Menü

Deutschlands Weg in den Völkerbund

Als auf der Pariser Friedenskonferenz im Jahr 1919 über die Gründung eines Völkerbunds verhandelt wurde, blieb die deutsche Demokratie ausgeschlossen. Sie wurde Mitbegründerin des Völkerbunds, ohne Mitglied zu werden. Dies änderte sich durch den Beitritt mit einem ständigen Ratssitz im Jahr 1926, der Austritt erfolgt jedoch bereits sieben Jahre später.

Blick von oben in die Halle zu Gustav Stresemann während seiner Rede vor den Delegierten.
Zwei Tage nach dem offiziellen Beitritt Deutschlands zum Völkerbund spricht Reichsaußenminister Gustav Stresemann (1878–1929) am 10. September 1926 vor der Versammlung. FOTO: PICTURE-ALLIANCE / AKG-IMAGES

Nunmehr 100 Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs ist die Bundesrepublik Deutschland ein geachtetes Mitglied internationaler Organisationen – unter anderem der Vereinten Nationen. Bundeskanzlerin Angela Merkel wird als Anführerin des »freien Westens« gefeiert. Die Bundesrepublik ist Mitbegründerin der in diesem Jahr ins Leben gerufenen ›Allianz für den Multilateralismus‹, die sich für weltweite Kooperation, gemeinsame Regeln und Dialog einsetzt. Dieses positive Verhältnis Deutschlands zur Tätigkeit internationaler Organisationen ist keine Selbstverständlichkeit, wie der Rückblick auf die Geschichte des deutschen Ausschlusses aus dem Völkerbund und die Jahre der Mitgliedschaft zeigen.[1]

Hohe Erwartungen nach dem Ersten Weltkrieg

Weltfriedensorganisationen entstehen nach Weltkriegen. Im 19. Jahrhundert allerdings hatte das ›Europäische Konzert der Großmächte‹ mit Großbritannien, Frankreich, Österreich, Preußen und Russland seit der deutschen Reichseinigung im Jahr 1871 vermeiden können, Kriege gegeneinander zu führen. Der Erste Weltkrieg wurde der erste industriell geführte, ›totale‹ Krieg und die Planungen der kriegführenden Staaten für die Zeit nach dem Krieg waren nicht auf Kooperation ausgerichtet, sondern auf die größtmögliche Schwächung des Gegners. Nach einem Sieg der Mittelmächte wäre kein Völkerbund gegründet worden. Auch ein militärischer Erfolg der ›Triple Entente‹ zwischen dem französischen und britischen Empire sowie dem russischen Zarenreich hätte nicht zur Gründung einer universalen Weltfriedensorganisation geführt.

Die USA waren in den ersten Kriegsjahren neutral geblieben. Ihr Präsident Woodrow Wilson hatte aber bereits im Januar 1917 Grundzüge einer neuartigen Weltordnung entworfen: Jedes Volk sollte frei über sein politisches System und seine eigene Entwicklung bestimmen können. In seinem 14-Punkte-Programm vom 8. Januar 1918 hatte er die Gründung eines Völkerbunds gefordert.[2] Wilsons Eintreten für die Selbstbestimmung schürte nicht nur Erwartungen der slawischen Völker in Osteuropa auf einen eigenen Staat, sondern wurde auch von den kolonisierten Völkern in Afrika und Asien aufmerksam registriert. Die anderen Fürsprecher für eine neue Ordnung waren die russischen Bolschewiki. Sie propagierten einen Frieden ohne Annexionen und Kontributionen und geißelten die Unterdrückung der Völker durch den Imperialismus.

Nach der Unterzeichnung eines Waffenstillstands in Compiègne am 11. November 1918 kamen die mit Deutschland kriegführenden Staaten in Paris zusammen. Trotz beziehungsweise wegen des Ausschlusses Deutschlands von den Friedensverhandlungen wurde in der deutschen Öffentlichkeit intensiv über die Ausgestaltung eines Völkerbunds diskutiert. Ein Anhaltspunkt für die Attraktivität des Völkerbundgedankens war die am 17. Dezember 1918 erfolgte Gründung der ›Deutschen Liga für Völkerbund‹.[3]

Aufgrund der Vorstellungen Wilsons, eine neue Weltordnung mit dem Völkerbund zu schaffen, erhielten die Beratungen über die Völkerbundsatzung auf der Friedenskonferenz einen herausragenden Stellenwert.[4] Weil Wilson sein persönliches Prestige in die Waagschale warf, konnten andere Probleme weniger ausführlich besprochen werden. Der britische Premierminister David Lloyd George und der französische Ministerpräsident Georges Clemenceau nutzten Wilsons persönliches Interesse am Zustandekommen des Völkerbunds, um ihre nationalen Interessen durchzusetzen.

Deutsche Vorstellungen zum Völkerbund

Deutschland sollte den Völkerbund als internationale Organisation anerkennen müssen, zunächst aber ausgeschlossen bleiben. Da sich die Haltung Wilsons zur Frage einer sofortigen deutschen Mitgliedschaft von einer zustimmenden zu einer ablehnenden Haltung verändert hatte, wurde bei der Redaktion der Satzung auf dieses Problem besondere Sorgfalt verwendet. Normalerweise folgte der Satzungsratifikation einer internationalen Organisation durch einen Staat die Mitgliedschaft. Also mussten gegen eine automatische Aufnahme Deutschlands Vorkehrungen getroffen werden. Nach der Präambel der Völkerbundsatzung »nehmen die Hohen vertragschließenden Teile die folgende Akte an, die den Völkerbund stiftet«[5]. Artikel 1 der Völkerbundsatzung führte anschließend den Begriff der ursprünglichen Mitglieder ein, die in einem Anhang zur Völkerbundsatzung benannt wurden. Deutschland und seine Verbündeten befanden sich nicht darunter. Die französische Diplomatie konnte ihre Forderungen bezüglich der Verpflichtungen eines Beitrittskandidaten in Artikel 1 durchsetzen. Demnach konnten Staaten mit einer Zweidrittelmehrheit zum Völkerbund zugelassen werden, »vorausgesetzt, dass sie tatsächliche Gewähr für ihre Absicht geben, ernsthaft ihre internationalen Verpflichtungen einzuhalten, und die Bundessatzung hinsichtlich ihrer Streitkräfte und ihrer Rüstungen zu Lande, zur See und in der Luft annehmen«[6]. Die »tatsächliche Gewähr« war eine sehr auslegungsbedürftige Bestimmung, die durch französische Bemühungen auf der ersten Völkerbundversammlung ihre Ausgestaltung fand. Die Franzosen erreichten, dass in Artikel 4 die Siegerkoalition erwähnt wurde. Der Völkerbundrat setzte sich demnach aus den »Vertretern der alliierten und assoziierten Hauptmächte« und vier weiteren Mitgliedern der Völkerbundversammlung zusammen. Der zweite Absatz schuf die Voraussetzung für einen eventuellen deutschen und russischen Ratssitz. Der Völkerbundrat konnte der Versammlung einstimmig Mitglieder des Bundes vorschlagen, die nach deren Zustimmung mit einer einfachen Mehrheit einen ständigen Ratssitz erhielten.

Die Mehrheit der Deutschen begrüßte in den Jahren 1918 und 1919 Wilsons Vision einer Friedensordnung.

Die deutsche Reichsregierung versuchte, die internationale Diskussion durch einen eigenen Völkerbundentwurf zu beeinflussen. Unter der Leitung des Völkerrechtlers Walther Schücking wurde ein regierungsamtlicher Vorschlag erstellt und vom Kabinett angenommen.[7] Drei Merkmale des umfangreichen deutschen Vorschlags eines Völkerbunds sind hervorzuheben:

Erstens wurden die internationalen Beziehungen der Staaten verrechtlicht. Dabei wurde ein konsistentes Regelwerk entworfen, das für jeden Streitfall ein Verfahren vorsah, das zu einer friedlichen Schlichtung führen sollte. Dieser Grundgedanke wurde mit der deutschen Schiedsvertragspolitik wieder aufgenommen. Zweitens sollte Deutschland dem Völkerbund gleichberechtigt angehören. Alle Staaten, unabhängig von der Regierungsform, sollten Mitglied des universalen Völkerbunds werden können. Die Delegierten sollten nicht von den Regierungen, sondern von den nationalen Parlamenten ernannt werden, wodurch gleichzeitig ein Bekenntnis zur parlamentarischen Regierungsform abgelegt wurde. Drittens wurde die wirtschaftliche Zusammenarbeit der Staaten als eine Notwendigkeit begriffen. Aus alliierter Sicht hätte die Annahme dieses Entwurfs bedeutet, dass Deutschland den Krieg gewonnen hätte.

Im April 1919 traf die deutsche Friedensdelegation in Paris ein, um von den Alliierten die Friedensbedingungen zu empfangen. Der Friedensvertrag schloss die deutsche Mitgliedschaft nicht kategorisch aus. Deutschland müsse erst eine Probezeit absolvieren, in der es seine ehrlichen Absichten und Vertragstreue beweisen könne. Eindeutig wurde die Verbindung zwischen Völkerbundsatzung und Friedensvertrag bekräftigt, die Satzung bilde die Grundlage des Friedensvertrags.[8] Der Reichsregierung blieb keine andere Möglichkeit, als die Friedensbedingungen zu akzeptieren.

Die Mehrheit der Deutschen begrüßte in den Jahren 1918 und 1919 Wilsons Vision einer Friedensordnung, nachdem die eigenen Siegfriedensvorstellungen gescheitert waren. Die Gründung eines Völkerbunds versprach einen solidarischen wirtschaftlichen Wiederaufbau Europas, die gleichberechtigte Integration Deutschlands in das internationale System, die Legitimierung des Übergangs von der Monarchie zur Republik sowie die Gewissheit, die eigene historische Erinnerung über den Sinn des Weltkriegs in die gemeinsame Erinnerung der Weltkriegsteilnehmer einbringen zu dürfen. Indem die Sieger die deutsche Demokratie von den Verhandlungen ausschlossen und die Aufnahme in den Völkerbund verweigerten, fielen diese Vorteile weg. Die Haltung zum Völkerbund schlug von Euphorie in Ablehnung und Distanz um. Die Tätigkeit des Völkerbunds in den Folgejahren trug nicht dazu bei, das Vertrauen in die Unparteilichkeit der Weltorganisation zu wecken.

Ausschließlich Pflichten, keine Rechte

Als der Friedensvertrag zwischen dem Deutschen Reich und den Alliierten und assoziierten Mächten am 10. Januar 1920 in Kraft trat, wurde damit der Völkerbund offiziell begründet.[9] Der Völkerbundrat war für die Wahrung des Friedens zuständig. Gemäß der Völkerbundsatzung durften Frankreich, Großbritannien, Japan, Italien und die USA einen ständigen Sitz einnehmen, wobei die USA aufgrund der gescheiterten Ratifikation im Senat kein Mitglied wurden. Vier beziehungsweise ab dem Jahr 1923 sechs weitere Mitglieder erhielten einen nichtständigen Sitz.[10] Sie hatten sich in regelmäßigen Abständen der Wiederwahl durch die Völkerbundversammlung zu stellen. In den ersten Jahren beschäftigten die mit Deutschland zusammenhängenden Fragen nahezu jede Ratstagung.

Völkerrechtlich gesehen bestand die absurde Situation, dass Deutschland mit dem Versailler Vertrag die Satzung einer internationalen Organisation ratifizieren musste, ohne der Organisation selbst beitreten zu dürfen. Es hatte nicht nur die Rechtspersönlichkeit des Völkerbunds anzuerkennen, sondern musste auch alle Beschlüsse und Entscheidungen akzeptieren, die sich auf jene Artikel der Völkerbundsatzung stützten, die auf das Außenverhältnis zu den Nichtmitgliedstaaten eingingen. Aus dieser rechtlichen Konstruktion erwuchsen dem Reich also nur Pflichten, keine Rechte.

Durch die territorialen Regelungen des Versailler Vertrags kam das Deutsche Reich in direkten Kontakt mit dem Völkerbund.

Durch die territorialen Regelungen des Versailler Vertrags kam das Deutsche Reich in direkten Kontakt mit dem Völkerbund.[11] Weil Frankreich eine Annexion des Saargebiets nicht durchsetzen konnte, setzte die Friedenskonferenz den Völkerbund als Treuhänder des Saargebiets ein. Der Völkerbund verwaltete nicht nur ehemals deutsche Gebiete, er war auch an der Übertragung deutscher Territorien auf andere Staaten beteiligt. Nach Artikel 119 des Versailler Vertrags musste das Deutsche Reich seine Kolonien an die Alliierten und assoziierten Hauptmächte abtreten. Aufgrund des Widerstands der amerikanischen Diplomatie auf der Friedenskonferenz durften die Kolonien nicht annektiert werden. Der Völkerbundrat erhielt nach Artikel 22 der Völkerbundsatzung die Befugnis, ausgewählten Staaten die deutschen Kolonien als Mandate zu übergeben. Tatsächlich verlief die Verteilung ohne eine Stellungnahme des Völkerbunds ab. Er konnte die Inbesitznahme nur noch nachträglich autorisieren. Den deutschen Gegnerinnen und Gegnern des Völkerbunds gab die Kluft zwischen Idee und Praxis des Mandatssystems ein weiteres dankbares Feld für die Bekämpfung von alliierten »Lügen«. Die Mandatsstaaten waren dem Völkerbund für ihre Verwaltung rechenschaftspflichtig.[12]

Innovationen des Völkerbunds

Die Minderheitenfrage stand in einem Zusammenhang mit der territorialen Neuordnung Europas und dem System der kollektiven Sicherheit. Das von Wilson als neuartiges Ordnungsprinzip postulierte Selbstbestimmungsrecht der Völker führte wegen der komplizierten ethnischen Verhältnisse in Ost- und Südosteuropa zu Grenzziehungen, die manche Staaten mit Minderheiten vor innenpolitische Probleme stellte. Die Völkerbundsatzung erwähnte den Minderheitenschutz nicht ausdrücklich. Durch die in den Jahren 1919/20 abgeschlossenen Minderheitenschutzverträge erhielt der Völkerbund allerdings den Status einer Garantiemacht. Die freie Entfaltung der Minderheiten sollte auf zweifache Weise gewährleistet werden. Zum einen durch eine Territorialgarantie für jene Gebiete, die dem Völkerbund direkt unterstellt waren, zum anderen durch eine Personalgarantie für die Minderheiten in Österreich, Ungarn und Bulgarien und den neu entstandenen osteuropäischen Staaten. Deutschland war ein Profiteur dieses Systems. Durch seine Gebietsverluste lebten über sechs Millionen Deutsche als Minderheiten außerhalb der deutschen Grenzen. Der größte Teil fand sich innerhalb der Grenzen des neuen polnischen Staates wieder. Die Minderheiten in Deutschland – insbesondere Dänen und Polen – kamen nicht in den Genuss völkerrechtlicher Garantien, ebenso wenig wie die deutschsprachige Minderheit in Frankreich.

Der Völkerbund stellte den ersten Versuch dar, ein System der kollektiven Sicherheit in die Praxis umzusetzen. Der Kern der Völkerbundsatzung waren die Bestimmungen zur Friedenssicherung.[13] Zum ersten Mal versuchten Staaten, ein Sicherheitssystem zu konstituieren, das erstens prinzipiell allen Staaten offenstand, zweitens auf liberalen Prinzipien wie dem Selbstbestimmungsrecht beruhte, drittens grundsätzlich eine Veränderung des territorialen Status quo als zulässig ansah und viertens eine Rechtspflicht zur Abhilfe gegen einen Friedensstörer vorsah. Der Gedanke, dass der potenzielle Angreifer auch Teil eines Bündnissystems sein konnte, war neu und revolutionär. Sicherheit sollte jedes Völkerbundmitglied durch die Solidarität der anderen Mitglieder erhalten.

Ein System der kollektiven Sicherheit kann nur funktionieren, wenn eine gewisse Gleichartigkeit der Vertragspartner und ihrer Interessen gegeben ist und der Status quo als verteidigungswürdig und im Interesse aller liegend angesehen wird. Die Hauptlast tragen die Großmächte, die ihre militärischen Mittel in den Dienst der Allgemeinheit stellen sollen. Sie müssen vor ihren nationalen Öffentlichkeiten die militärischen Ausgaben rechtfertigen. Da die deutsche Demokratie aus dem Völkerbund ausgeschlossen war, durfte sie im Kriegsfall neutral bleiben.

Die Reintegration der deutschen Demokratie in die Staatenwelt sollte durch einen ständigen Ratssitz erfolgen.

In einem engen Zusammenhang zum Problem der Sicherheit stand die Abrüstungsproblematik. Die Alliierten proklamierten im Vorspruch zum Kapitel V des Versailler Vertrags, dass die deutsche Abrüstung die Voraussetzung für den Beginn der allgemeinen Abrüstung schaffen sollte. In Artikel 8 der Völkerbundsatzung konkretisierte sich diese Verpflichtung. Die Mitgliedstaaten bekannten sich zu dem Grundsatz, dass die Aufrechterhaltung des Friedens eine Herabsetzung der nationalen Rüstungen auf das Mindestmaß erfordern würde, das mit der nationalen Sicherheit und der Erfüllung internationaler Verpflichtungen erforderlich sei. Diese Bestimmung der Satzung stand nach dem deutschen Beitritt zum Völkerbund im Widerspruch zu Artikel 160 des Versailler Vertrags, wonach das deutsche Heer ausschließlich zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung und zum Grenzschutz verwendet werden durfte. Der Völkerbundrat sollte Abrüstungspläne aufstellen und den betreffenden Regierungen zur Prüfung vorlegen. Frankreich verweigerte unter Hinweis auf die aus seiner Sicht gegebene Untrennbarkeit von Sicherheit und Abrüstung eine Reduktion seiner Streitkräfte. Solange Deutschland den Status quo in Europa nicht anerkennen wollte – französische Politiker sprachen von der »moralischen Abrüstung« Deutschlands –, fühlte sich Frankreich nicht sicher. Gemäß dem Versailler Vertrag sollte nach der erfolgten Abrüstung Deutschlands die Tätigkeit der interalliierten Militärkontrollkommission beendet werden. Direkt daran anschließend war der Völkerbund nach Artikel 213 des Versailler Vertrags gehalten, die erfolgte Abrüstung zu überprüfen.

Zusammenarbeit ohne Mitgliedschaft

Die politischen Beziehungen Deutschlands zum Völkerbund wurden zunächst weitgehend vom Auswärtigen Amt bestimmt. Der Stellenwert der Völkerbundpolitik als ein Bestandteil der deutschen Außenpolitik war fast ausschließlich von der deutschen Stellung im internationalen System, dessen Veränderungen und den Völkerbundpolitiken der anderen Staaten abhängig. Die Diplomaten zeigten sich von den Initiativen der Interessengruppen weitgehend unbeeindruckt. Dies fiel ihnen umso leichter, als die pazifistischen Gruppierungen mit ihrer Forderung nach einem Völkerbundbeitritt nicht auf eine breite Bewegung aufbauen konnten.

Die Versuche der deutschen Völkerbundpolitik zwischen den Jahren 1919 und 1921, den Völkerbund als Schiedsrichter in den Streitigkeiten mit den Alliierten über die Auslegung des Friedensvertrags und andere Streitfragen einzuschalten, scheiterten am französischen Widerstand. Wie sehr die deutsche Außenpolitik bis zur Teilungsentscheidung des Völkerbunds über Oberschlesien im Oktober 1921 an der Herstellung eines normalen Verhältnisses zu den Siegern gelegen war, belegt die Bereitschaft von Außenminister Walter Simons, die deutsche Demokratie auch unter Verzicht auf einen ständigen Ratssitz in den Völkerbund zu führen. Zu einer fundamentalen Änderung seiner Deutschlandpolitik war Frankreich aber weder im Jahr 1920 noch in den drei Folgejahren bereit. Indes scheiterten die ehrgeizigen Pläne zu einer Verschiebung des wirtschaftlichen Gefälles beider Staaten zugunsten Frankreichs. Der militärische Einmarsch Frankreichs und Belgiens in das Ruhrgebiet im Januar 1923 aufgrund der nicht erfolgten Lieferung von Kohle und Telegrafenmasten hätte dem Völkerbund Gelegenheit gegeben, diese Gefährdung des Friedens zu thematisieren. Es gelang den Besatzern zwar trotz des passiven Widerstands der Deutschen, die gewünschten Rohstoffe zu entnehmen. Der Gewaltakt wurde im Ausland kritisiert, unter anderem auch von den früheren Verbündeten Großbritannien und den USA. Nachdem das Deutsche Reich nach einer Neuregelung der Reparationsfrage durch den Dawes-Plan sowie durch die Möglichkeit, fünf Jahre nach Inkrafttreten des Versailler Vertrags wieder Handelsverträge abzuschließen, an Verhandlungsmacht gewonnen hatte, wurde es für Frankreich dringlich, nicht nur über, sondern auch mit Deutschland zu verhandeln.

Die vom deutschen Außenminister Gustav Stresemann initiierten Verhandlungen über einen Sicherheitspakt sollten das französische Sicherheitsinte­resse befriedigen. Das auf der Konferenz von Locarno im Oktober 1925 verabschiedete Vertragswerk beinhaltete einen Sicherheitspakt zwischen Deutschland und Frankreich mit Großbritannien und Italien als Garanten. Hatte Frankreich im Jahr 1923 noch mit dem Austritt aus dem Völkerbund gedroht, falls ein deutsches Beitrittsgesuch erfolgreich sein würde, so wurde der deutsche Völkerbundbeitritt nun die Voraussetzung für das Inkrafttreten des Vertragswerks. Die Reintegration der deutschen Demokratie in die Staatenwelt sollte durch Zuerkennung eines ständigen Ratssitzes erfolgen. Die Ratifikation der Verträge von Locarno erfolgte trotz Kritik der Parteien rechts und links der Mitte fast mit einer Zweidrittelmehrheit. Die Ermächtigung zum Völkerbundbeitritt wurde vom Reichstag mit 284 gegen 182 Stimmen angenommen.[14]

Die Detente zwischen den Großmächten wurde durch den griechisch-bulgarischen Konflikt auf eine Probe gestellt. Die griechische Armee drang am 19. Oktober 1925 auf bulgarisches Gebiet vor. Das militärisch wehrlose, weil wie Deutschland abgerüstete, Bulgarien wandte sich hilfesuchend an den Völkerbund. Der Völkerbundrat konnte einen Waffenstillstand vermitteln. Der britische Außenminister Joseph Austen Chamberlain legte besonderen Wert darauf, dass sich auch die deutschen Gesandten in Athen und Sofia den Schritten des Völkerbundrats anschlossen. Der französische Außenminister Aristide Briand hob nach Beilegung des Konflikts ausdrücklich hervor, »dass die Atmos­phäre von Locarno wesentlich dazu beigetragen habe«[15], den Konflikt schnell beizulegen. Diese rasche Konfliktbeilegung war ein Beispiel dafür, wie der Völkerbund seinen Einfluss geltend machen konnte, sofern sich die Großmächte einig waren.

Deutschland im Völkerbund

Das Deutsche Reich wurde schließlich auf der regulären Völkerbundversammlung am 10. September 1926 in den Völkerbund aufgenommen. Der politischen Entspannung zwischen den Regierungen folgte die Entspannung auf der gesellschaftlichen Ebene. Deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wurden wieder in internationale Vereinigungen aufgenommen. Für die Deutschen begann damit die eigentliche Nachkriegszeit erst Mitte der 1920er Jahre.

In den Jahren 1926 bis 1929 funktionierte die Locarno-Diplomatie.[16] Der regelmäßige Kontakt der Außenminister im Völkerbundrat ermöglichte es, das Vertrauen wieder aufzubauen. Deutsche und französische Diplomaten zeigten Verständnis für die jeweilige – auch innenpolitische – Lage der anderen Seite, was wiederum die Basis einer Verständigung war. Trotz dieser positiven Entwicklung kann aber nicht übersehen werden, dass die deutschen Erwartungen auf eine weitere Verbesserung der Lage durch den Abzug der Besatzungstruppen und eine Gleichberechtigung bei der Abrüstung beziehungsweise Rüstung auf das Niveau der anderen Großmächte die Machtbalance in Europa infrage stellten. Wie würde sich Deutschland verhalten, wenn es sein wirtschaftliches und militärisches Potenzial entfalten könnte? Durch die im Jahr 1929 beginnende Weltwirtschaftskrise radikalisierten sich die europäischen Gesellschaften. Der im Oktober 1933 von der Regierung unter Adolf Hitler vollzogene Austritt aus dem Völkerbund beendete die Phase einer konstruktiven deutschen Mitgliedschaft.

Der Völkerbund und sein Rechtsnachfolger, die Vereinten Nationen, waren Ergebnisse der beiden Weltkriege. Zwei Staaten haben in besonderer Weise zur Gründung des Völkerbunds beigetragen, ohne der Organisation anzugehören: Deutschland und die USA. Die mit Deutschland Krieg führenden Staaten begründeten den Völkerbund. Die amerikanische Weigerung, Verantwortung für die neue Weltordnung zu übernehmen, schwächte die neue internationale Organisation. Die Zusammenarbeit der europäischen Mächte nach dem deutschen Beitritt wurde nach dem Zweiten Weltkrieg in den Europäischen Gemeinschaften (EG) unter anderen Vorzeichen weitergeführt.

[1]  Dieser Beitrag basiert auf Joachim Wintzer, Deutschland und der Völkerbund 1918–1926, Paderborn 2006.

[2]  Yale Law School, Tha Avalon Project,  avalon.law.yale.edu/20th_century/wilson14.asp

[3]  Martin Löffler, Die ›Deutsche Liga für Völkerbund‹ – ihrer Zeit weit voraus, Vereinte Nationen (VN), 5–6/1985, S. 179–180.

[4]  Zu den Friedenskonferenzen vgl. Eckart Conze, Die große Illusion: Versailles 1919 und die Neuordnung der Welt, Frankfurt am Main 2018; Jörn Leonhard, Der überforderte Frieden Versailles und die Welt 1918–1923, München 2019; Klaus Schwabe, Versailles: Das Wagnis eines demokratischen Friedens 1919–1923, Paderborn 2019.

[5]  Die Völkerbundsatzung ist hier zu finden:  www.versailler-vertrag.de/vv1.htm

[6]  Ebd.

[7]  Vgl. die Protokolle der Kabinettssitzungen vom 22. und 23.4.1919, Akten der Reichskanzlei, Weimarer Republik. Das Kabinett Scheidemann, bearbeitet von Hagen Schulze, Boppard 1971, Dok. 50 und 51.

[8]  In der Denkschrift der alliierten Mantelnote vom 16.6.1919 wurde ausgeführt: »Der Pakt des Völkerbunds bildet die Grundlage für den Friedensvertrag für die Alliierten und assoziierten Mächte. Sie haben alle Begriffe sorgfältig abgewogen.« Vgl. Urkunden zum Friedensvertrag von Versailles vom 28.8.1919, zusammengestellt von Herbert Kraus, Gustav Rödiger, Berlin 1920, S. 582.

[9]  Siehe dazu auch den Beitrag von Matthias Schulz in diesem Heft.

[10]  Dies waren im Jahr 1920 Belgien, Brasilien, China, Griechenland (bis zur ersten Völkerbundversammlung), Spanien; im Jahr 1921 Belgien, Brasilien, China, Spanien; im Jahr 1922 Belgien, Brasilien, China, Spanien; im Jahr 1923 Belgien, Brasilien, China, Schweden, Spanien, Uruguay; im Jahr 1924 Belgien, Brasilien, Schweden, Spanien, Tschechoslowakei, Uruguay; im Jahr 1925 Belgien, Brasilien, Schweden, Spanien, Tschechoslowakei, Uruguay.

[11]  Der Vertragstext ist unter  www.ub.uni-koeln.de/cdm/ref/collection/dirksen/id/370606  einzusehen.

[12]  Zum Mandatssystem vgl. Antonia Helena Maria van Ginneken, Volkenbondsvoogdij. Het Toezicht van de Volkenbond op het Bestuur in Mandaatgebieden 1919–1940, Utrecht 1992; Susan Pedersen, The Guardians. The League of Nations and the Crisis of Empire, Oxford 2015.

[13]  Vgl. die Ausführungen von Carl Schmitt, Die Kernfrage des Völkerbundes, Berlin 1926, S. 21f.

[14]  Vgl. die Verhandlungen des Reichstags am 27.11.1925, S. 4668,  www.reichstagsprotokolle.de/Blatt2_w3_bsb00000072_00233.html

[15]  Vgl. das Schreiben des Botschafters Leopold von Hoesch (Paris) vom 31.10.1925 an das Auswärtige Amt; Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, R 97265.

[16]  Außenminister Stresemann fand in seinem Staatssekretär Carl von Schubert einen kongenialen Partner. Vgl. Peter Krüger, Carl von Schubert. Außenpolitiker aus Leidenschaft. Sein Beitrag zur internationalen Politik und europäischen Ordnung in der Ära der Weimarer Republik, Berlin 2017, S. 132–181.

Das könnte Sie auch interessieren