menschlicher Entwicklung zu, die in Europa aber auch in Asien und in Lateinamerika und der Karibik zu finden sind.

Langfristig führt ein Geburtenniveau unter der Bestandserhaltungsgrenze zu Bevölkerungsrückgang und einer Verschiebung der Altersstruktur zugunsten älterer Geburtsjahrgänge. Aktuell übersteigen bereits in zwei Dutzend Ländern – darunter Deutschland – die jährlichen Sterbefälle die Anzahl der Geburten und für bevölkerungsreiche Länder wie Brasilien und China wird dies in Kürze ebenfalls erwartet.[16] Dass die Weltbevölkerung dennoch weiter steigt, resultiert einerseits aus einem noch immer sehr hohen Geburtenniveau in Ländern mit einem niedrigen Index menschlicher Entwicklung, von denen viele in Afrika südlich der Sahara liegen, und andererseits aus der Trägheit demografischer Prozesse. Die Bevölkerung wächst auch nach dem Beginn des Rückgangs des Geburtenniveaus noch für einige Jahrzehnte weiter, weil bei zunächst noch sehr jungen Bevölkerungen, mit einem pyramidenförmigen Altersaufbau, für einige Zeit mit jedem Jahr größere Geburtsjahrgänge in das Alter aufrücken, in dem Kinder geboren werden.

Die Abbildung 1 zeigt ein unterdurchschnittliches Bevölkerungswachstum von weniger als einem Prozent pro Jahr sowie Bevölkerungsrückgänge in den Ländern des Globalen Nordens, einschließlich China. Dies ist Folge der langanhaltend niedrigen Geburtenraten in diesen Ländern. In Afrika südlich der Sahara lässt sich eine Konzentration hoher Wachstumsraten der Bevölkerung von 2,1 Prozent bis zu einem Maximum von 4,1 Prozent pro Jahr beobachten. Die Region wird nach Annahmen der UN bis zum Jahr 2100 um 2,6 Milliarden Menschen wachsen, was etwa 90 Prozent des gesamten Wachstums der Weltbevölkerung entspricht. Dies liegt am hohen Geburtenniveau in Subsahara-Afrika, das mit 4,7 Kindern im Zeitraum 2015 bis 2020 gegenüber dem Höhepunkt Ende der 1970er Jahre mit 6,7 Kindern zwar stark zurückgegangen ist, der Rückgang hat aber später eingesetzt und verlief teilweise auch langsamer als in anderen Weltregionen.[17] Die Staaten mit dem derzeit höchsten Geburtenniveau sind Niger (7,0), Somalia (6,0), die Demokratische Republik Kongo (6,0), Mali (5,9), Tschad (5,8), Angola (5,6) und Burundi (5,5). Allerdings zeigen Beispiele wie Mauritius, dass auch in Afrika sehr schnelle Rückgänge erzielt werden konnten, von etwa sechs Kindern im Jahr 1960 auf 1,4 Kinder heute. Außerhalb Afrikas ist das Geburtenniveau in Afghanistan mit 4,6 Kindern am höchsten. Die niedrigsten Geburtenniveaus finden sich derzeit in Südkorea (1,1) sowie in der Republik China (Taiwan), Macau, Singapur und Puerto Rico (alle 1,2).

 

Wann stabilisiert sich die Weltbevölkerung?

Ungeachtet des weltweiten Rückgangs des Geburtenniveaus, teilweise unter die für den Bestandserhalt der Bevölkerung erforderliche Schwelle von 2,1 Kindern je Frau, wächst die globale Bevölkerung nach Prognosen der letzten WPP-Revision aus dem Jahr 2019 noch bis zum Ende des Jahrhunderts. Etwa um diesen Zeitpunkt wird sich die Weltbevölkerung nach den UN-Berechnungen zunächst stabilisieren, um danach langsam zurückzugehen. Dass es von 2066, dem Jahr für das erstmals ein Geburtenniveau von weltweit unter 2,1 Kindern je Frau prognostiziert wird, bis zur Stabilisierung der Weltbevölkerung noch rund vierzig Jahre dauert, hängt mit der erwähnten demografischen Trägheit zusammen. Ausgehend von einer Weltbevölkerung mit knapp acht Milliarden Menschen im Jahr 2022 wird bis zum Jahr 2050 ein Anstieg auf 9,7 Milliarden erwartet und es wird angenommen, dass sich das Wachstum bis zum Jahr 2100 auf wahrscheinlich 10,9 Milliarden fortsetzt. Bis zum Ende des Jahrhunderts wächst die Welt­bevölkerung nach der UN-Prognose um knapp drei Milliarden Menschen, das entspricht etwa der Weltbevölkerung im Jahr 1960.

Bevölkerungsprognosen unterliegen immer einer gewissen Unsicherheit im Hinblick auf die getroffenen Annahmen. Für die Weltbevölkerung sind dies die Entwicklung der Lebenserwartung bei der Geburt, für die ein kontinuierlicher Anstieg und ein Rückgang regionaler Unterschiede angenommen wird, und das Geburtenniveau. Vor allem bei der Prognose des Geburtenniveaus wirken sich Abweichungen der Prognoseannahmen von der tatsächlichen Entwicklung über die Zeit deutlich auf das prognostizierte Bevölkerungswachstum aus. Für die Annahmen des Geburtenniveaus gehen die UN für die letzte WPP-Revision in der mittleren Variante davon aus, dass in Staaten mit einem noch immer hohen Geburtenniveau der Rückgang in etwa dem historischen Trend folgt, der in der Vergangenheit für andere Länder mit einem vergleichbaren Ausgangsniveau beobachtet werden konnte. Da sich mögliche Abweichungen über lange Zeiträume verstärken können, nimmt die Unsicherheit im Zeitverlauf zu. Bis zum Jahr 2050 weichen alternative Varianten um plus 0,4 (10,1 Milliarden) bis zu minus 0,3 (9,4 Milliarden) von der mittleren Variante mit 9,7 Milliarden Einwohnern ab.[18] Bis zum Jahr 2100 vergrößert sich diese Spannweite, bei einer mittleren Prognose von 10,9 Milliarden, auf plus 1,8 (12,7 Milliarden) bis zu minus 1,5 Milliarden Menschen (9,4 Milliarden). Ein großer Anteil dieser Unsicherheit entfällt auf die künftige Entwicklung des Geburtenniveaus in Subsahara-Afrika, die schwer vorhersehbar ist.

 

Wie nachhaltig ist die Bevölkerungsentwicklung?

Bereits seit den 1970er Jahren liegt der vom Menschen verursachte ökologische Fußabdruck über der nachhaltig verfügbaren Bio-Kapazität der Erde.[19] Der Verbrauch von natürlichen Ressourcen für den Bedarf an Nahrungsmitteln und den Konsum materieller Güter sowie die Emission von Treibhausgasen und anderen Schadstoffen ist seither so stark gestiegen, dass nach Berechnungen des ›Global Footprint Networks‹ im Jahr 2017 etwa 1,7 Erden erforderlich waren, um den weltweiten Verbrauch nachhaltig zu decken.[20] Bei einer weiter steigenden Weltbevölkerung und einem weiter zunehmenden Wohlstandsniveau wird dieser Wert ebenfalls weiter steigen, sofern nicht der Pro-Kopf-Fußabdruck, etwa durch eine höhere Energieeffizienz, deutlich gesenkt werden kann.[21]

Der ökologische Fußabdruck der einzelnen Staaten unterscheidet sich dabei sehr stark. Abbildung 2 zeigt, wie groß die globale Fläche sein müsste, wenn weltweit alle Menschen einen so hohen Pro-Kopf-Fußabdruck hätten, wie das jeweilige Land aufweist. Der Globale Norden hat dabei durchweg einen sehr hohen ökologischen Fußabdruck, zum Teil mehr als drei Mal so hoch wie nachhaltig verfügbar ist. Würden beispielsweise alle Menschen so viel verbrauchen wie die Bevölkerung der USA, wären unter nachhaltigen Bedingungen fünf Erden erforderlich. Zahlreiche Länder, vor allem in Afrika, aber auch bevölkerungsreiche Länder wie Pakistan und Indien, bleiben dagegen bisher unter der Nachhaltigkeitsschwelle von einer Erde. Dies liegt vor allem daran, dass Länder mit einem niedrigen Einkommensniveau auch einen sehr geringen Energieverbrauch pro Kopf der Bevölkerung aufweisen. So betrug der Anteil der zehn Prozent höchsten Einkommen im Jahr 2015 knapp die Hälfte der globalen Kohlendioxid-Emissionen, die der zehn Prozent niedrigsten Einkommen aber nur sieben Prozent.[22] Der Anstieg der Kohlen­dioxid-Emissionen zwischen den Jahren 1990 und 2015 wurde ebenfalls etwa zur Hälfte von den reichsten zehn Prozent der Weltbevölkerung verursacht. Die ärmste Hälfte der Welt trug dagegen kaum zum Anstieg bei.[23] Die Folgen von Klimawandel und Umweltzerstörung treffen aber vor allem die ärmste Bevölkerung im Globalen Süden, die oft nicht über die Kapazitäten verfügt, um diese Herausforderung zu bewältigen.

Eine besondere Bedeutung bei der nachhaltigen Gestaltung des globalen Bevölkerungswachstums kommt der Energieeffizienz zu, um die Bevöl­kerungsentwicklung und das Wohlstandswachstum von den Treibhausgasemissionen entkoppeln zu können. In den letzten zwanzig Jahren sind die Emissionen deutlich gesunken, die für ein bestimmtes Wohlstandsniveau erforderlich sind, und Länder des Globalen Südens haben bei der Energieeffizienz deutlich aufgeholt.[24] Hier besteht weltweit allerdings noch erheblicher Spielraum für weitere Verbesserungen. Bei der Betrachtung der Pro-Kopf-Emissionen zeigt sich, dass diese in vielen Ländern des Globalen Südens, mit einer wachsenden Mittelschicht und steigendem Wohlstand, seit dem Jahr 2000 deutlich gestiegen sind, allerdings ausgehend von einem sehr niedrigen Niveau. China hat dabei mittlerweile das Pro-Kopf-Niveau in der Europäischen Union (EU) sogar leicht übertroffen. In Ländern mit einem hohen Einkommensniveau, wie in der EU, wurden die Effizienzgewinne teilweise durch ein höheres Wohlstandsniveau kompensiert, sodass die relativ hohen Emissionen pro Kopf dort nur wenig zurückgegangen sind. In Subsahara-Afrika liegen die Pro-Kopf-Emissionen dabei noch immer auf einem konstant sehr niedrigen Niveau. Würden die künftigen Pro-Kopf-Emissionen dort, als Folge eines traditionellen auf Industrialisierung basierenden Entwicklungspfades, dem Vorbild Chinas folgen, wäre unter Berücksichtigung des zu erwarteten Bevölkerungswachstums mit einem erheblichen zusätzlichen Anstieg der globalen Kohlendioxid-Emissionen zu rechnen. Diese haben seit dem Jahr 2000 ohnehin – kaum gebremst – weiter zugenommen. Daher werden für die nachhaltige Wirtschaftsentwicklung in den Ländern südlich der Sahara gegenwärtig neue Entwicklungskonzepte gefördert, die ressourcenintensive Entwicklungsschritte überspringen sollen.[25]

 

Globaler Norden in der Pflicht

In der Vergangenheit war die Diskussion um die Grenzen der Tragfähigkeit der Erde, geprägt von hohen und weiter steigenden Wachstumsraten, von der Auffassung bestimmt, dass Bevölkerungskon­trolle erforderlich sei, um eine ›Überbevölkerung‹ der Erde zu vermeiden. Nach Kairo hat sich dies grundlegend geändert, nicht zuletzt aufgrund der mit Programmen zur Bevölkerungskontrolle verbundenen Verletzung individueller Rechte. Bevölkerungsfragen werden seither von SRHR dominiert, sowohl international, beispielsweise bei den jährlichen Verhandlungen der CPD, als auch in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Lange wurde in diesem Kontext wenig diskutiert, welche Folgen ein hohes Bevölkerungswachstum für die menschliche Entwicklung und die Umwelt hat. Einerseits wurde angenommen, dass die Realisierung von SRHR in Staaten mit einem niedrigen Index menschlicher Entwicklung langfristig den Kinderwunsch senken und die Menschen in die Lage versetzen würde, dies auch umzusetzen. Andererseits wurde deutlich, dass Bevölkerungspolitik mit dem Ziel einer Geburtenbeschränkung aufgrund der demografischen Trägheit in den nächsten Jahrzehnten nur wenig zu einer Reduzierung des Bevölkerungswachstums würde beitragen können. Mit der Agenda 2030 hat sich die Perspektive jüngst erneut verschoben. Die Bevölkerungszahl ist danach zwar noch stets eine wichtige Größe für die menschliche Entwicklung, wenn Armut bekämpft und in menschliche Entwicklung investiert werden soll: zum Beispiel in Gesundheit, Bildung, Beschäftigung, Wohnen und Infrastruktur. Für Klima und Umwelt sind nachhaltige Produktions- und Konsumbedingungen und die Reduzierung von Ungleichheit aber von größerer Bedeutung als die absolute Zahl an Menschen. Die Lebensbedingungen aller, vor allem aber der Ärmsten zu verbessern und dabei gleichzeitig den Einfluss auf Klima und Umwelt auf ein nachhaltiges Maß zurückzuführen, ist heute die größte Herausforderung. Hier sind vor allem der Globale Norden und die wohlhabende Elite in der Verantwortung, die aktuell und historisch den größten Anteil des weltweiten Konsums und des damit verbundenen negativen Einflusses auf Klima und Umwelt auf sich vereinigen. Ob hierfür Innovationen und Investitionen in nachhaltiges Wirtschaftswachstum alleine ausreichen werden oder Verzicht auf Wohlstand und weiter steigenden Konsum erforderlich wird, ist derzeit noch umstritten.[26]

 

[1] Vgl. Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), Sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte, Bevölkerungsdynamik, BMZ Spezial 148, repository.publisso.de/resource/frl:2504526-1/data; Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (DSW), Positionspapier Sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte, www.dsw.org/wp-content/uploads/2019/10/SRGR_final_web.pdf

[2] Vgl. BMZ, Der Zukunftsvertrag für die Welt, www.bmz.de/de/mediathek/publikationen/reihen/infobroschueren_flyer/infobroschueren/Materialie270_zukunftsvertrag.pdf

[3] Dies betrifft Umweltfragen, zum Beispiel in der Agenda 21, die im Jahr 1992 auf der Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung (United Nations Conference on Environment and Development – UNCED) verabschiedet wurden, www.un.org/depts/german/conf/agenda21/agenda_21.pdf

[4] UN Doc. E/RES/3 (III) v. 3.10.1946.

[5] UN-Dok. A/RES/49/128 v. 19.12.1994, Para. 24.

[6] Gemessen anhand des Index der menschlichen Entwicklung (Human Development Index – HDI), hdr.undp.org/en/content/human-development-index-hdi

[7] Vgl. Christine Schuster et al., Bevölkerungsdynamik in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit, Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ), Bonn 2018, health.bmz.de/what_we_do/population_dynamics/GIZ_Auftrag_BMZ_A5_Bevoelkerungsdy_web_compressed.pdf

[8] United Nations Population Division, Population Index, 43. Jg., 1/1977, S. 7–14, doi.org/10.2307/2734227

[9] Vgl. Thomas Büttner, World Population Prospects, Economie et Statistique/Economics and Statistics, H. 520 521, 21.12.2020, S. 9–27, doi.org/10.24187/ecostat.2020.520d.2030. Die nächste Revision soll noch in diesem Jahr erscheinen.

[10] UN DESA, World Population Prospects 2019, population.un.org/wpp/, siehe auch UNFPA, Population Data Portal, pdp.unfpa.org/ und The World Bank, World Bank Open Data, data.worldbank.org/

[11] UN PD, Commission on Population and Development, 55th Session, 2022, www.un.org/development/desa/pd/events/CPD55

[12] UNFPA, State of the World Population 2022, www.unfpa.org/swp2022. Die deutsche Kurzfassung ist unter www.dsw.org/wp-content/uploads/2022/03/UNFPA-Weltbevoelkerungsbricht_2022.pdf zu finden.

[13] UN DESA, Global Population Growth and Sustainable Development, www.un.org/development/desa/pd/sites/www.un.org.development.desa.pd/files/undesa_pd_2022_global_population_growth.pdf

[14] Sustainable Development Report 2021, The Decade of Action for the Sustainable Development Goals, dashboards.sdgindex.org/

[15] Siehe auch Elke Loichinger/Frank Swiaczny, Globale Bevölkerungsentwicklung, 8.7.2021, www.bib.bund.de/Publikation/2021/pdf/Globale-Bevoelkerungsentwicklung.pdf; Frank Swiaczny, Atlas zur Weltbevölkerung, Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, 2018, www.bib.bund.de/Publikation/2018/Atlas-zur-Weltbevoelkerung.html

[16] Vgl. Frank Swiaczny/Elke Loichinger, Bevölkerungsrückgang als globale Herausforderung, Bevölkerungsforschung Aktuell 6/2021,
www.bib.bund.de/Publikation/2021/pdf/Bevoelkerungsforschung-Aktuell-6-2021.pdf

[17] Vgl. Alisa Kaps/Daniel Hegemann/Catherina Hinz, Warum Afrikas Wirtschaftswachstum seine demografische Herausforderung nicht löst, Berlin Institut für Bevölkerung und Entwicklung, Berlin 2020, www.berlin-institut.org/studien-analysen/detail/wachstum-gut-alles-gut; Alisa Kaps/Ann-Kathrin Schewe/Reiner Klingholz, Afrikas demografische Vorreiter, Berlin Institut für Bevölkerung und Entwicklung, Berlin 2019,
www.berlin-institut.org/studien-analysen/detail/afrikas-demografische-vorreiter

[18] Nach diesen Varianten liegt die Weltbevölkerung mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent zwischen der oberen und unteren Grenze der Spannweite der Prognose. Das Hauptszenario einer vom ›Wittgenstein Centre for Demography‹ und ›Global Human Capital‹ veröffentlichten Prognose entspricht weitgehend der unteren Variante der WPP-Revision aus dem Jahr 2019.

[19] Vgl. Iris Pufé, Was ist Nachhaltigkeit? Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ), 31. Jg., 32/2014, S. 15–21, www.bpb.de/apuz/188663/was-ist-nachhaltigkeit-dimensionen-und-chancen

[20] Vgl. David Lin et al., Ecological Footprint Accounting for Countries, Resources, 7. Jg., 3/2018, doi.org/10.3390/resources7030058; Bundeszentrale für politische Bildung, Ökologischer Fußabdruck und Biokapazität, 1.9.2017, www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/ globalisierung/255298/oekologischer-fussabdruck-und-biokapazitaet

[21] Vgl. Paul R. Ehrlich/John P. Holdren, Impact of Population Growth, Science, 171. Jg., 3977/1971, S. 1212–1217, doi.org/10.1126/science.171.3977.1212

[22] UN Environmental Programme (UNEP), Emission Gap Report 2020, Executive Summary, Nairobi 2020, S. XV.

[23] Sivan Kartha et al., The Carbon Inequality Era, SEI, 21.9.2020, www.sei.org/publications/the-carbon-inequality-era/

[24] Climate Watch, Historical GHG Emissions, GCP-Data, www.climatewatchdata.org/ghg-emissions

[25] Vgl. Reiner Klingholz et al., Wie in Afrika große Entwicklungssprünge möglich werden, www.berlin-institut.org/studien-analysen/detail/schnell-bezahlbar-nachhaltig

[26] Vgl. dazu auch Reiner Klingholz, Immer mehr Menschen wollen immer mehr, VEREINTE NATIONEN (VN), 69. Jg., 5/2021, S. 202–207.

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