Bilanz der deutschen Amtszeit im UN-Sicherheitsrat
Deutschland fand sich als gewähltes Mitglied in den Jahren 2019 und 2020 in einer der schwierigsten Phasen in der Geschichte des UN-Sicherheitsrats seit dem Ende des Ost-West-Konflikts wieder.[1] Die US-Regierung unter Präsident Donald Trump zielte darauf ab, die Vereinten Nationen in den meisten Sicherheitsfragen zu diskreditieren. China und Russland nutzen den Rückzug der USA und traten in dieser Zeit zunehmend offensiver auf. Zusätzlich bereitete die COVID-19-Pandemie dem Rat sowohl praktische als auch politische Schwierigkeiten. Die diplomatischen Vertretungen waren gezwungen, Verhandlungen online zu führen. Gleichzeitig lieferten sich die chinesische und die amerikanische Regierung einen Schlagabtausch mit Anschuldigungen über den Ursprung der COVID-19-Pandemie.
Die Bundesregierung reagierte auf diese Herausforderungen mit viel Courage. Anstatt sich darauf zu konzentrieren, Auseinandersetzungen mit den mächtigsten Sicherheitsratsmitgliedern zu vermeiden, war Deutschland bestrebt, in schwierigen Situationen eine zentrale Rolle einzunehmen, so etwa in Afghanistan, Iran, Libyen und Syrien. Zudem rückte Deutschland verschiedene Themen in den Fokus – beispielsweise die Agenda für Frauen, Frieden und Sicherheit (Women, Peace and Security Agenda – WPS-Agenda) und den Klimawandel – Themen, die unweigerlich zu Auseinandersetzungen mit China, Russland und den USA führten.
Die Bilanz dieser Bemühungen fällt gemischt aus, doch eines ist unbestritten: Die diplomatische Arbeit im Sicherheitsrat ist eine komplizierte Mischung aus Konfrontation und Kompromiss, die nie zu perfekten Ergebnissen führt. Das gilt insbesondere im Hinblick auf den Umgang mit spezifischen Krisen und Ländersituationen. Selbst wenn sich die Ratsmitglieder in einem bestimmten Fall auf ein gemeinsames Handeln einigen, kann es sich als äußerst schwierig erweisen, die konkreten Maßnahmen vor Ort gemeinsam festzulegen.
Führungsrolle in Krisen
Einer der bemerkenswertesten Momente der deutschen Amtszeit war die Bereitschaft der Bundesregierung, eine Führungsrolle im Umgang mit bestimmten Ländern zu übernehmen. So hatte Deutschland hinsichtlich des Umgangs mit Afghanistan, der humanitären Hilfe für Syrien, Sudan und dem libyschen Sanktionsregime die diplomatische Federführung inne. Als ein gewähltes Ratsmitglied übernahm Deutschland ungewöhnlich viel Verantwortung. Tatsächlich hatte Deutschland während seiner Amtszeit bei mehreren Themen die Federführung inne, mehr als vergleichsweise China oder Russland in ihren Amtszeiten je hatten. Deutschland bekleidete zudem den Vorsitz in den Ratsausschüssen, die sich mit den technischen Aspekten der Sanktionen gegen die Demokratische Volksrepublik Korea und Libyen befassten und als zeitaufwendig und politisch schwierig gelten.
Mit seiner Haltung positionierte sich Deutschland als ›Arbeitspferd‹ im Rat. Und gerne hätte die deutsche Delegation noch weitere Aufgaben übernommen. Unter anderem schlug sie Frankreich vor, dass sich beide UN-Vertretungen hinsichtlich der Arbeit zu Mali die Federführung teilten. Der französischen Vertretung jedoch war daran gelegen, die Kontrolle über das UN-Engagement in ihrer ehemaligen Kolonie zu behalten und lehnte ab.
Darüber hinaus erwiesen sich viele der von Deutschland übernommenen Prozesse als strittig. Im Jahr 2019 drohte China mit einem Veto gegen die Erneuerung des Mandats der Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (United Nations Assistance Mission in Afghanistan – UNAMA). China bestand darauf, dass die Sicherheitsratsresolution Formulierungen enthalten sollte, die seine ›Neue Seidenstraßen-Initiative‹ lobten.[2] Noch gravierender war, dass Russland sowohl im Dezember 2019 als auch im Juli 2020 darauf drängte, die Anzahl der Grenzübergänge für humanitäre Hilfe in Syrien einzuschränken, was zu zwei heftigen Auseinandersetzungen im Rat führte.[3]
Auch wenn Deutschland und seine Verbündeten in beiden Fällen Kompromisse erzielen konnten, so war die Regierung bei ihren Bemühungen zu Sudan und Libyen deutlich kreativer, wenn nicht sogar erfolgreicher. In beiden Fällen hat Deutschland mit Großbritannien die ›Feder geteilt‹. Großbritannien hatte dieser Vereinbarung hauptsächlich deswegen zugestimmt, um während des ›Brexits‹ Wohlwollen zu genießen. Gleichzeitig war die deutsche Regierung sehr darauf bedacht, dem Prozess ihren eigenen Stempel aufzudrücken. Nachdem die UN-Bemühungen um ein Friedensabkommen in Libyen im Jahr 2019 gescheitert waren, versuchte Deutschland einen Neustart der diplomatischen Bemühungen, indem es zu multinationalen Waffenstillstandsgespräche in Berlin einlud und im Januar 2020 eine Sicherheitsratsresolution einbrachte. Gemeinsam leiteten Deutschland und Großbritannien in Sudan die UN-Gespräche zur Einrichtung einer neuen politischen Mission, um den Übergang des Landes zu einer Regierung nach dem Sturz von Präsident Omar al-Bashir zu unterstützen.
Beide Prozesse erwiesen sich als frustrierend. Im Fall Libyen blockierte Russland wochenlang die Verabschiedung der Sicherheitsratsresolution, die das Ergebnis der Berliner-Konferenz bestätigten sollte, um seinen libyschen Verbündeten General Chalifa Haftar zu schützen. Die USA waren vor allem bestrebt, eine Passage in die Resolution aufzunehmen, die private Militärfirmen Russlands kritisierte. Mit der Ausbreitung der COVID-19-Pandemie, die die gesamte internationale Aufmerksamkeit auf sich zog, spitzte sich die Gewalt in Libyen zu. Doch die UN-Vermittler konnten schließlich im Oktober 2020 einen Waffenstillstand erreichen. Am Ende der deutschen Amtszeit im Rat bereiteten die UN-Verantwortlichen Vorschläge für einen Mechanismus zur Überwachung des Waffenstillstands und der politischen Bemühungen vor, um die Einstellung der Feindseligkeiten aufrechtzuerhalten.[4]
Bezüglich Sudans stimmte der Sicherheitsrat bereitwillig der Einrichtung einer Integrierten Hilfsmission der Vereinten Nationen für den Übergang in Sudan (United Nations Integrated Transition Assistance Mission in Sudan – UNITAMS) in Khartum zu, aber aufgrund der instabilen Lage in Darfur traten Probleme auf. Deutschland hatte gehofft, dass UNITAMS neben der Beratung der neuen sudanesischen Führung in politischen und wirtschaftlichen Fragen auch eine begrenzte militärische und polizeiliche Präsenz in Darfur umfassen könnte, die den im Jahr 2007 stationierten Hybriden Einsatz der Afrikanischen Union und der Vereinten Nationen in Darfur (African Union-United Nations Hybrid Operation in Darfur – UNAMID) ersetzt. Da das Mandat des UNAMID am 31. Dezember 2020 beendet wurde[5], besteht durchaus das Risiko eines Wiederaufflammens der Gewalt. Die sudanesischen Behörden haben sich trotzdem gegen die Aufrechterhaltung einer uniformierten UN-Präsenz ausgesprochen. China, Russland und die afrikanischen Mitglieder des Sicherheitsrats unterstützten die Haltung der Regierung in Khartum. Dies führte dazu, dass Deutschland und Großbritannien schließlich von der Idee abwichen, den Einsatz von UN-Truppen vor Ort aufrechtzuerhalten. Leider erwiesen sich die Vorhersagen, dass die Gewalt in Darfur zunehmen würde, bald als richtig: Die UN berichteten von 250 Tötungen und der Zwangsvertreibung von 100 000 Menschen in den ersten Wochen des Jahres 2021.[6]
Deutschland kann zufrieden sein, schwierige diplomatische Prozesse in Libyen und Sudan überhaupt vorangebracht zu haben.
Zwar hat Deutschland weder in Bezug auf Libyen noch auf Sudan alles erreicht, was es gefordert hat. Trotzdem kann es zufrieden sein, diese beiden sehr schwierigen diplomatischen Prozesse überhaupt vorangebracht zu haben. Wäre die Regierung in Berlin nicht bereit gewesen, insbesondere in Bezug auf Libyen auf UN-Maßnahmen zu drängen, wäre der Rat mit Blick auf diese Krise wahrscheinlich weitgehend inaktiv geblieben. Auch wenn UNITAMS nur ein begrenztes Mandat hat, so kann die Mission dennoch ein nützlicher Mechanismus für die internationale Unterstützung des sudanesischen Übergangs sein. Die Entscheidung von UN-Generalsekretär António Guterres, mit Volker Perthes einen Deutschen zum Leiter der UN-Mission zu ernennen, ist in gewisser Weise eine Anerkennung des deutschen Engagements beim Aufbau der Mission und hinsichtlich des kontinuierlichen Fokus auf das Land.
Vorantreiben von Querschnittsthemen
Deutschland engagierte sich auch in Zeiten schwieriger diplomatischer Auseinandersetzungen in vielfältigen Themenbereichen. Die gewählten Ratsmitglieder priorisieren meist bestimmte Themen wie etwa die Agenda für Frauen, Frieden und Sicherheit (WPS).[7] Dieses Vorgehen gilt als weniger kontrovers als den Fokus auf bestimmte Krisen zu legen. Dass dies jedoch nicht immer der Fall ist, musste Deutschland mit der Resolution 2467 im Jahr 2019 erfahren.[8] Die USA drohten damit, ihr Veto gegen eine von Deutschland eingebrachte Resolution zur Bekämpfung sexueller Gewalt in Konflikten einzulegen. Diese enthielt einen knappen Verweis auf den Aspekt der reproduktiven Gesundheit, von dem die damalige US-Regierung behauptete, er würde Abtreibung propagieren. Deutschland strich schließlich im letzten Moment die strittigen Formulierungen. Obwohl die meisten Ratsmitglieder die Androhung eines Vetos durch die USA verurteilten, kritisierten sie Deutschland dafür, dass es eine derart kontroverse Resolution eingebracht hatte.
Diese Erkenntnis hat die deutsche Ständige Vertretung beherzigt und im Jahr 2020 einen anderen Schwerpunkt – nämlich eine Resolution zu Klima und Konflikte – mit mehr Bedacht vorangetrieben.[9] Die deutsche Delegation wusste sehr wohl, dass die US-Regierung unter Trump auch dies aus ideologischen Gründen blockieren würde. Dennoch arbeiteten sie mit einer Gruppe von neun anderen Ratsmitgliedern, darunter Frankreich und Großbritannien, an einem Text, der den UN-Generalsekretär aufforderte, einen neuen Beauftragten für klimabezogene Konflikte zu ernennen. Während Deutschland einen Textentwurf für seine Präsidentschaft im Sicherheitsrat im Juli 2020 vorbereitet hatte, drohten die USA damit, ihr Veto einzulegen. China und Russland zeigten sich zwar skeptisch, waren aber weniger ablehnend. Die Deutschen und ihre Verbündeten zogen es vor, ein Kräftemessen mit der Regierung in Washington, D.C., zu vermeiden und legten den Plan auf Eis.
Dabei hat Deutschland in den Jahren 2019 und 2020 vermeintlich weniger zum Thema Klimawandel im Rat bewirkt als in seiner vorherigen Amtszeit 2011 und 2012. Damals unterstützte es die erste präsidentielle Erklärung des Rates, in der anerkannt wurde, dass der Klimawandel »bestimmte bestehende Bedrohungen des internationalen Friedens und der Sicherheit verschärfen« könnte.[10] Aber Deutschland konnte in seiner letzten Amtszeit pragmatischere, wenn auch kleinere Erfolge für sich beanspruchen: darunter die Aufnahme von Verweisen auf Umweltfragen in die Mandate von UN-Friedenseinsätzen und – als eine Art ›Trostpreis‹ nach dem Scheitern der Resolution – die Einrichtung einer neuen informellen Expertengruppe bestehend aus Ratsmitgliedern, die Ende des Jahres 2020 die Zusammenhänge zwischen Klima und Konflikt weiter untersuchen sollte. Die Bemühungen könnten sich jedoch im Jahr 2021 als positives Vermächtnis erweisen. Mit seinem Amtsantritt als US-Präsident im Januar dieses Jahres versprach Joe Biden, die Bekämpfung des Klimawandels in den Mittelpunkt seiner Regierungsagenda zu stellen.
Die Bundesregierung konnte mit ihren Verbündeten den JCPOA während der Amtszeit von US-Präsident Donald Trump aufrechterhalten.
Großbritannien, das sich auf die nächste UN-Klimakonferenz (Conference of the Parties – COP-26) Ende dieses Jahres in Glasgow vorbereitet, kündigte außerdem an, im Rat das Thema Klima und Konflikte weiterzuverfolgen. Der deutsche Resolutionsentwurf mag ein kurzfristiger Misserfolg gewesen sein, aber er könnte sich durchaus als Grundlage für künftige UN-Maßnahmen zu diesem Thema erweisen.
Sicherung des Atomabkommens mit Iran
Die Biden-Regierung verdankt Deutschland nicht nur sein Engagement für den Klimawandel, sie verdankt der Bundesregierung – zusammen mit den Regierungen in Paris und London – auch ihre Bemühungen, den Gemeinsamen umfassenden Aktionsplan mit Iran (Joint Comprehensive Plan of Action – JCPOA) während der Amtszeit von Donald Trump aufrechterhalten zu haben.[11] Diese Bemühungen gipfelten in einer kurzzeitigen Auseinandersetzung in New York im August und September 2020. Die USA versuchten dabei, die Bestimmungen der Sicherheitsratsresolution aus dem Jahr 2015[12], die das Abkommen verankerte, zu nutzen, um frühere UN-Sanktionen gegen Iran wiederherzustellen, obwohl die USA den JCPOA bereits im Jahr 2018 einseitig gekündigt hatten.
Dieses Manöver zielte darauf ab, die Beziehungen zu Iran zu belasten. Dieses Vorhaben scheiterte an den konzertierten Überzeugungsarbeiten der Europäer, die diesmal eng mit China und Russland zusammenarbeiteten, die US-Initiative abzulehnen. Nach Drohungen im Rat zog die US-Regierung ihre Forderungen schließlich zurück, als deutlich wurde, dass sie kaum Unterstützung erhielt. Deutschland konnte gemeinsam mit seinen Verbündeten diese Krise gut bewältigen. Gemeinsam brachten sie ihre Ablehnung gegenüber des Rückzugplans der USA klar zum Ausdruck. Dabei schafften sie es aber, die öffentlichen Auseinandersetzungen hinsichtlich des Themas Ende des Jahres 2020 auf ein Minimum zu reduzieren. Dies ersparte der Regierung in Washington, D.C., eine öffentliche Blamage und ein recht explosives Thema konnte so entschärft werden.
Die Aufrechterhaltung des JCPOA war wahrscheinlich der wichtigste außenpolitische Erfolg Deutschlands während seiner Amtszeit im Sicherheitsrat. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob die US-Regierung unter Biden und die Verbündeten das Abkommen mit Iran in diesem Jahr noch retten können. Der bisherige Erfolg ist auf die europäische Koordinierung in den Vereinten Nationen zurückzuführen. Trotz der Differenzen über den ›Brexit‹ arbeiteten Deutschland und Frankreich in der Iran-Frage effektiv mit Großbritannien zusammen. Deutschland war von den drei Staaten im Wesentlichen derjenige, der sich dem Vorgehen der Trump-Regierung in der Öffentlichkeit am stärksten widersetzte.
Professionelleres Navigieren im Rat
Das Team in der Ständigen Vertretung Deutschlands in New York hat bewiesen, dass es durchaus in der Lage ist, mit dem Druck der Sicherheitsratsdiplomatie umzugehen. In früheren Ratsperioden hatten deutsche Diplomaten manchmal den Ruf, bei schwierigen politischen Problemen mitunter legalistisch und unflexibel vorzugehen. Dieser Ruf ist bis heute nicht ganz verschwunden. Ein Diplomat des Rates äußerte sich positiv gegenüber der derzeitigen UN-Politik der Deutschen: »Wenn sie einen Makel haben, dann ist es vielleicht Idealismus. Sie haben eine Vision hinsichtlich dessen, was sie in dieser Welt erreichen wollen, in der auch alle anderen Ratsmitglieder dem höheren Wohl verpflichtet und im Wesentlichen bereit sind, gemäß den Regeln zu handeln. Die Realität, in der sie verhandeln müssen, ist aber eine andere.«
Die Krise bezüglich der Resolution 2467 im Jahr 2019, die sich mit sexueller Gewalt in Konflikten befasst, ist ein Beispiel für diese Haltung. Doch offensichtlich ist, dass die deutsche Vertretung aus dieser misslichen Erfahrung gelernt hat und im Jahr 2020 besonnener an das Thema Klimawandel herangegangen ist. Im Umgang mit Krisen wie in Libyen und Sudan konnte Deutschland durch seine Bereitschaft, seine Interessen hartnäckig zu verfolgen, politische Prozesse aufrechterhalten, die andernfalls vielleicht ganz erloschen wären.
Der Ständige Vertreter Deutschlands bei den UN, Christoph Heusgen, hat sich zudem den Ruf erworben, seinen Kolleginnen und Kollegen im Rat mit klaren Worten gegenüberzutreten, wobei er Russland wegen seines Verhaltens in Syrien, und China wegen seines Verhaltens gegenüber den Uiguren kritisierte. Louis Charbonneau, zuständig für UN-Fragen bei Human Rights Watch in New York, stellt fest, dass »die wenigsten Diplomaten in dieser Häufigkeit und in aller Öffentlichkeit die entsetzlichen Missstände der chinesischen Regierung in Xinjiang angesprochen haben wie Heusgen.« Botschafter Heusgen sprach im Rat darüber hinaus auch die willkürliche Inhaftierung der beiden kanadischen Staatsbürger, Michael Spavor und Michael Kovrig, in China an. Damit traf er einen wunden Punkt: Nachdem Heusgen im Dezember 2020 sein Abschlussstatement im Rat gegeben hatte, wünschte ihm der stellvertretende chinesische UN-Botschafter »Aus tiefstem Herzen: Gut, dass wir Sie los sind.«[13]
Einige Partner Deutschlands, vor allem die Franzosen, monierten zeitweise, dass solch ein hartes Vorgehen die Ratspolitik unnötig verkompliziert. Insgesamt wurden dadurch die deutschen Interessen bei den UN aber nur geringfügig beeinträchtigt. Russlands UN-Botschafter, Wassili Nebensja, stellte Anfang 2019 fest, dass sein privates Verhältnis zu Heusgen »gut und freundschaftlich« sei. Die meisten Ständigen Vertreterinnen und Vertreter im Rat sind in der Lage, ihre politischen Meinungsverschiedenheiten von den Bereichen der inhaltlichen Zusammenarbeit zu trennen. Die Bereitschaft Heusgens, deutliche Aussagen zu formulieren, war letztlich ein Zeichen des Selbstvertrauens Deutschlands in den Vereinten Nationen.
Heusgen konnte sich bei den UN auch deshalb Gehör verschaffen, weil die deutsche Vertretung eine geschickte Medienarbeit betrieb, indem sie gute Beziehungen zur Presse pflegte und versuchte, aufmerksamkeitsstarke Momente während des diplomatischen Tagesgeschäfts im Rat zu kreieren. Das bekannteste Beispiel dafür war im Jahr 2019 die Entscheidung Deutschlands, die normalerweise aus Sicherheitsgründen geschlossenen Vorhänge des Sicherheitsratssaals mit Blick auf den New Yorker East River zu öffnen, um symbolisch ›Licht‹ in die Beratungen des Gremiums zu werfen. Im Jahr 2020 gab es weniger Möglichkeiten für solche Manöver, da der Rat seine Sitzungen als Reaktion auf die COVID-19-Pandemie rein digital abhalten musste. Die deutschen Verantwortlichen waren frustriert, ob der Schwierigkeit, persönliche Treffen am UN-Amtssitz schnell wiederaufzunehmen. Dennoch pflegte die Mission weiterhin gute Pressekontakte und veröffentlichte das gesamte Jahr hinweg Informationen zu ihren Aktivitäten über ihre sozialen Medien.
Deutschland erlebte dennoch einige Enttäuschungen während seiner Amtszeit im Sicherheitsrat. Dazu gehörte die Schwierigkeit, eine starke deutsch-französische Partnerschaft zu etablieren. Die deutsche und französische Delegation arbeitete intensiv daran, ein deutliches Zeichen der Einigkeit bei den Vereinten Nationen zu setzen, insbesondere im Jahr 2019, als die beiden Länder ihre aufeinanderfolgenden Ratspräsidentschaften als »gemeinsame Präsidentschaft« präsentierten. Zwar war dieser Schritt ein erfolgreicher in Bezug auf die Öffentlichkeitsarbeit, aber die inhaltlichen Ergebnisse blieben begrenzt und beide Staaten wiederholten das Experiment im Jahr 2020 nicht. Insgesamt war die deutsche Delegation enttäuscht, dass ihre französischen Amtskollegen nicht bereit waren, die Verantwortung für Regionen wie die Sahelzone zu teilen. So unternahm Frankreich bemerkenswerte Anstrengungen, um seinen Status als Ständiges Mitglied des Sicherheitsrats (Permanent Five – P5) im Jahr 2020 zu untermauern, indem es mit Russland zusammenarbeitete und einen Gipfel der P5-Staats- und Regierungschefs anlässlich des 75-jährigen Bestehens der Vereinten Nationen organisierte. Aus deutscher Sicht war dies ein Versuch Frankreichs zu zeigen, dass es – zumindest in Bezug auf die UN – weiterhin einen privilegierteren Platz in der Welt einnimmt im Gegensatz zur Regierung in Berlin.
Ständiger Sitz für Deutschland?
Mit dem Ausscheiden Deutschlands aus dem Rat wird man sich in Berlin die Frage stellen, ob die Amtszeit dem langjährigen Ziel eines ständigen deutschen Sitzes im Sicherheitsrat nähergekommen ist. Trotz eines starken Auftritts lautet die Antwort mit großer Wahrscheinlichkeit nein. Dies ist nicht die Schuld der Ständigen Vertretung. Während sich die Gespräche über die Ratsreform in New York hinziehen, hat China unmissverständlich deutlich gemacht, dass es sich jeder Reform widersetzen wird, die Japan – ein Verbündeter Berlins bei den Bemühungen um einen neuen ständigen Sitz – begünstigt, und die Trump-Regierung zeigte kein Interesse an dem Thema. Es ist unwahrscheinlich, dass die US-Regierung unter Präsident Biden dem Thema eine größere Priorität einräumen wird. Dies wird für die deutsche Bundesregierung eine ständige Quelle der Frustration darstellen. Während einige deutsche Politiker argumentieren, dass Frankreich seinen Sitz zugunsten der Europäischen Union (EU) »europäisieren« sollte, hält Frankreich eisern an seinem Status als P5-Mitglied im Sicherheitsrat fest.[14]
Doch auch wenn eine Reform des Sicherheitsrats nicht in Sicht ist, kann Deutschland zufrieden sein, dass es seinen nichtständigen Sitz genutzt hat, um die UN-Diplomatie in einigen schwierigen Konflikten und Ländern voranzubringen, internationale Abkommen zu verteidigen und Ideen zu entwickeln, wie die drohenden Herausforderungen des Klimawandels angegangen werden können. In einer Ära der internationalen Unübersichtlichkeit sind dies durchaus Erfolge, die gefeiert werden können.
Aus dem Englischen von Monique Lehmann
[1] Teile des Textes basieren auf Richard Gowan, MASCROSCOPE: Germany’s Tenure on the UN Security Council, Friedrich-Ebert-Stiftung (FES), 14.12.2020, www.fesny.org/article/macroscope-germanys-tenure-on-the-un-security-council-201920/ und Gesprächen mit Diplomaten bei den UN in New York.
[2] Michelle Nichols, U.N. Security Council Overcomes Chinese Veto Threat to Renew Afghanistan Mission, Reuters, 17.9.2019, www.reuters.com/article/us-usa-china-afghanistan-idUSKBN1W21VH
[3] Deutsche Welle, UN Security Council Rejects Russia's Syria Aid Plan, 9.7.2020, www.dw.com/en/un-security-council-rejects-russias-syria-aid-plan/a-54101701
[4] UN News, Libyan Sides Agree Plan on Implementing Ceasefire Deal, 4.11.2020, news.un.org/en/story/2020/11/1076852
[5] UN-Dok. S/RES/2559 v. 22.12.2020.
[6] UN News, Sudan: 250 killed, over 100,000 displaced as violence surges in Darfur, 22.1.2021, www.news.un.org/en/story/2021/01/1082722
[7] Siehe dazu auch den Beitrag von Jasmin Blessing und Nicola Popovic in diesem Heft.
[8] UN-Dok. S/RES/2467 v. 23.4.2019.
[9] Siehe dazu auch den Beitrag von Stefan Kroll in diesem Heft.
[10] UN-Dok. S/PRST/2011/15 v. 20.7.2011.
[11] European Parliament, Joint Comprehensive Plan of Action, 14.7.2015, www.europarl.europa.eu/cmsdata/122460/full-text-of-the-iran-nuclear-deal.pdf
[12] UN-Dok. S/RES/2231 v. 20.7.2015.
[13] Michelle Nichols, ›Good Riddance‹, China Says as Germany Leaves U.N. Security Council, Reuters, 22.12.2020, www.reuters.com/article/us-germany-china-russia-un-idUSKBN28W2HV
[14] FRANCE 24, Germany Calls for France to Give its UN Security Council Seat to the EU, www.france24.com/en/20181128-paris-france-german-proposal-un-eu-macron-merkel-security-council-nations