Massiver Glaubwürdigkeitsverlust

Bundesdeutsche Außenpolitik seit dem Jahr 1949 zielte in besonderem Maße auf die Zivilisierung der internationalen Beziehungen ab. Erst Bonn, dann Berlin drängten auf eine internationale Rechtsordnung, die Völkermord, ›ethnische Säuberungen‹ und Kriegsverbrechen ächtet. Dieses Engagement, das sich nicht zuletzt aus der Verantwortung vor der eigenen bitteren Geschichte ableitete, war zumindest in Teilen eine Erfolgsgeschichte. Vor allem aber gelang es Deutschland dadurch, vom Paria innerhalb der Staatenwelt zu einem der meistgeachteten und populärsten UN-Mitgliedstaaten zu avancieren.
Die international als außerordentlich einseitig wahrgenommene Positionierung Deutschlands zum andauernden Krieg in Gaza haben dem Ansehen des Landes einen in 76 Jahren bundesdeutscher Geschichte beispiellosen Schaden zugefügt. Ein Krieg, der sich schon früh jeglicher militärischen Logik entzog und dessen groteske Unverhältnismäßigkeit in erster Linie Unschuldige, Frauen und Kinder trifft, wird von den politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern hierzulande noch heute weitgehend unter ›legitimer Selbstverteidigung‹ Israels subsumiert. Eine Einschätzung, die die Mehrheit der deutschen Bevölkerung laut Umfragen schon lange nicht mehr teilt. Das Bekenntnis zu einer regelbasierten Weltordnung, mit Blick auf die Ukraine umso heftiger beschworen, wird hier aktiv unterminiert. Was in Gaza passiert, sind massive Kriegsverbrechen einer durch den Westen bewaffneten und diplomatisch gedeckten, in weiten Teilen rechtsextremen Regierung. Die Verfahren vor den Organen der von der Bundesrepublik einst gepriesenen internationalen Rechtsordnung sind nicht grundlos anhängig.
Es ist bemerkenswert, dass in der menschengemachten humanitären Dauerkatastrophe von Gaza gerade jene alte Bundesregierung scheiterte, die sich wie keine andere vor ihr eine ›wertebasierte‹, gar ›feministische‹ Außenpolitik auf die Fahnen geschrieben hatte. Es ist nicht nur ein Scheitern vor den Augen der Weltöffentlichkeit, für die Gaza ungleich präsenter ist als die Ukraine und die Deutschland aktiv mit den fast täglichen Verbrechen assoziiert, sondern auch ein Scheitern an den eigenen Ansprüchen.
Dabei ist das Grauen keineswegs vorbei. Die israelische Regierung des hierzulande weiterhin als ›Wertepartner‹ titulierten und mit Waffen versorgten Landes strebt nun, erstmals mit amerikanischer Unterstützung, ganz offen die ›ethnische Säuberung‹ Gazas an. Es ist kein Geheimnis, dass dasselbe Szenario von weiten Teilen der israelischen Regierung auch für das Westjordanland angedacht ist. Der rhetorische Protest des liberalen Europas dagegen geht einher mit aktivem Nichtstun. Nennenswerter Druck wurde nie ausgeübt. Welche Botschaft sendet es, wenn die neue Bundesregierung sich ihren Verpflichtungen gegenüber dem Kriegsverbrecherverfahren am Internationalen Strafgerichtshof (International Criminal Court – ICC) entzöge?
Noch könnte die Bundesrepublik umsteuern. Übrigens keineswegs nur aus Wertegründen, sondern auch aus wohlverstandenem Eigeninteresse. Das Bekenntnis zu einer regelbasierten, völkerrechtszentrierten Ordnung ist eben nicht nur ideologische Marotte, sondern für eine Mittel- und Handelsmacht wie Deutschland, eingebunden in eine europäische Rechtsordnung, Grundlage des eigenen Erfolgs und aktives Angebot in unserem Werben um die Staaten des Globalen Südens. Sollte man dieses Bekenntnis preisgeben, muss sich dieses Land an eine Welt gewöhnen, in der Grenzverschiebungen, Kriegsverbrechen und Völkermord wieder normalisierte Mittel internationaler Politik werden. Es wäre das Ende einer deutschen Außenpolitik, die jahrzehntelang das Gegenteil anstrebte.