Deutschland in den UN: regelbasiert, partizipativ, vorausschauend
Deutschland sollte als Anlehnungspartner für die vielen Staaten zur Verfügung stehen, die vom Wert der regelgebundenen internationalen Ordnung überzeugt sind. Es gilt, die klare Positionierung gegenüber Regelverletzungen beizubehalten. Dass Deutschland während der letzten Sicherheitsratsmitgliedschaft nicht davor zurückscheute, Konflikte mit Regelbrechern auszutragen, hat dazu beigetragen, dass ein multilaterales Momentum bei den Vereinten Nationen erhalten geblieben ist.
Vielleicht ist es sogar die zentrale Führungsaufgabe, gerade gegenüber mächtigen wie auch befreundeten Staaten Flagge zu zeigen. Im ›Weißbuch Multilateralismus‹ der Bundesregierung präsentiert sich Deutschland als guter Multilateralist. Dazu gehört, für die zu sprechen, die sich dies nicht leisten können oder meinen, es nicht zu können. Das ist wichtig, damit nicht noch mehr Staaten an den zunehmend verfestigten Konfliktlinien zwischen den geopolitischen Lagern verzweifeln, sich einem zuordnen und die notwendige internationale Kooperation damit weiter erschweren.
Für viele sprechen bedeutet auch, mit vielen sprechen. UN-Generalsekretär António Guterres vertritt einen inklusiven und vernetzten Multilateralismus, der Interessengruppen aus Gesellschaft und Wirtschaft sinnvoll einbindet. Hier besteht Innovationsbedarf. Zwar konferieren sowohl die UN als auch die Bundesregierung regelmäßig mit nichtstaatlichen Akteuren, aber oft wird das Potenzial nicht ausgeschöpft. Die Kopplung mit Entscheidungsprozessen sowie Rückmelde- und Reflexionsrunden sind Ausnahmen, nicht die Regel. Sie sind jedoch unerlässlich, um Partizipation über symbolische Beteiligung hinaus gehaltvoll zu gestalten. Als gute Multilateralistin sollte die neue Bundesregierung dies vorantreiben, nicht nur in der
UN-Politik, sondern auch in der sonstigen Außen-, Entwicklungs- und Sicherheitspolitik. Eine interessante Option sind Formate wie der Bürgerrat ›Deutschlands Rolle in der Welt‹, der sein Gutachten dem Bundestag überreicht hat.
Schließlich sollte die neue Bundesregierung in den Ausbau der UN-Fähigkeiten zur Vorausschau investieren. Die vielen globalen Disruptionen im 21. Jahrhundert – zuletzt die COVID-19-Pandemie – haben nationale Alleingänge befördert und den Multilateralismus geschwächt. Die Krisen trafen die UN und die Staatengemeinschaft unvorbereitet, obgleich sie nicht hätten überraschen müssen. Wer mit Krisenmanagement ausgelastet ist, kann kaum proaktiv agieren. In vielen Arbeitsprozessen würden die Vereinten Nationen von besserer Vorausschau profitieren, die strategische Planung und effiziente Umsetzung erleichtert. Im Kontext der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung (Agenda 2030) hat beispielsweise das Hochrangige Politische Forum über nachhaltige Entwicklung (High-level Political Forum on Sustainable Development – HLPF) unter anderem das Mandat, neue und aufkommende Probleme zu analysieren. Deutschland sollte die UN dabei unterstützen, dieses Mandat umzusetzen.
Ein wichtiges Instrument für verlässliche Vorausschau sind kompetitive Ereignisprognosen (forecasting). Wissenschaftliche Analysen zeigen, dass sie eine höhere Trefferquote bei der Vorhersage konkreter Zukunftsereignisse haben als andere Methoden. Das könnten die UN nutzen und eine organisationsweite Plattform für globale Krisenvorausschau einrichten. Deutschland sollte die Initiative für die Einrichtung einer solchen Plattform ergreifen, als eine Antwort auf die in der Erklärung anlässlich 75 Jahre Vereinte Nationen (UN75) eingegangene Verpflichtung »Wir werden vorbereitet sein«.